Das nordkasachische Karaganda ist in der gesamten Republik als ein ehemaliger Schmelztiegel intellektueller Tendenzen bekannt. Die Geschichte dahinter ist jedoch keine mondäne, sondern die um eines der größten Arbeitslager der ehemaligen Sowjetunion – das Karlag.
Fährt man von Almaty nach Astana, kommt man an Karaganda vorbei. Die Stadt mit rund einer halben Million Einwohnern liegt mitten in der zentralkasachischen Steppe und etwa drei Autostunden von Astana entfernt. Eigentlich gibt es in der Bergarbeiterstadt nicht viel zu erleben: Mit einem Spaziergang auf der Hauptstraße hat man das Wichtigste bereits gesehen und fragt man die Jugend, was man in Karaganda unternehmen könne, erhält man „nicht viel“ als Antwort. Für Ausländer mag die sowjetische Architektur der Stadt noch interessant sein. Karaganda wirkt wie aus der Zeit gefallen – ein Musterbeispiel sowjetischer Stadtplanung. Allerdings verirren sich nur wenige Touristen in die Stadt, und wenn nur, weil sie vom Karlag gehört haben.
Robin Roth arbeitet als Sprachassistent beim Sprachlernzentrum des Goethe-Instituts in Karaganda. Die „international community“ ist klein, man kennt sich. Aber Robin ist zufrieden: „In der Stadt gibt es alles Lebensnotwendige, sodass man auch als Deutscher da gut leben kann.“ Auch er bestätigt, dass die meisten Besucher wegen des Karlags in die Stadt kommen.
Das Museum beschönigt nichts
Das Karlag war der kasachstanische Teil des GULag-Systems und eines der größten Arbeitslager in der Sowjetunion. Circa eine Autostunde von Karaganda entfernt, im Ort Dolinka, erinnern eine Gedenkstätte und ein Museum an das grausame System. Das Lager wurde 1931 geöffnet. Ende der 1940er Jahre waren dort mehr als 65.000 Menschen untergebracht.
Das Museum beschönigt nichts. Es präsentiert nicht nur die Geschichte sowie nüchterne Zahlen, die Gestaltung des Museums selbst ist bedrückend. Die Gänge erinnern an ein Gefängnis, die Wände sind rot, an die Decke sind Teile des Himmels gemalt, darüber ein Gitter. Bei einer Tour durch das Gebäude sieht man Gefängniszellen, persönliche Gegenstände und Briefe von Häftlingen, die Büros der Administration. Einzelne Räume des Museums erinnern an die verschiedenen Gruppen, die im Karlag gefangen waren: Künstler, Wissenschaftler, Gelehrte, die verschiedenen Nationalitäten, Frauen und Kinder, die im Sonderlager Alschir interniert waren.
Auch der Schriftsteller Alexander Solschenizyn, Autor von „Archipel Gulag“ war dort inhaftiert. Die meisten wurden zur Minen– und Feldarbeit abgestellt. Inhaftierte Wissenschaftler erforschten jedoch und entwickelten sogar neue Pflanzenarten. Das Museum informiert auch über die Subkulturen im Lager.
Kasachstan litt unter stalinistischem Terror
Die Deportationen nach Kasachstan werden ebenfalls thematisiert. Bereits 1936 und 1937 wurden vor allem Polen aus der Westukraine sowie Koreaner nach Kasachstan deportiert. Nach dem Ausbruch des Krieges in der Sowjetunion 1941 folgten Deutsche, Balten, Tataren sowie etliche andere Volksgruppen. Insgesamt wurde knapp ein halbe Million Deutsche nach Kasachstan deportiert. In Karaganda gab es zudem ein Sonderlager für deutsche Kriegsgefangene.
Das Museum zeigt auch die Geschichte Kasachstans und wie die Sowjetrepublik unter dem stalinistischen Terror litt. In Europa ist weitgehend unbekannt, dass der Holodomor zu Beginn der dreißiger Jahre nicht nur Millionen Ukrainer das Leben kostete, sondern auch rund zwei Millionen Kasachstaner in den Tod riss. 1959 wurde das Lager geschlossen. Danach wurde das Gebäude der Lagerverwaltung für administrative Aufgaben benutzt. 2001 eröffnete schließlich das Museum.
Nicht nur Geschichtsinteressierte sollten erwägen, Karaganda einen Besuch abzustatten. Die Überbleibsel aus der Sowjetzeit und das Karlag-Museum machen die Stadt zu einem Ziel, das Kasachstan von einer anderen Seite als die Metropolen Almaty und Astana zeigt.