Warum das Geschäft für Nationalbanken angesichts sinkender Leitzinsen immer schwieriger wird, warum Gefahr der Deflation besteht und wie Investoren versuchen, ihr Geld in der neuen Wertewelt zu behalten, weiß Prof. Dr. Bodo Lochmann.


Ein Notenbanker ist in der Regel von Natur aus ein vorsichtiger Mann, denn er weiß, dass selbst kleine Worte manchmal große Wirkungen an den Finanzmärkten entfalten können. Schließlich hängt von den Bewegungen der Leitzinsen eines Währungsraums, für die die Notenbanker zuständig sind, sehr viel ab. Leitzinsen sind die von den Notenbanken (=Nationalbanken) festgelegten Zinsen, zu denen sich die Geschäftsbanken bei den Nationalbanken Geld leihen können. Dabei geht es bei einer Zinserhöhung- oder Verringerung nicht nur darum, dass damit Kredite entsprechend teurer oder billiger, klassische Spareinlagen attraktiver oder unattraktiver werden. Meist ist der Kontext wichtiger als der harte Fakt der Zinssatzänderung. Werden die Zinsen gesenkt, wird damit indirekt gesagt, dass eher keine Inflationsgefahr besteht. Es kann aber auch ein Signal dafür sein, dass es der Wirtschaft nicht allzu gut geht und die Investitionstätigkeit über billige Kredite angekurbelt werden muss.
Momentan befinden sich die Leitzinsen weltweit auf einem historischen Tief. Im Euroraum, in den USA und in Japan kostet den Geschäftsbanken frisches Geld fast nichts mehr: Neue Kredite sind für Zinsen zu haben, die sich bei Null bewegen. Zum Vergleich: in Kasachstan müssen die Geschäftsbanken momentan etwa fünf Prozent Zinsen für neue Kredite bei der Nationalbank zahlen.

Niedrige Zinsen bewirken prinzipiell dasselbe wie niedrige Preise bei jeder anderen Ware: die Nachfrage nach der billigen Ware steigt. Bei materiellen Waren führt das einerseits – zumindest zeitweise – zu einer gesteigerten Produktion, andererseits aber auch zu einer psychologisch-moralischen Entwertung der entsprechenden Ware. Schließlich wird „billig“ häufig auch mit geringer Qualität assoziiert. Das in Form von Krediten momentan extrem billige Geld soll die Verbraucher dazu stimulieren (oder auch verführen), mehr von der Ware Kredit aufzunehmen, damit mehr Waren zu kaufen und so die Produktion anzuschieben. Theoretisch ist das auch durchaus einsehbar, nur in der Praxis funktioniert das im Moment gar nicht. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, von denen viele keinesfalls nüchtern rational zu erklären sind.

In den oben genannten Industrieländern ist einer der Gründe, weshalb die „Leute“ trotz billiger Kredite nicht mehr kaufen, durch eine Reihe von Faktoren bestimmt. Dazu gehört der hohe Ausstattungsgrad der meisten Haushalte mit dem, „ was man so haben muss“. Etwas Neues wird erst gekauft, wenn von den Produzenten auch wirklich etwas Neues auf den Markt gebracht wird. Außerdem hat zumindest ein Teil der potentiellen Kunden der Gedanke der Nachhaltigkeit auch praktisch erreicht. Sprich, man legt mehr Wert auf Langlebigkeit technischer Konsumgüter und läuft nicht mehr jedem Modetrend hinterher. Nicht zuletzt beginnt sich auch der allmählich beginnende Trend des Verzichts auf eine Reihe von früher als Standard angesehenen Waren. Vor allem Jugendliche in Großstädten kaufen eher selten ein eigenes Auto. Das vor allem, weil sie andere Statussymbole haben, der öffentliche Nahverkehr gut funktioniert und weil es eine Reihe attraktiver Angebote von Carsharing gibt.
Die Wertewelt ist also im Wandel begriffen, was indirekt auch den Notenbanken zu schaffen macht. Ebenso ratlos wie hinsichtlich des Nichteintretens der erwünschten Steigerung der Nachfrage durch billige Kredite, sind die Geldexperten auch hinsichtlich der Inflation. Schließlich führt laut klassischer Wirtschaftstheorie billiges Geld zu erhöhter Nachfrage danach, was in einem bestimmten Zeitraum ein schnelleres Anwachsen der Geldmenge im Vergleich zur Warenmenge bewirkt. Nun sind die Leitzinsen bereits seit mehreren Jahren extrem niedrig, aber Inflation ist weit und breit nicht zu sehen. Im Gegenteil: in der Eurozone bestand eine Zeitlang eher die Gefahr der Deflation, also sinkender Preise. Das ist bisher zwar nicht eingetreten, aber mit einer aktuellen Inflationsrate von nur etwa 1,5 Prozent pro Jahr, kann das Deflationsszenario sehr schnell wieder aktuell werden.

Die niedrigen Zinsen betreffen nicht nur die Kredite, sondern auch die Spareinlagen, die kaum noch Zinseinkünfte abwerfen. Investoren suchen zunehmend schon verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten, die das angelegte Kapital wenigstens erhalten. Dazu müssen sie immer risikofreudiger werden, was die Masse auch tut. Das billige Geld treibt vor allem Aktienkurse und Immobilienpreise, aber auch die Preise von manchmal seltsamen, aber von Investoren individuell als Wertgegenstand angesehenen Dingen in die Höhe. So entstehen leicht Blasen, also überhöhte Preise für Sachgegenstände, deren Platzen die Volkswirtschaften schnell in eine neue Krise reißen kann. Es sind also sonderbare Zeiten für die Nationalbanken, und leichter wird ihr Job keinesfalls. Das drückt sich auch in der Informationsbereitschaft aus. Lieber nicht die fragilen Märkte durch möglicherweise falsch interpretierbare Worte verunsichern. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ – das ist im Moment das dominierende Motto der Kommunikationsstrategie der meisten Zentralbanken.

Bodo Lochmann

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