Unsere Jugendlichen haben es nicht leicht. Finden wir alle. Wie sie das selbst finden, wissen wir nicht so genau. Aber die Jugend fühlt sich per se immer schwierig an, mit all der Pubertät, dem ersten Liebeskummer und so weiter.
Ob die Jugend in erster Linie schön oder schwierig war, weiß man sowieso immer erst im Nachhinein, wenn man nicht mehr mittendrin steckt. Wir Erwachsenen hingegen gucken aus der vermeintlichen Vogelperspektive, vergleichen mit unserer Jugend, die wir verklärend betrachten und befinden: Heute ist es viel schwieriger als damals. Und meinen damit die Berufsperspektiven, die ja an allen Ecken und Enden fehlen würden. Und trimmen unsere Jugendlichen dahin, sich trotzdem welche aufzubauen durch gezieltes Fördern und Fordern. So versauen wir ihnen folgerichtig und erfolgreich die Unbeschwertheit unserer Jugendzeit. Was schon schlimm genug ist.
Viel schlimmer wird es noch bei den Kindern. Die sollte man doch wirklich in Ruhe lassen. Zuletzt habe ich Marc getroffen. Marc ist 11 Jahre alt und damit noch ein waschechtes Kind. Dem Anschein nach. Sobald Marc jedoch anfängt zu sprechen, geht es höchst erwachsen zu. Nun, Marc ist sehr schlau, reif und weise für sein Alter. Ein so genannter Hochbegabter. Aber das ist ja zunächst, für sich genommen, schön – so lange es um Naturwissenschaften, Philosophie und sonst was geht, womit man seinen Geist beschäftigen kann. Geht es jedoch um die Zukunft, spricht mit kindlicher Stimme eine resignierte Abgeklärtheit, die beinahe schockiert. Da hat die Schlauheit auch die kindliche Naivität geschluckt, dass das Leben viele tolle Möglichkeiten bietet und man sich eigentlich nur freuen kann auf das, was da kommen mag.
Nein, Marc sieht das ganz anders. Bereits im Kindergarten beginne die 60-jährige Freiheitsberaubung. Hinzu kommen die ganzen Anstrengungen und Anforderungen – das Leben. Marc möchte schon jetzt am liebsten seine Ruhe haben. Leider könne man das Leben nicht überspringen, um direkt vom Kindergarten in die Rente zu gehen, findet Marc. So muss er sich also doch mit der leidigen Frage auseinandersetzen, was er denn mal werden will. Was ja meist eine rhetorische Frage aus dem Munde von uns Erwachsenen ist, denn meist haben wir uns schon selbst überlegt, was das befragte Kind werden soll oder zumindest könnte, um dann nachzuhorchen, ob das Kind auch schon zu dem Schluss gekommen ist. Wenn nicht, müssen wir langsam und behutsam anfangen, es in die „richtige“ Richtung zu lenken.
umindest amüsant ist es doch, wenn das Kind Rennfahrer, Astronaut, Feuerwehrmann oder Eisverkäufer werden will. Zur eigenen Belustigung spielen wir das Spiel noch ein wenig mit, um es heimlich dabei zu beobachten, ob es einen guten Rechtsschuss, einen Hang zu Zahlen hat oder gern Doktorspiele spielt. „Was willst du denn mal werden?“ wurden wir alle mal gefragt, und nie ernteten wir für unsere Antworten ernsthaften Respekt. Und doch begehen wir wieder denselben Fehler an unserem Nachwuchs. In dieselbe Falle bin auch ich getappt. Aus Marc kann viel werden, denke ich mir; so, wie er spricht, sehe ich ihn schon als Schriftsteller vor mir. Da er gern tüftelt, könnte er auch ein Physiker oder Chemiker werden. Oder… Aber nein! Sein Traumberuf sei Verkäufer im Edeka-Supermarkt im Schwarzwald! Ja, was will man dazu sagen?! Zumindest ist es mir gelungen, nichts zu sagen. Ja, warum eigentlich nicht Verkäufer im Schwarzwald?!
Andererseits stimmt es mich schon bedenklich, dass sich unser hochbegabter Nachwuchs in den Schwarzwald verkrümeln will, um dort einen ruhige Kugel zu schieben und von uns Förderern und Forderern in Ruhe gelassen zu werden. Wenn wir nicht mit dem Drängeln aufhören und den Druck rausnehmen, bleiben wir als Senioren allein und unversorgt in den Großstädten hängen, ohne Ärzte, Apotheker und Anwälte, während die jungen Menschen vor uns flüchten und aus dem Stadtbild verschwinden. Keine so schöne Aussicht.
Julia Siebert
04/07/08