Gespräch mit Reinhard Krumm über den Schriftsteller Isaak Babel
DAZ: Herr Krumm, ist es wichtig, einen Schriftsteller wie Isaak Babel auch als Menschen kennenzulernen?
Dr. Reinhard Krumm: Isaak Babel zu kennen, zu wissen, wie er gelebt hat, ist nicht nur für interessierte Leser sowjetischer Literatur wichtig. Sondern auch für Leser in Deutschland, die sich ein Bild machen wollen von der Zeit, in der Babel gelebt hat. Geboren ist Babel zur Zarenzeit, aufgewachsen im vorrevolutionären Russland und in der Ukraine, teilgenommen hat er am polnischen Feldzug der sowjetischen Armee. Und in den 20er und 30er Jahren, dieser Umbruchszeit, hat er in Moskau und Leningrad gelebt.
Die Sozialgeschichte am Beispiel Babels ist von großem Interesse. Babel ist ein Mann mit vielen Widersprüchen. Das ist nicht ungewöhnlich für einen Schriftsteller, aber Babel war eben kein typisch sowjetischer Schriftsteller. Sondern ein russischer Schriftsteller mit jüdischen Wurzeln und Rätseln, die ihn so interessant machen.
DAZ: Sie haben sieben Jahre lang an einer Babel-Biografie gearbeitet. Haben Sie ein abgeschlossenes Bild der Figur bekommen?
Krumm: Nein. Es gibt nach wie vor bestimmte Fragen, Teile seiner Persöhnlichkeit, die sich mir nicht erschlossen haben. Ich habe sicher nicht die endgültige Biographie geschrieben, dafür fehlt vieles. Außerdem bin ich eben kein Russe. Ich habe Babel als Slawist entdeckt.
DAZ: Isaak Babel gilt als Schöpfer einer eigenen Sprache. Sie haben Babel sowohl auf Russisch als auch auf Deutsch gelesen. Wie finden Sie die Übersetzung von Peter Urban?
Krumm: Babels Prosa erinnert mich zum Teil an Poesie, die manchmal unübersetzbar ist. Denn Babel hat Laute eingesetzt, die wir im Deutschen nicht haben. Die Übersetzungen von Peter Urban finde ich hervorragend.
DAZ: Die jüdische, odessitische Romantik, die Babels Erzählungen prägen, war für den „normalen“ Bürger von Odessa alles andere als beliebt und verständlich. Trotzdem war der literarische und journalistische Erfolg von Babel groß. Woran liegt das?
Krumm: Ich glaube, das Werk von Babel war in der ganzen Sowjetunion bekannt. Der russische Linguist und Anhänger der formalistischen Schule Viktor Schklowski bezeichnete die Gruppe um Babel herum einmal als „odessitisch“. Babel hat sich als Messias verstanden, der die Sonne nach Russland bringen will.
DAZ: Ist die Erzählsammlung „Reiterarmee“ für Sie eher ein autobiographisches Tagebuch oder ein literarisches Werk?
Krumm: Ohne Frage ist die Reiterarmee ein literarisches Werk. Babels Werke haben immer autobiografische Züge, doch sie sind überhöht. Das kann man nicht eins zu eins übernehmen, obwohl man manchmal den Eindruck bekommt.
DAZ: Warum hat die Zensur ein so kritisches und ironisches Werk wie „Reiterarmee“ überhaupt durchgehen lassen?
Krumm: Weil es eine relative Freiheit gab, das darf man nicht vergessen. Es gab Maxim Gorki, der auch einen gewissen Einfluss hatte. Babels 34 Geschichten der Reiterarmee erschienen in verschiedenen Ausgaben, wie zum Beispiel in „LEF“, dem Avantgarde-Magazin Majakowskis. Die Jahre 1923 und 1924 waren voller Umbrüche, Babel hat es gerade noch geschafft, sein Werk zu publizieren.
DAZ: Was waren Ihre Eindrücke, als Sie mit den Verwandten, Zeitzeugen und Freunden Babels sprachen?
Krumm: Die Verwandten, das waren vor allem die Tochter Natali Babel, seine erste Frau Shenja Gronfein. Sein Sohn Michail und seine Mutter Tamara Kaschirina, die eine Schauspielerin war. Außerdem seine Frau Antonina Piroschkowa. Babel hat sich nie besonders um seine Familie gekümmert, deshalb gab es auch Kritik an ihm. Allein Frau Piroschkowa war etwas zurückhaltend mit ihrer Kritik, wohl deshalb, weil Babel mit ihr und der Tochter Lidia lange zusammengelebt hat.
DAZ: Der Literat Elsberg bekam vom NKWD den Auftrag, Babel auszuspionieren. Haben Sie auch mit ihm gesprochen?
Krumm: Nein. Bekannt ist nur, dass Babel vom NKWD überwacht worden ist. Das belegen Dokumente. Das war sicher auch Babel bekannt, doch er hat sich nie darum geschert. Babel wollte immer in Russland bleiben, um zu schreiben. Er brauchte Russland wie die Luft zum Atmen. Deshalb hat er das Land nicht verlassen, wofür er bitter bezahlt hat. Aber sein Werk bleibt. Mein Wunsch als ein Biograph von Babel ist, auch die Person Isaak Babel zu rehabilitieren. Er war ein Mensch seiner Zeit. Gerade Lebensläufe gab es zu der Zeit nicht, vor allem nicht für jemanden, der intellektuell tätig war, so wie Babel.
DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Natalia Salipjatskich