Bekannterweise weist die Wirtschaft Kasachstans etwa seit dem Jahre 2000 hohe Wachstumsraten aus, die durchaus zur Spitzengruppe in der Welt zählen.

Allerdings ist das Wachstum der wichtigsten makroökonomischen Kennziffern von einem relativ niedrigen absoluten Niveau aus gestartet, was ja hohe relative Wachstumszahlen wesentlich leichter macht als der Start von einem hohen absoluten Niveau. Doch hier soll etwas anderes interessieren, nämlich die Relation zwischen nominalen und realem Wachstum. Nominale Kennziffern aller Art (z.B. Lohnsteigerung, Produktionserhöhung, Steigerung von Export und Import, Wechselkursveränderungen) beinhalten immer die Inflation, während diese bei realen Kennziffern herausgerechnet ist. Wenn z. B. mein Lohn um zehn Prozent gewachsen ist, sich die Preise aber zugleich um acht Prozent erhöht haben, kann ich mir real (oder physisch) nur für zwei Prozent mehr Waren kaufen. Reale Kenngrößen sind deshalb hinsichtlich der wirklichen Steigerung der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft aussagekräftiger als nominale, obwohl diese auch ihre Berechtigung als Indikator haben.
Schaut man sich nun das Wachstum der Wirtschaft Kasachstans mit der Brille nominal und real an, kommt zu dem Schluss, dass das Wirtschaftswachstum hierzulande unverhältnismäßig stark von Preissteigerungen und nicht von der Ausweitung der Produktion getragen wird. So ist z. B. allein im ersten Halbjahr 2006 das nominale Wachstum des BIP um den Faktor 3,4 (Zuwachs 31,4 Prozent) höher gewesen als das reale Wachstum (plus 9,3 Prozent). Auf ein Prozent Zuwachs an real produzierten Gütern kommen also 3,4 Prozent Preissteigerungen. Allerdings ist nur ein Teil davon an die Verbraucher weitergegeben worden, vor allem haben sich folglich die Produzentenpreise erhöht. Ähnliche Relationen lasen sich für den Zeitraum des stürmischen  Wachstums Kasachstans (also etwa seit 2000) für alle wichtigen Kenngrößen ausmachen. Dabei ist festzustellen, dass die Differenz zwischen nominal und real in den letzten Monaten eher größer wird. Stand zum Beispiel im Jahre 2002 jedem Prozent realen Wachstums des BIP ein Preissteigerungsfaktor von etwa 1,7 gegenüber, ist dieser im Jahre 2005 auf über 3,0 angestiegen. Ähnliches gilt auch für den Export: seit 1999 ist das Exportvolumen um den Faktor 5,4 gestiegen. Der physische Umfang der exportierten Waren erhöhte sich jedoch nur um das 2,2fache. Letztere Zahl ist zwar auch nicht schlecht, dennoch sind nur etwa 40 Prozent der Exportsteigerung von höherer eigener Produktionsleistung getragen, der Rest ist eher den gestiegenen Weltmarktpreisen zu verdanken, für die man eher keine Leistung zu erbringen hatte.

Ungeachtet dieser Tatsache wird natürlich objektiv mehr Geld ins Land gespült, das ausgegeben werden kann. Das Problem, das ich sehe, ist auch keinesfalls moralischer Art. Geld stinkt bekanntlich nicht. Es kann allerdings die Augen verkleistern, so dass man die Wahrheit nicht mehr erkennt. Und das bedeutet: Die Überhitzung der Wirtschaft Kasachstans ist da, die Gefahr eines wirtschaftlichen Absturzes erhöht sich. Insbesondere die umlaufende Geldmenge wächst unverhältnismäßig schnell. Die Nationalbank müsste eigentlich drastisch gegensteuern, d. h. den Diskontsatz (die Leitzinsen) deutlich erhöhen. Dieser ist zwar mit neun Prozent bereits ziemlich hoch, aber offensichtlich immer noch zu niedrig.

Die Gefahr einer wirtschaftlichen Rezession könnte vom Immobiliensektor ausgehen, wo bekanntlich die Preise in Relation zur physischen Qualität der Erzeugnisse unverhältnismäßige Höhen erreicht haben. Voraussetzung zum qualifizierten monetären Gegensteuern sind jedoch regelmäßige und fundamentierte Analysen der Geldmengenentwicklung in ihrer differenzierten Struktur. Es darf bezweifelt werden, dass diese Analysen mit ausreichend kritischem Sachverstand erstellt werden. Ursache dürfte u. a. der Verschleierungseffekt hoher nominaler Zuwachsraten sein.

Bodo Lochmann

06/10/06

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