Es ist ein Vorhaben, dass in seinen Anforderungen dicht an der Grenze des heute Realisierbaren geht, was die deutsche Bundesregierung da beschlossen hat. Bis 2020, also im Verlauf von nur etwa 14 Jahren, sollen die Grundstrukturen der Energieversorgung Deutschlands so radikal umgewandelt werden, dass in den darauffolgenden Jahrzehnten die heutige Abhängigkeit von Energieimporten, darunter auch aus Kasachstan, de facto beseitigt sein soll.
Im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen die Erhöhung der Effizienz des Einsatzes von Energieträgern aller Art und in allen Bereichen, sowie der Einsatz regenerierbarer Energiequellen, vor allem Wind, Sonne, Bio- und Geothermalenergie. Das Vorhaben ist deshalb sehr ambitioniert, weil Deutschland bereits heute zu den energieeffektivsten Wirtschaften der Welt gehört. So ist zum Beispiel die Energieintensität der Produktion fast um den Faktor fünf geringer als in Kasachstan.
Diktiert wird das Bündel von radikalen Maßnahmen vor allem durch die mehr als alarmierenden Meldungen über das durch uns Menschen bereits verdorbene Klima. Die EU-Mitgliedsstaaten haben kürzlich beschlossen, den Ausstoß des Klimakillers CO2 um 20 Prozent bis 2020 zu sichern. Deutschland will dieses Ziel mit 40 Prozent um das Doppelte übertreffen. Insgesamt sollen so in 2020 im Vergleich zu 1990 270 Mio. Tonnen CO2 eingespart werden. Unter anderem ist vorgesehen, den Stromverbrauch absolut (also nicht nur pro Produktionseinheit) um 11 Prozent zu verringern, den Anteil erneuerbarer Energieträger an der Stromerzeugung (der jetzt etwa acht Prozent beträgt) auf 27 Prozent zu steigern, die kombinierte Erzeugung von Strom und Wärme („Wärme-Kraft-Kopplung“) zu verdoppeln, 14 Prozent des Wärmebedarfs aus Bioenergie und 17 Prozent des Kraftstoffbedarfs aus Bio-Kraftstoffen zu decken. Zum Erreichen dieser anspruchsvollen, aber auch mehr als nötigen Ziele soll neben vielfältigen Innovationen in den unterschiedlichsten Bereichen der Wirtschaft auf umfassende Gebäudesanierung und Wärmedämmung, Erneuerung der Heizungsanlagen und den Ersatz bzw. grundlegende Erneuerung von Kohle- und Gaskraftwerken gesetzt werden. Eine interessante Einzelmaßnahme ist die Einführung eines Energiepasses für Gebäude, der dem Besitzer, Mieter oder Käufer eindeutig zeigt, wieviel das Haus oder die Wohnung an wertvoller, teurer und nur begrenzt vorhandener Energie verbraucht. Diese Praxis gibt es in Europa ja schon seit längerem bei Haushaltsgeräten, wo der Kunde im Geschäft an einem Aufkleber auf einen Blick sieht, was für laufende energiebedingte Betriebskosten ihm beim Kauf eines bestimmten Gerätes über die vielen Nutzungsjahre erwachsen.
Dass in der Welt in der Gegenwart infolge der alarmierenden Fakten über den sich wesentlich schneller als erwartet vollziehenden Klimawandel gegebene Umdenken hin zu Energieeinsparung und Nutzung regenerativer Energiequellen wird wohl einen langen Innovations- und Wachstumszyklus auslösen. Die Länder und Unternehmen, die sich diesen nicht einfachen und keinesfalls billigen Anforderungen mit neuen Erzeugnissen, Dienstleistungen und Informationen stellen, werden zum einen durch das Erreichen einer weitgehenden energiepolitischen Unabhängigkeit von Importen belohnt. Weiterhin wird die Wirtschaft lang anhaltend boomen, weil die internationale Konkurrenzfähigkeit durch geringere Energiekosten erhöht und neue Produkte der Energietechnik eine umfassende Nachfrage generieren werden. Der Start für diesen lang anhaltenden Innovationszyklus ist mit Sicherheit schon vor etwa zehn Jahren gefallen, und bereits heute haben z. B. deutsche Firmen Probleme, die große internationale Nachfrage nach Windenergieanlagen, nach Sonnenkollektoren, nach Dämmstoffen und anderen energierelevanten Materialien und Techniken zu decken. Kurzum, die Kunden stehen bereits heute Schlange, moderne Energietechnik wird morgen um so mehr ein großer Renner sein.
Kasachstan hat sich bisher leider von diesem entstehenden enormen Produktions- und Absatzpotential nicht beeindrucken lassen und setzt weiter auf konventionelle, nur wenig innovative Energietechniken. Die geplanten und sich zum Teil bereits im Bau befindlichen neuen Kraftwerke werden weiter vor allem Kohle verbrennen, ihr Potenzial zur Verbesserung des Wirkungsgrades ist objektiv sehr begrenzt, die Umwelt wird weit mehr belastet werden, als technisch möglich ist, die riesigen Innovationspotenziale dieser Branche werden trotz vollmundiger Programme nicht begriffen und in Angriff genommen. Hier wirkt sich das Vorhandensein eigener klassischer Energiequellen eindeutig bremsend für die Sachaffung einer modernen, diversifizierten Wirtschaftsstruktur aus. Energieeinsparung, eine de facto unendliche Quelle zur Deckung des wachsenden Energiebedarfs, spielt auch in den offiziellen Entwicklungsprogrammen kaum eine Rolle und kommt höchsten mal in einem Nebensatz vor. Deshalb dürfte es programmiert sein, dass in vielleicht 10 oder 15 Jahren hierzulande wieder mit großem informellen Aufwand ein staatliches Programm für den Energiesektor gestartet wird, das aber nur das Hinterherhinken hinter den dann internationalen Standards beinhalten kann. Nachteile in der Wettbewerbsfähigkeit sind dann unvermeidlich, die Weichen dafür werden aber heute gestellt.
Langfristig ist es für Deutschland und Europa ein großer Vorteil, kaum eigene klassische Energiequellen zu haben. Das zwingt zu Innovationen und zu Veränderungen.
Bodo Lochmann
11/05/07