Seit der Wiedervereinigung hat die russische Sprache einen schweren Stand in der deutschen Gesellschaft und im deutschen Bildungssystem. Russischkenntnisse genießen ein geringeres Prestige als Kenntnisse in Englisch oder Spanisch. Zudem gilt der Russischunterricht als ideologisch belastet und wird als ehemalige Pflichtfremdsprache im DDR-Bildungssystem von vielen nicht akzeptiert. Dabei ist diese Abneigung nicht mehr zeitgemäß, viele der Vorbehalte lassen sich problemlos entkräften.

Russisch gehört zu den fünf Weltsprachen, hat mit über 275 Millionen Sprechern eine enorme politische sowie wirtschaftliche Reichweite und ist eine offizielle Sprache der Vereinten Nationen. Nicht zu vergessen ist auch, dass Russisch eine Verkehrs– und Diplomatensprache in den GUS-Staaten ist und eine wichtige Basis sein kann, um andere slawische Sprachen zu erlernen. Demgegenüber steht die Vorstellung vieler Deutscher, dass Russisch einen vermeintlich sehr hohen Schwierigkeitsgrad hat und für einen Nichtmuttersprachler kaum zu erlernen sei. Des Weiteren herrscht in vielen deutschen Familien die Ansicht vor, dass die Kinder bevorzugt eine der traditionellen Fremdsprachen (Englisch, Spanisch, Italienisch, Französisch) erlernen sollten, um später im Berufsleben bessere Chancen zu haben. Russisch wird hingegen als eine exotische Sprache wie Arabisch oder Chinesisch wahrgenommen und mit geringen Einsatzmöglichkeiten verbunden.

Das deutsche Internetportal Hochschulkompass ist ein kostenfreies Hochschul– und Studienganginformationssystem im Internet, das über staatliche und staatlich anerkannte deutsche Hochschulen, deren Studienangebote, Promotionsmöglichkeiten und internationale Kooperationen informiert. Ein Blick in das Portal zeigt, dass es durchaus Beschäftigungsfelder für Absolventen mit Russischkenntnissen gibt – vor allem in den Bereichen Lehramt, Journalismus und Recht. Auch die Dienstleistungsbereiche in Wirtschaft und Medien sowie Beratungstätigkeiten in Unternehmen werden unter den aussichtsreichsten Berufsfeldern genannt. Der öffentliche und diplomatische Dienst zählt ebenfalls zu den prestigeträchtigen Möglichkeiten, Russisch im Beruf einzusetzen.

Möglichkeiten auch in Kasachstan

Unter den postsowjetischen Ländern ist Russland der größte Handelspartner Deutschlands. Doch auch in Kasachstan haben sich berufliche Möglichkeiten für Deutsche mit Russischkenntnissen ergeben – schließlich wird Russisch von über 95% der Bevölkerung fließend gesprochen. Kasachstan ist für Deutschland der wichtigste Handelspartner in Zentralasien, die Regierungen beider Länder vereinbarten im Februar 2012 eine Partnerschaft im Rohstoff-, Industrie– und Technologiebereich. Das Ziel war, die Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft sicherzustellen und die Industrialisierung Kasachstans durch Technologietransfer zu fördern.

Im Jahr 2019 sind in Kasachstan etwa 250 deutsche Unternehmen tätig. Im Jahr 2017 wurden Waren im Wert von 3,59 Milliarden Euro von Kasachstan nach Deutschland exportiert, etwa 90 Prozent davon Erdöl. Im selben Jahr wurden zudem Waren in Höhe von insgesamt 1,26 Milliarden Euro aus Deutschland nach Kasachstan importiert. Bei den deutschen Ausfuhren stehen Maschinen an erster Stelle, gefolgt von chemischen Erzeugnissen und Fahrzeugen. Zurzeit sind einige deutsche Firmen in Kasachstan investiert und produzieren im Land. Nennenswerte deutsche Investitionen gab es unter anderem in der Branche der Baustoffproduktion durch Unternehmen wie HeidelbergCement (Zementwerke), Knauf (Produktion von Gipskartonplatten) und Wilo (Pumpen). Im Bereich Landwirtschaftstechnik investierte der deutsche Landmaschinenproduzent Claas. Im Groß– und Einzelhandel führt die Investitionsliste unter den deutschen Unternehmen die Metro Cash & Carry International GmbH an.

International agierende Unternehmen versuchen zwar, das Problem der internen Kommunikation zu lösen, indem sie Englisch zur Unternehmenssprache machen. Auf der Ebene des mittleren Managements funktioniert dies aber nur mit Schwierigkeiten. Die Beherrschung der jeweiligen Landessprache ist heute weiter entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg und die persönlichen Aufstiegschancen in solchen Unternehmen.

In Deutschland gibt es einige Initiativen und Projekte, um das Erlernen der russischen Sprache zu fördern. Das Deutsch-Russische Forum etwa organisiert seit 2008 den Bundescup „Spielend Russisch lernen“, um das Interesse von mehr Schülerinnen und Schülern an der Sprache zu wecken. Dabei sollen auch Jugendliche erreicht werden, die bislang keinen Zugang zu Russisch hatten. In den letzten Jahren ist im deutschen Bildungssystem auch die Tendenz erkennbar, dass immer mehr junge Leute aus der russischen Diaspora ihre Herkunftssprache erlernen oder auf ein höheres Niveau bringen wollen. Wer Interesse hat, ein Slavistikstudium aufzunehmen und dabei nicht auf aussichtsreiche Berufsperspektiven zu verzichten, sollte frühzeitig einen bestimmten Berufszweig anvisieren und durch Studentenjobs und Praktika wertvolle Erfahrungen sammeln. Auch Zusatzqualifikationen in Wirtschaft, Handel, EDV oder Politikwissenschaft können nicht schaden.

Zusatzqualifikationen gefragt

Die Beispiele Kasachstans und Russlands zeigen: Deutsche Unternehmen und Organisationen sehen in den GUS-Staaten einen attraktiven Zielmarkt, es gibt Bedarf an Fachkräften mit Russischkenntnissen in allen möglichen Geschäftsfeldern. Im Außenhandel ist die Nachfrage nach Export– und Produktmanagern groß, in der Energiewirtschaft nach Vertriebsdisponenten. Regelmäßig werden auch Juristen mit Russischkenntnissen für den Bereich Vertragsmanagement gesucht. Die Deutsch-Russische Außenhandelskammer (AHK) und die AHK Zentralasien veröffentlichen in regelmäßigen Abständen Stellenangebote, die sich an qualifizierte zweisprachige Fach– und Führungskräfte richten.

Zweisprachige Studenten, die gerne in Russland oder Zentralasien Erfahrungen sammeln wollen, können an dem Praktikantenprogramm „Russland in der Praxis“ teilnehmen. Dass viele Deutsche trotzdem der Ansicht sind, Russischkenntnisse brächten keine Vorteile auf dem Arbeitsmarkt, liegt auch daran, dass wirtschaftliche Kooperationen deutscher Unternehmen mit russischsprachigen Ländern nur mäßig bekannt sind. Herkunftssprecher und Sprecher aus dem russischen Sprachraum nehmen ihr Russisch zunehmend als Chance wahr, wodurch auf dem Arbeitsmarkt eine Konkurrenzsituation mit deutschen Russischlernenden entsteht.

Das sollte Deutsche mit Interesse an Russland und der russischen Sprache aber nicht abschrecken: Mit Zusatzqualifikationen können auch Nicht-Herkunftssprecher sehr gute Perspektiven haben. Natürlich bleibt auch Englisch wichtig, vor allem in der internen Kommunikation zwischen deutschen Unternehmen und ihren russischen Tochtergesellschaften. Wenn man neben seinen Russischkenntnissen noch Zusatzqualifikationen, Praktika und gute Englischkenntnisse mitbringt, steht einer aussichtsreichen Karriere nichts im Wege.

Nikita Kobyzev

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