Sie ist eine leidenschaftliche Musikerin, die Brücken zwischen Deutschland und Kasachstan geschlagen hat. Die 51-Jährige hat den Ingolstädter Chor „Singende Herzen“ mitbegründet und leitet ihn bereits seit fast 20 Jahren. Mit ihrem Engagement verbindet sie alte und neue familiäre und russlanddeutsche Bräuche.

Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in Kasachstan. Ida Haag stammt aus der Großfamilie Depperschmidt und wurde 1962 als eines von zehn Kindern in Karaganda geboren. Dort wurden sie und ihre Geschwister streng nach katholischen Traditionen erzogen, auch wenn dies nicht immer einfach war. Denn Weihnachten, Ostern oder Pfingsten feierte die Familie im Untergrund. Haag erinnert sich, dass ein unbenutzter Besen als Weihnachtsbaum umfunktioniert wurde, an dem Äpfel und Schleifen aufgehängt wurden. Auch das Krippenspiel wurde noch 1978 im engen Kreis, unter Eingeweihten gespielt. Erst seit Anfang der 1980er Jahre konnte es offen aufgeführt werden. Erst dann sangen die Familienmitglieder Weihnachtslieder, ohne Angst zu haben.

Liebe zur Musik brachte Familientraditionen

Damals wie heute ist Gesang in der Großfamilie Depperschmidt von besonderer Bedeutung. Denn das gemeinsame Singen ist für die Depperschmidts Ausdruck und Erleben der christlichen Tradition. Kein Wunder also, dass Ida Musik und Gesang studieren wollte. Dennoch war das offenkundige Gesangstalent damals in Karaganda kein direktes Freiticket zum Studium für die Russlanddeutsche.

Um dieses Vorhaben zu verwirklichen, musste Ida Haag nach Temirtau umziehen. Dort gelang es ihr, einen Platz an der Musikhochschule zu bekommen, wo sie bis 1986 Musik und Gesang studierte. Parallel dazu arbeitete sie als Lehrerin am dortigen Deutschen Theater, verhalf den Schauspielern zu einer richtigen Stimmbildung und brachte ihnen Vokalgesang bei. Bei manchen Veranstaltungen des Theater trat sie gar als Solistin auf.

Zwei Jahre später kam Ida Haag nach Deutschland. Damals, 1988 war das Ziel der Familie in Ingolstadt Fuß zu fassen und sich Zukunft in Deutschland aufzubauen. Dies hat die inzwischen 51-Jährige längst gemeistert. „Am Leben der Stadt, in der man wohnt, teilnehmen und Interesse zeigen“, mit diesem Titel aus der Lokalpresse könnte sie ihr Lebensmotto beschreiben. Am Anfang wünschte sie sich, dass jemand auf sie zugeht, heute geht sie auf andere zu und vergisst nie, dankbar zu sein für alles, was in ihrem Leben passiert ist.

Auch in Deutschland ist ihr die Integration vor allem über Gesang und Musik, aber auch durch die Offenheit für Neues gelungen. Auch beruflich ist Haag zufrieden: Seit 18 Jahren unterrichtet die zweifache Mutter Gesang und Klavier an einer Musikschule. Zu ihren Schülern gehören überwiegend Einheimische.

Es begann mit dem Gesang im Kirchenchor. Später, im Jahr 1995, hat sie den Chor der Landsmannschaft in Ingolstadt aufgebaut, der in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert. Als Dr. Johannes Hörner 1996 zum Vorsitzenden der Ortsgruppe Ingolstadt gewählt wurde, hat man als erstes den Chor mit allen Kräften unterstützt und zum Aushängeschild der Landsmannschaft gemacht. Mit Ida Haag fand die Ortsgruppe schnell eine Frau, die die besten Voraussetzungen für die Chorleitung mitbrachte.

Gemeinschaft und deutsche Sprache

Ebenso ist sie seit über zehn Jahren stellvertretende Vorsitzende der Landsmannschaft in Ingolstadt. Schritt für Schritt baute sie den Chor auf, der sich den Namen „Singende Herzen“ gab. Der Chor ist den Traditionen der Russlanddeutschen aus Kasachstan oder Sibirien treu geblieben: Sänger und Chorleiterin Ida Haag fühlen sich der Pflege der deutschen Sprache durch den Gesang bis heute verpflichtet.

„Große Sänger waren nicht dabei, und Noten lesen konnten die meisten auch nicht“, erinnert sich Haag an die Anfänge. Zwölf Männer und Frauen im Alter zwischen 30 und 77 Jahren hatten Interesse, im Chor mitzusingen. Bei den „Singenden Herzen“ ging es weniger darum, große künstlerische Leistungen zu vollbringen, vielmehr standen die Freude am Singen und die Pflege der Gemeinschaft im Vordergrund. Heute singen im Chor 44 Personen, darunter fünf einheimische Mitglieder.

„Singende Herzen“: Mittler russlanddeutscher Kultur in Ingolstadt

Seit 1999 hat der Chor im Gemeinschaftshaus der evangelischen Aussiedlerarbeit in der Permoserstraße in Ingolstadt einen Ort gefunden, an dem jeden Donnerstag geprobt wird. Mit Beharrlichkeit führte Ida Haag den Chor zu beachtlichen Leistungen: mittlerweile wird sogar vierstimmig gesungen. Die „Singenden Herzen“ sind inzwischen ein Teil des städtischen Kulturlebens geworden und leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Integration und Pflege der russlanddeutschen Kultur.

Von Anfang an kämpfte man für ein russlanddeutsches beziehungsweise deutsches Repertoire. „Wir präsentierten uns nicht als russischer, sondern als russlanddeutscher Chor. Heute wissen wir, dass dieser Weg der richtige war“, so Haag. Heute umfasst das Repertoire etwa 200 alte und neue deutsche Volkslieder, geistliche und klassische Stücke sowie Advents– und Weihnachtslieder, die bei zahlreichen Veranstaltungen mit viel Begeisterung und Herzblut vorgetragen werden.

Der Chor sammelte mit großem Aufwand alte russlanddeutsche Lieder. Diese wurden aufgezeichnet und musikalisch bearbeitet – daraus entstand ein Liederbuch. 2000 brachte die Ortsgruppe eine CD mit „Weihnachtsliedern der Deutschen aus Russland“ (12 Lieder) heraus, gesungen von Ida Haag, Musikbegleitung Waldemar Dederer. Die ersten 70 CDs gingen an die Stadträte mit einem Weihnachtsgruß von der Landsmannschaft.

Dank dieses vielfältigen Engagements ließ auch der Erfolg nicht auf sich warten. Die „Singenden Herzen“ sind überall gern gesehene und gehörte Gäste – bei Trauungen, Gottesdiensten, Festveranstaltungen, beim Tag der Heimat, bei Singnachmittagen des Roten Kreuzes, landsmannschaftlichen Festen und Kulturveranstaltungen, Gedenkfeiern, Advents– und Weihnachtssingen oder zu Wohltätigkeitszwecken. Auch Auftritte in anderen Städten und Bundesländern, wie in Berlin, Dresden, Stuttgart, Augsburg, Altötting, Wiesbaden und sogar in Wien, standen bereits auf dem Programm. Sein 15-jähriges Jubiläum 2010 feierte der Chor unter dem Motto „Endlich zu Hause“.

Das Gleiche kann auch Ida Haag von sich behaupten. Sie fühlt sich wohl in ihrer Heimatstadt, deren Kulturleben sie durch ihr Talent und ihr vielseitiges Engagement sichtbar bereichert. Zwar ist die eigene Familie dadurch auch mal zu kurz gekommen. Aber sie hatte in all den Jahren eine zuverlässige Stütze in ihrem Mann Jakob – der gelernte Dreher ist seit 25 bei Audi beschäftigt.

Rückenwind bekam sie auch von ihren beiden Kindern. Ihr 18-jähriger Sohn lernt an der Fachhochschule. Ihre 22-jährige Tochter hat Sozialarbeit studiert und engagiert sich in der Kinder– und Jugendarbeit im kirchlichen Bereich. Sie bereut ebenfalls ein ehrgeiziges Projekt: ein Cafe für Kinder mit Migrationshintergrund.

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift „Volk auf dem Weg“, herausgegeben von der Landsmannschaft der Russlanddeutschen e.V., erschienen. Die Deutsche Allgemeine Zeitung druckt ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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