Die kasachstanische Gesellschaft befindet sich im Wandel. Zwischen Tradition und Moderne, östlichem und westlichem Einfluss, Hierarchie und Forderungen nach Mitbestimmung. Wie wirkt sich der Wandel auf das Wertesystem der Bürger aus? Und inwieweit machen sich hier aktuelle weltweite Trends bemerkbar? Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hat im vergangenen Jahr die Studie „Werte der kasachstanischen Gesellschaft aus soziologischer Perspektive“ durchgeführt, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Die Ergebnisse stellte die FES Anfang der Woche in Nur-Sultan auf einer gemeinsamen Konferenz mit dem Institut für Weltwirtschaft und Politik (IMEP) vor.

Die Studie zeigt, dass das westliche Wertemodell immer stärker Einzug hält in Kasachstan – allerdings nicht in allen Bereichen gleich schnell: Vom Paternalismus entfernt sich das Land demnach schneller als vom Kollektivismus. Eine zentrale Rolle spielt die nationale Identität. So gaben in der Studie zwei Drittel der Befragten an, sich in erster Linie als Bürger Kasachstans zu identifizieren und sich als Einheit mit den restlichen Einwohnern des Landes zu verstehen.

Interessant sind in dem Zusammenhang Zahlen zur Sprachverwendung: So gab ein Viertel der älteren Befragten an, Kasachisch als Alltagssprache zu verwenden – unter den Jüngeren dagegen schon 40 Prozent, während Russisch in den Städten dominant bleibt. Hier machen sich die Maßnahmen der Regierung bemerkbar, die etwa mit der Latinisierung der Schriftsprache das Kasachische fördert. Die FES prognostiziert, dass Kasachisch in fünf bis zehn Jahren die Alltagssprache im Land sein wird. Gleichzeitig zeigt sich, dass zwischenethnische Ehen mehrheitlich positiv oder neutral gesehen werden.

Verdienst am wichtigsten

Große Beachtung fanden in der FES-Studie auch die Themen Arbeit und Professionalisierung. Wichtige Erkenntnisse: Die Mehrheit der Befragten orientiert sich an einem demokratischen Führungsstil und findet, dass nicht nur Führungskräfte für die Erledigung von Aufgaben verantwortlich sein sollten. Für etwa die Hälfte ist die Qualität der erworbenen Kenntnisse wichtiger als formale Errungenschaften wie ein Diplom, was laut FES dem weltweiten Trend entspricht. Eine Abkehr vom antimaterialistischen homo sowjeticus zeigt sich darin, dass der Verdienst für eine große Mehrheit der wichtigste Arbeitswert ist – gefolgt von einem „guten Kollegium“.

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Die Macher der FES-Studie stellen zwar eine generelle Modernisierung der Gesellschaft und des kasachstanischen Wertesystems fest. Interessant ist jedoch, dass dies nicht zu einer Veränderung der familiären Werte führt: Die Sicherheit der Familie und Respekt vor Eltern und Älteren bleiben demnach von maßgeblicher Relevanz.

Werte „nichts Abstraktes“

Die FES zeigte sich mit den Ergebnissen der Studie zufrieden. Es sei unter anderem gelungen, „hervorzuheben, wie die Menschen ihre Identität verstehen und welchen Bezug sie zu ihrer Sprache, Religion und zu Patriotismus haben“. Auf der Konferenz hob Christoph Mohr, der Leiter der FES in Zentralasien, auf die Funktion gemeinsamer Werte ab. Es gehe darum, Menschen zu vereinen und eine funktionierende Gesellschaft zu schmieden. „Wir als Friedrich-Ebert-Stiftung sind fest davon überzeugt, dass inklusive, geeinte und faire Gesellschaften stabil und funktionstüchtig sein können.“

Auch IMEP-Leiter Jerschan Saltybajew kommentierte die Bedeutung von Werten. Diese seien „nichts Abstraktes, sondern das, was die Menschen antreibt und ihre Entscheidungsfindung sowie ihr alltägliches Verhalten beeinflusst.“ Er wies zudem darauf hin, dass auch sein Institut aktuell an einem Studienprogramm zum menschlichen Kapital arbeite, um Aussagen über dessen Qualität in Kasachstan zu treffen. Auch die FES will sich in den kommenden Wochen noch einmal auf einer Veranstaltung in Almaty mit dem Wertebild der Kasachstaner auseinandersetzen.

Christoph Strauch

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