Maria Gliem aus Frauenwaldau, dem heutigen Bukowice in Polen, hat einen Teil ihrer Kindheit als Vertriebene verbracht. Ihre Flucht führte sie nach Hessen, wo vor 70 Jahren die ersten Heimatvertriebenen ankamen. In ihrer heutigen Heimat trägt Gliem dazu bei, dass ihre Erinnerungen an die Zeit in Polen und die Flucht nicht in Vergessenheit geraten. Aus diesem Grund hat sie ihre Geschichte aufgeschrieben. Die DAZ veröffentlicht mit ihrer Erlaubnis Auszüge aus der Niederschrift.

Am 17. April musste ich zum Ohrenarzt nach Liechtenstein. Zuvor gingen wir noch in die Kirche zur Messe. Als wir aus der Kirche wollten, kamen wieder Tiefflieger und schossen auf uns. Die zwei Soldaten, die uns in die Kirche zurückdrängten, bekamen Bauchschüsse, sie wurden zwar gleich in der Praxis des Ohrenarztes versorgt, aber sind leider kurz darauf verstorben. Soviel Flugzeuge wie an diesem Tag haben wir noch nie gesehen, es waren sicher 2000. Auf dem Heimweg nach Merkelsgrün sahen wir viele Partisanen, alle schwer bewaffnet, in den Wäldern der Strasse entlang. Wir hatten eine Heidenangst, aber wir mussten daran vorbei. Sie taten uns nichts, aber sie wollten von uns wissen, wie viele Soldaten in der Stadt sind. Nach ein paar Tagen war der Spuk vorbei, und wir sind mit ein paar Frauen nach Karlsbad gefahren. Es war ein guter Tag in dieser schönen Stadt. In den nächsten Tagen war Tante Agnes und ich oft unterwegs, so auch in die Wallfahrtskirche Mariasorg. Die ganzen Wände der Kirche und der Innengang des angrenzenden Klosters waren mit Danksagungen für erhörte Bitten bedeckt. Anfang Mai war plötzlich das Dorf voller Soldaten. Wir Kinder hatten uns angewöhnt, jeden Soldaten genau anzusehen, es konnte ja sein, wir treffen unseren Vater. Im Dorf war jeder freie Raum mit Soldaten belegt, ob Scheune oder Stall.
Am 10.05.45 sagte der Lehrer einen Satz, der mir bis heute in meinem Gedächtnis geblieben ist. „Dieser grausame Krieg ist zu Ende, wir müssen nie mehr Heil Hitler sagen, ab jetzt sagen wir wieder: Grüß Gott.“ Die Soldaten warfen Berge von Waffen und Munition in den Fluß und verschwanden nach und nach. Wer von den verwundeten Soldaten laufen konnte, verließ das Dorf zu Fuß. Schwerverletzte wurden auf LKWs verladen und weggebracht. Bei den Bewohnern herrschte große Angst vor den Tschechen. Fürchterliche Grausamkeiten wurden erzählt. Die verwundeten Soldaten verteilten noch die restlichen Lebensmittel und Schokolade an die herumstehenden Kinder und verschwanden.

Am 21.05.45 kamen die Tschechen, und es hieß wieder mal für uns alles einpacken, es geht zurück in die Heimat. Tags darauf brachten uns die Bauern mit Pferdewagen nach Schlackenwehrt zum Bahnhof. Wir waren über 80 Personen.

Maria Gliem

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