Anlässlich der zuvor unterzeichneten Städtepartnerschaft zwischen Almaty und Lugano eröffnete eine herausragende Ausstellung mit Architekturfotografien und städtischen Fotoserien des italienischen Schweizers Gian Paolo Minelli. Wie dieser bereits zum zweiten Mal in Kasachstan landete, wie er urbanen Raum als Organismus einfängt und was Hip-Hop-Kultur mit Architektur verbindet, konnte man bei der Eröffnung und im Gespräch mit ihm nachvollziehen.
Eine Ausstellungseröffnung im Kastejew-Museum und ein Treffen mit dem Künstler Gian Paolo Minelli brachten kürzlich zeitgenössische fotografische Auseinandersetzung mit Architektur und urbanem Raum nach Almaty. Die Auswahl enthält Fotoserien, die in Buenos Aires, Paris, Brno und Ust-Kamenogorsk entstanden. Veranstalter sind die Schweizer Botschaft Kasachstans und Tadschikistans in Kooperation mit der Eurasischen Kulturallianz, dem Kastejew-Museum, dem Akimat Almaty und der Kazzinc Ltd. Eine Städtepartnerschaftserklärung zwischen dem schweizerischen Lugano und Almaty führte dazu, dass die Ausstellung nicht wie geplant in Ust-Kamenogorsk stattfand, sondern in dem kulturellen Zentrum Almaty. Die Kooperationsvereinbarung unterschrieben der Bürgermeister von Almaty, Bauirschan Baibek und Marco Borradori, Luganos Oberhaupt, am Vormittag der Eröffnung.
Oft gibt es nur ein analoges Foto pro Motiv
Minellis Fotoarbeiten entstehen durch die Suche nach urbanen Landschaften. Bei dieser Suche legt der Künstler stets besonderen Wert darauf, Begegnungen und Kontakte zu den Bewohnern zu evozieren.
So entstand auch aufgrund zufälliger Begegnungen ein konzeptuelles Projekt mit Jugendlichen aus Armenvierteln. Mit dieser Porträtserie habe er versucht, sich den jungen Stadtbewohnern mit dem ihnen gebührenden großen Respekt zu nähern und ihnen selbst Handlungsspielraum und die Entscheidung ihrer eigenen Präsentation zu geben. Er ließ sie mit einem Selbstauslöser jeweils ein Porträt von sich selbst aufnehmen in einem Moment der Zurückgezogenheit, in dem sie sich am ehesten als sie selbst fühlten.
Über-Kunst
Es sind immer Serien, die auf sehr langen Recherche– und Projektzeit basieren und alle analog mit einer großformatigen Schweizer Sinar-Kamera ausgeführt sind. Dieser schwere Apparat erlaubt nur wenige Bilder und erfordert bisweilen eine lange Belichtungszeit. Auch deshalb arbeitet er oft lange und bedächtig an allen Serien und sucht perfekte Kompositionen, beobachtet die Architektur, Bewohner sowie Licht, Schatten und Wetter. Wegen dieser auffälligen Technik lebt Gian Paolo Minelli sich in die untersuchten Areale ein und kommt ihren Einwohnern sehr nahe. Deshalb sind Projekte wie das in Buenos Aires nicht nur Fotoprojekte, sondern auch interkontextuelle soziokulturelle Kunstprojekte. Sein langjähriges (seit 16 Jahren) persönliches und professionelles Engagement äußert sich in Fotoworkshops in Gegenden mit sehr hoher Kriminalitäts– und Drogenmissbrauchsrate bis hin zur Eröffnung eines Jugendzentrums. In einem, zunächst besetzten, leerstehenden Haus begründete Minelli mit seinem Freund aus der Peripherie, Luciano, das Kulturzentrum „Piedrabuenarte“ in einem Versuch, „die schwierige Realität in dem Viertel zu verändern“, so Minelli. Seit 2000 hat sich sehr viel verändert, angefangen bei zahlreichen Einzelschicksalen fernab von Drogen und Kriminalität, über vielfältige Kulturprojekte und –workshops, Wandmalerei in den dunkelsten Drogenverkaufs-Ecken bis hin zur kürzlich erfolgten Legalisierung des Kulturprojekts durch die Stadt Buenos Aires.
Das Geben war beiderseitig, die interessierten und neugierigen Jugendlichen der Peripherie waren dem Fotografen mit dem riesigen Fotoapparat nicht selten behilflich bei der Suche nach Bauten und Fotomotiven.
Schweigen als Annäherung
Das Schweigen, wie das auf den Porträts der Jugendlichen, spielt für Minelli eine entscheidende Rolle. Im Schweigen sieht er die Konzentration, in der er sich an neue Landschaften und Motive annähert, auf der Suche nach charakteristischen Kompositionen. In diesen sieht man Minellis Blick auf die Dinge. Jede Serie scheint seine eigene Präferenz an Kombinationen zwischen Architektur, Sozialem, Urbanem und Körperlichem zu haben.
Der Leib aus Beton
Er arbeitet zeitgenössisch, ihn treiben bei seiner Suche insbesondere geometrische Figuren und konkrete Motive an. Seine ersten Arbeiten entstanden aus der Suche nach einem Verständnis von Industrialität– und Architekturfotografie. Dabei spielten Industrie, Mobilität und Rand– und Grenzgebiete stets eine große Rolle. Nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass er in einer Grenzstadt zwischen der Schweiz und Italien aufwuchs. Seine Objekte betrachtet er als architektonische Leiber, aber auch als Skulpturen. Solche Betonleiber fing er unter anderem auch auf Einladung von Kazzinc Ltd. in dem Industriezentrum Ust-Kamenogorsk im Jahr 2014 ein. 2014 besuchte er zum ersten Mal Kasachstan auf Einladung des kasachisch-schweizerischen Unternehmens Kazzinc Ltd. Schon damals entstand die Idee, das Projekt weiterzuführen, was letztlich in dieser Ausstellung mündete. 2010 brachte er zusammen mit dem schweizer Kunsthistoriker und dem Direktor des Folkwang Museums in Essen Tobia Bezzola bereits eine Publikation unter dem Namen „The Skin of the Cities, The Skin of the Citizens“ heraus, das namensgebend für die jetzige Ausstellung ist.
Der Kultur-Filter
Bei der feierlichen Eröffnung sprachen unter anderem Vertreter der Schweizer Botschaft als auch des Akimats Almaty. Arman Kyrykbajew, Vize-Akim von Almaty, äußerte sich bei der Eröffnung positiv bezüglich der schweizerisch-kasachischen Kooperationsvereinbarung zwischen den beiden Städten, die besonders im Bereich des Tourismus vielversprechend erscheint. Die Ausstellung reiht sich seiner Meinung nach hervorragend in das Geschehen ein: „Das vom Künstler oft behandelte Thema Megapolis passt gut zu Almaty. Als die größte Stadt Zentralasiens ist Almaty reich an Geschichte, Wissenschaft und Kultur, es ist aber auch ein Finanz-, Touristik– und Sportzentrum. Dieses Jahr feiert die Stadt ihre 1000 Jahre.“
Der Botschafter der Schweiz in Kasachstan, Mauro Reina, sprach bei seiner Ansprache darüber, dass das unterschriebene Abkommen das Leben der Bewohner beider Städte positiv beeinflusst. Reina und den Künstler Minelli verbindet eine 20jährige Freundschaft. So wundert es nicht, dass er nicht nur seine fotografische Leistung hervorhob, sondern insbesondere auch sein soziales Engagement. „Es ist ein Künstler, der eine persönliche und sehr starke Verpflichtung zur Verbesserung sozialer Missstände verspürt und aktiv etwas dagegen tut.“ Reina ist davon überzeugt, dass Kultur einen großen Beitrag zur Verbesserung von Lebensumständen beiträgt.
Auch der Bürgermeister Luganos, Marco Borradori freute sich, dass „der erste Akt der Zusammenarbeit beider Städte über die Kultur stattfindet“. Kunst mache es möglich, dass trotz tausender Kilometer Entfernung und unterschiedlichster Sprachen, Einverständnis herrsche, führte er weiterhin aus. Des Weiteren wies Borradori auf den Mut und die Sensibilität des Künstlers hin, der sich in verschiedenste Gegenden der Welt begibt und mit seinem differenzierten Blick ihre Schönheit dem fremden Betrachter präsentiert. „Wir wünschen uns mehr solcher einfühlsamer Eigenschaften für unsere Stadt Lugano und auch mehr Kollaborationen in diese Richtung.“
Die Ausstellung läuft noch bis zum 6. Juni im Kastejew-Museum, Almaty.