Zuletzt war ich auf einer Tagung mit lauter Leuten, die sich in der Integrationsarbeit engagieren. Deutsche und Migranten. Und alle waren sie offen und tolerant und interkulturell geschult. Und weil einer der Referenten den Deutschen entgegenkommt, spricht er seinen Nachnamen nicht italienisch aus, sondern deutsch.

Damit es uns nicht peinlich sein muss, wenn wir seinen Namen nicht aussprechen können. Aber weil wir Deutsche auch nicht weniger interkulturell kompetent sind und den Migranten entgegenkommen wollen, sprechen wir den italienischen Namen des Referenten italienisch aus. Daraus entsteht eine kuriose Situation, weil wir Deutsche den italienischen Namen ja lexikalisch richtig, aber dann doch wiederum falsch aussprechen, weil man die Namen ja immer so aussprechen sollte, wie sich das der Namensträger wünscht. Aus Respekt dem anderen gegenüber. Aber ein wenig enttäuscht sind wir dann doch. Drum versuchen wir es immer wieder. Wie meine Mutter zum Beispiel. Meine Mutter freut sich immer, wenn sie was Neues lernt und will ihre neuen Sprachkenntnisse (das türkische Wort für Tee) sogleich anwenden und bestellt stolz in einem türkischen Restaurant Tschai. Und wird prompt nicht verstanden. Das deutsche Wort Tschai kennen sie nicht und rätseln, bis meine Mutter dann doch endlich deutlich sagt, was sie will: Tee. Ach so, Tee. Tschai. Ja, Tschai. Sage sie doch. Und alle sind erleichtert. Aber doch ein Versuch missglückter Verständigung.

Ich selbst habe mal eine Podiumsdiskussion mit türkischen Geschäftsleuten moderiert. Als professionelle Moderatorin übte ich mit meinem Kollegen die Aussprache der Namen. Die meisten gingen weitgehend, nur einer bereitete mir große Probleme. Tschalischir. Dabei darf man das „i“ nicht aussprechen wie ein „normales“ „i“, sondern wie ein guttural verschlucktes und das „r“ gehört gerollt. Wir übten und übten, ich hatte schließlich einen Knoten in der Zunge, fühlte mich wie eine Taube, aber der Name kam mir flüssig über die Lippen. Der Namensträger erschien, ich sprach bei der Begrüßung mit stolz geschwellter Brust seinen Namen lauter als erforderlich aus, mein Kollege und Sprachlehrer zwinkerte mir aufmunternd und respektvoll von der Seite zu. Aber statt eines Lobes sagte Herr Tschalischir: „Du kannst mich Selgün nennen“. Jetzt hatte ich den Namen gerade ein einziges Mal genannt, und schon sollte es für die Ewigkeit sein? So viel Mühe für eine Eintagsfliege? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich nie wieder jemanden mit dem Nachnamen Tschalischir kennen lerne, dass ich beschloss: Gut, hinter den Kulissen Selgün, auf der Bühne Herr Tschalischir. Da dies die letzte Gelegenheit sein würde, das neu Erlernte anzuwenden, erteilte ich Herrn Tschalischir so oft es ging das Wort. Die anderen Redner waren wahrscheinlich etwas beleidigt, aber ich hatte meine Genugtuung. Auch Selgün hat seinen Namen übrigens eingedeutscht. Und unter asiatischen Migranten ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sie sich neue Namen aus dem Land geben, in das sie reisen.  Das ist nett gemeint, irritiert aber meist die Einheimischen. Wenn man jemanden aus Asien kennt, soll der Name auch asiatisch klingen. Und dafür übt man auch gern die Aussprache. Ein Beispiel dafür, dass sich Migranten und Einheimische entgegenkommen. Aber auch ein Beispiel dafür, dass man sich darüber nicht trifft, sondern aneinander vorbeiredet. Ich bin jedenfalls dafür, dass jeder seinen richtigen Namen behält. Die Eindeutschung von Namen gehört meiner Meinung nach eindeutig nicht zu den Integrationserfolgen.

Julia Siebert

01/06/07

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