Die Geschichte der deutschen Wiedervereinigung zum Nacherleben – ein anschauliches Bild von dem Weg zur Friedlichen Revolution und des Einigungsprozesses. Über die Macht des Volkes, der Berichterstattung und der Diplomatie.

Am 2. Oktober 1990 endet die Amtszeit der ersten und zugleich letzten demokratisch gewählten Regierung der DDR. In nur 173 Tagen verhandelt die Regierung unter Leitung des Ministerpräsidenten Lothar de Maizière 795 Kabinettsvorlagen, 164 Gesetze und drei Staatsverträge. Mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages vereinigen sich beide deutsche Staaten zu einem souveränen Staat.

Diesen Entwicklungen geht eine turbulente Phase des politischen Umbruchs voraus, insbesondere ab Mitte der 1980er Jahre. Während in der Sowjetunion zu dieser Zeit innere Reformen vorangetrieben werden, setzt die Führung der DDR unter Erich Honecker auf Abgrenzung, Reglementierung und Überwachung. Zudem verschärfen sich die ökologischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes. Die Unfähigkeit zu politischen Veränderungen und die Weigerung, auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen, lassen viele Ostdeutsche am alleinigen Machtanspruch der SED zweifeln. Vor diesem Hintergrund finden im Mai 1989 turnusmäßig Kommunalwahlen in der DDR statt. Dabei überwachen Bürgerrechtsgruppen erstmals die Abgabe und Auszählung der Stimmen in den Wahllokalen. Es gelingt ihnen, die Fälschung des offiziellen Wahlergebnisses zu beweisen, indem sie die teilweise erheblichen Unterschiede zwischen ihren Aufzeichnungen und dem verkündeten Wahlergebnis publik machen.

Dies führt in der Folge zu landesweiten Protesten. In den folgenden Sommermonaten reisen viele DDR-Bürger nach Tschechien, Polen und Ungarn auf der Suche nach einer Möglichkeit, die DDR zu verlassen. Zu Tausenden strömen sie in die bundesdeutschen Botschaften in Prag, Budapest und Warschau, um ihre Ausreise zu erzwingen. In Ungarn nutzen die Menschen den ersten „Riss“ im Eisernen Vorhang, um über die durchlässige, aber immer noch bewachte Grenze in den Westen zu fliehen. Die Massenflucht verschärft die innenpolitische Krise in der DDR. Parallel dazu formiert sich innerhalb der DDR eine Bürgerrechtsbewegung, die einen gesellschaftlichen Dialog über die Probleme im Land und demokratische Reformen fordert. Ab September gehen die Menschen in Leipzig wöchentlich auf die Straße. Um das Problem der Botschaftsbesetzungen zu entschärfen, stimmt die DDR-Regierung nach schwierigen Verhandlungen einer Ausreise der DDR-Flüchtlinge in die Bundesrepublik zu. Gleichzeitig fällt in den ersten Oktobertagen die Entscheidung, die Grenzen zur ČSSR zu schließen. Damit ist auch der letzte Fluchtweg abgeschnitten. Die Wut der Zurückgewiesenen entlädt sich in ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei in Dresden und anderen Orten. Davon unbeirrt wird am 7. Oktober der 40. Jahrestag der DDR-Gründung begangen. Während sich die Staatsführung feiert, versammeln sich in vielen Städten die Menschen zu Gegendemonstrationen, gegen die die Volkspolizei hart durchgreift. Vor diesem Hintergrund ist die Lage am 9. Oktober besonders angespannt. In Leipzig nehmen an diesem Tag rund 70.000 Menschen an der bis dahin größten unabhängigen Demonstration in der DDR statt. Die bereitstehenden Sicherheitskräfte greifen jedoch nicht ein, alles bleibt friedlich. Das hat Signalwirkung: In den folgenden Wochen gehen immer mehr Menschen auf die Straße, die Proteste weiten sich auf andere Städte in der DDR aus. Unter dem Druck der gesellschaftlichen Entwicklung entschließt sich die SED zu einem Führungswechsel. Der langjährige Vorsitzende Erich Honecker wird zum Rücktritt gezwungen und sein Stellvertreter Egon Krenz zum Nachfolger ernannt. Dieser Schritt trägt jedoch nicht zur Beruhigung der innenpolitischen Lage bei; die Massenproteste gehen unvermittelt weiter. Nach nur einem Monat Amtszeit muss auch Egon Krenz und mit ihm der gesamte Ministerrat am 7. November 1989 zurücktreten. Tags darauf tritt das SED-Politbüro geschlossen zurück. Dann überschlagen sich die Ereignisse: Auf einer Pressekonferenz am Abend des
9. November 1989 kündigt der SED-Funktionär Günter Schabowski neue Reiseregelungen an, die es DDR-Bürgerinnen und –Bürgern ermöglichen, ohne Beschränkungen reisen zu können. Auf die Nachfrage eines Journalisten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens antwortete Schabowski irrtümlich „sofort, unverzüglich“. In den Abendnachrichten der Westmedien wird daraufhin die Öffnung der Berliner Mauer verkündet. Tausende machen sich auf den Weg an die Grenze, um die Meldung zu überprüfen. Die überforderten und nichtinformierten Grenztruppen geben dem Druck der Bevölkerung nach. Der erste Schlagbaum öffnet sich am Grenzübergang Bornholmer Straße. Die Mauer ist offen.

Der Zusammenbruch des Grenzregimes beschleunigt den weiteren Machtzerfall der SED. Mitte November 1989 wird die letzte nicht-demokratisch legitimierte Volksvertretung der DDR unter Leitung von Hans Modrow eingesetzt. Die Tätigkeit der neuen Regierung wird von einem Zentralen Runden Tisch kontrolliert, der sich auf Initiative einer Bürgerrechtsgruppe am 7. Dezember 1989 gegründet hatte. Bei den Rund-Tisch-Gesprächen, an denen alte und neue politischen Kräfte vertreten sind, geht es um die demokratische Umgestaltung der DDR. Ein zentrales Anliegen ist dabei die Vorbereitung freier Wahlen. Sowohl die ostdeutsche als auch die westdeutsche Regierung entwickeln zu dieser Zeit bereits Ideen für eine etwaige Vereinigung beider Staaten in Form von Vertragsgemeinschaften und Konföderationen. Voraussetzung für konkrete Verhandlungen bleibt jedoch die Wahl einer demokratisch legitimierten DDR-Regierung.

Da auch im Winter 1990 noch tausende Menschen die DDR verlassen und sich die Wirtschaftslage stetig verschlechtert, verständigen sich Regierung und Runder Tisch auf den 18. März 1990 als Wahltermin. Schnell gründen sich Wahlbündnisse. Die CDU-Ost, die Deutsche Soziale Union (DSU) und der Demokratische Aufbruch (DA) schließen sich zur „Allianz für Deutschland“ zusammen. Im Bund Freier Demokraten (BFD) versammeln sich die liberalen Parteien der DDR. Außerdem treten die SPD, die PDS, wie die SED nach Änderung ihres Namens heißt, und einige Bürgerrechtsbewegungen, die ihre Kräfte im „Bündnis 90“ bündeln, gegeneinander an. An der ersten demokratisch durchgeführten Volkskammerwahl beteiligen sich 93,4% der Wahlberechtigten. Überraschender Sieger wird die Allianz für Deutschland, die mit der Forderung nach einer möglichst schnellen Vereinigung angetreten war. Zweitstärkste Kraft wird die SPD, während die PDS die drittmeisten Stimmen erhält. Zudem ziehen Bündnis 90 und der BFD in die Volkskammer ein.

Anfang April beauftragt die neue Volkskammerpräsidentin, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, den Spitzenkandidaten der CDU, Lothar de Maizière, mit der Regierungsbildung. Nach kurzen Verhandlungen entschließen sich die Allianz für Deutschland, die SPD und die liberalen Parteien zur Bildung einer großen Koalitionsregierung. Lothar de Maizière wird Ministerpräsident dieser ersten frei gewählten DDR-Regierung, die sich großen Herausforderungen gegenübersieht: Umsetzung innenpolitischer Reformen, Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation sowie die Schaffung der nationalen und internationalen Voraussetzungen für eine deutsche Einheit.
Das erste große Vorhaben der neuen Regierung ist die Aushandlung einer Währungs-, Wirtschafts– und Sozialunion mit der Bundesrepublik. Zentrale Inhalte des ersten Staatsvertrages sind die Einführung der sozialen Markwirtschaft in der DDR, die Umstellung der Währung auf Deutsche Mark, die Privatisierung staatlicher Betriebe und die Einführung des westdeutschen Sozial– und Rentensystems.

Größte außenpolitische Herausforderung sind die Verhandlungen mit den alliierten Siegermächten über eine Zustimmung zur Vereinigung und die Klärung der Frage der künftigen Bündniszugehörigkeit des geeinten Deutschland. In vier Verhandlungsrunden über den Zwei-plus-Vier-Vertrag einigen sich die Außenminister der Bundesrepublik, der DDR und der Vier Mächte auf den Verzicht der Rechte und Pflichten der Besatzungsmächte, die Rückgabe der souveränen Rechte an Deutschland und die Bestätigung des endgültigen Charakters der deutschen Grenzen. Mit der Zustimmung der Sowjetunion zu einer NATO-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands steht der Vereinigung beider Staaten schließlich nichts mehr im Wege.

Parallel zu den außenpolitischen Entwicklungen laufen die deutsch-deutschen Verhandlungen über den Einigungsvertrag, in dem die Einzelheiten für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland geregelt werden, auf Hochtouren. Dieser zweite Staatsvertrag beinhaltet die Übernahme bundesdeutscher Rechtsnormen und enthält zahlreiche Übergangsfristen. Besonders strittige Punkte bleiben bis zum Schluss die Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch, die Fragen der Hauptstadt und des Regierungssitzes, der Umgang mit den Akten der Staatssicherheit oder die Regelung offener Finanz– und Vermögensfragen. Nach nur etwa acht Wochen Verhandlungen unterschreiben die Verhandlungsführer Wolfgang Schäuble und Günther Krause am 31. August 1990 den Vertrag. Nachdem knapp drei Wochen später Volkskammer und Bundestag zustimmen, tritt der Vertrag mit Wirkung zum 3. Oktober 1990 in Kraft.

Die deutsche Teilung ist Geschichte.

Fanny Heidenreich und Clemens Villinger

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