Zwei Frauen, zwei Schicksale, eine Geschichte: Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek veröffentlichte 1975 den Roman „Die Liebhaberinnen”. Schonungslos beschreibt sie das Leben von Frauen, die zu dieser Zeit in Deutschland und Österreich nicht einmal ohne ihren Ehemann zu fragen, arbeiten gehen durften. Ein Moskauer Regisseur hat den Roman nun in Almaty auf die Bühne gebracht.
„Wenn einer ein Schicksal hat, dann ist es ein Mann. Wenn einer ein Schicksal bekommt, dann ist es eine Frau.” Solche und ähnliche Zitate finden sich in Elfriede Jelineks Roman „Die Liebhaberinnen” nicht gerade selten. Dementsprechend prägten sie auch die auf dem Roman basierende Inszenierung „Liebe in sich tragen“ (original Любовь имеющие внутри) des Moskauer Regisseurs Rushan Iksanov, die Anfang April 2018 im Theater ARTiSHOCK vom Publikum gefeiert wurde.
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Von Liebe und gesellschaftlichem Aufstieg
Der für Iksanovs Inszenierung als Grundlage gewählte Roman “Die Liebhaberinnen” erzählt die von gesellschaftlichen Zwängen und geschlechterspezifischen Abhängigkeiten geprägten Schicksale zweier junger Frauen – der Städterin Brigitte und des Landmädchens Paula. Beide streben auf ihre Art nach Glück, Liebe und gesellschaftlicher Anerkennung, doch merken schnell, dass ihre Träume kaum auf romantische Erfüllung harren.
Brigitte (im Stück gespielt von Anastasia Tarasova), die in einer Miederwarenfabrik arbeitet, sehnt sich nach sozialem Aufstieg und sieht als einziges Mittel ihre Beziehung zu Heinz. Heinz (Dmitrij Kopylov), hat durch seinen sicheren Beruf als Elektroinstallateur nämlich „eine Zukunft, Brigitte hat nicht mal eine Gegenwart.“ Da Heinz jedoch bestenfalls sexuell an Brigitte interessiert ist und die Fabrikarbeiterin ihm ansonsten nichts zu bieten hat, versucht Brigitte von ihm schwanger zu werden. Als ihr dies schließlich gelingt, muss Heinz sie heiraten und Brigitte erreicht damit ihr Ziel, als nunmehr Hausfrau, Teil einer finanziell abgesicherten Familie zu werden.
Die aus einem brutalen Elternhaus stammende Paula (Katja Dsvonik) hat hingegen wirkliche Träume, die sie jedoch bald aufgeben muss. Stattdessen verliebt sie sich in den Holzarbeiter Erich (Nursultan Mukhamedjanov), dessen einziger Vorzug sein gutes Aussehen ist. Als sie von ihm schwanger wird, ist sie gesellschaftlichem Hohn und Prügel ihrer Eltern ausgesetzt. Doch auch eine Heirat mit Erich kann wenig an ihrem Schicksal verändern. Erich versäuft jegliches Geld, sodass sich Paula zu Prostitution getrieben fühlt. Schließlich landet sie als Arbeiterin in der Miederwarenfabrik, von der Brigitte den Absprung zur Hausfrau geschafft hat.
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Flache Klischeebedienung oder schonungslose Wahrheit?
Die österreichische Autorin Jelinek versuchte sich mit dem 1975 erschienenen Werk „Die Liebhaberinnen” an ihrem ersten realistischen Roman. Daneben fanden auch eigene biografische Erfahrungen in den Roman Eingang – Jelinek erlebte in ihrer Jugend selbst das Leben im ländlichen österreichischen Milieu. Durch die brutalen und ins sarkastisch gezogenen Beschreibungen der Verhältnisse schafft die für gesellschaftliche und geschlechterspezifische Kritik bekannte Autorin, auch in diesem Werk ihr Missfallen über männerdominierte Gesellschaftsstrukturen sowie die Klassengesellschaft auszudrücken. Dabei scheint hier jedoch ihr Blickwinkel zu eingeengt auf die gesellschaftliche Abhängigkeit der Frau.
Frauen werden grundsätzlich als ihrem Schicksal ausgelieferte und schwache Wesen dargestellt, während das Männerbild zwischen alkoholtrinkenden Grobianen und finanziell abgesicherten Muttersöhnchen schwankt. Mehr Facetten scheint es in diesem Werk kaum zu geben. Oder muss man Jelinek zuerkennen, dass sie damit zwar schonungslos und teils übertrieben, letztlich aber wahrheitsgetreu das Schicksal vieler Frauen im Mitteleuropa der 70er Jahre und in anderen Ländern noch heute auffängt?
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Schauspielerische Beweglichkeit
Dass eine Theaterinszenierung diesen scheinbar unbeweglichen Gegebenheiten nicht ausgeliefert sein muss, bewies Iksanov. Mit viel Sarkasmus, Witz aber auch verhältnismäßiger Brutalität und erschreckender Ehrlichkeit, schaffte er es, ein gesellschaftskritisches aber im Ganzen nicht übertrieben wirkendes Stück auf die Bühne zu bringen. Dabei demonstrierte er ein Händchen für das Spiel mit schauspielerischen Bildern und wirkungsstarkem Minimalismus. Für eine Motorradszene reichten nicht mehr als eine Taschenlampe, laute Musik und schauspielerisches Talent aus und auch das in Paula unter Prügel der Eltern heranwachsende Kind konnte mithilfe einer durch eine Plastikschicht wachsenden Pflanze dargestellt werden.
Dazu trug auch das vielseitige Bühnenbild bei, welches trotz weniger Utensilien für jegliche Szene seine Funktion erfüllte und von dem Publikum noch dazu von allen Seiten bestaunt werden konnte. Beweglichkeit bewies aber nicht allein der Regisseur, sondern auch die Schauspieler. Lediglich die Hauptrollen wurden permanent besetzt, während die restlichen Charaktere von wenigen Schauspielern wechselnd dargestellt wurden. So musste man sich als Publikum während des Schlussapplauses fast wundern, als sich insgesamt nur sieben Schauspieler verbeugten – waren da nicht eine Reihe weiterer Charaktere gewesen?
Bei der Produktion des Stückes handelt es sich um eine Zusammenarbeit des Almatiner Theaters mit der “Union der Theaterarbeiter der Russischen Föderation”, welche neben Jelineks Romanstück auch das Stück “Tiergeschichten” hervorgebracht hat (21.-22. April im Theater ARTiSHOCK, Tickets unter: http://artishock.kz/). |