Der Umgang mit Strafgefangenen wird in jeder Gesellschaft kontrovers diskutiert. Auch in Kasachstan besteht hinsichtlich des Justizvollzugs Reformbedarf. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und die Zeitschrift „Exclusive-Magazine“ luden daher deutsche und kasachstanische Experten zu einer Konferenz mit dem Thema „Humanisierung des Straf- und Justizvollzugs – Konzepte und Praxismodelle. Europäische Erfahrung“ ein.
In seiner Begrüßung bewertete der Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland, Gerold Amelung, die Konferenz als eine Bereicherung der deutsch-kasachischen Beziehungen. Das Thema sei in Kasachstan von großer Aktualität. Hohe Gefangenenzahlen, die Ausgestaltung des Strafvollzugs und der Umgang mit den Strafgefangenen sind in Kasachstan mit vielen Problemen verbunden. Der Konferenz vorangegangen war bereits ein durch die FES ermöglichter fünftägiger Berlin-Besuch von zwei Leitern kasachstanischer Strafkolonien sowie Mitarbeitern aus dem Justizministerium Kasachstans. Während ihres Aufenthalts in Deutschland konnten sie sich ein Bild von den deutschen Justizvollzugsanstalten (JVA) machen.
Die Eckpfeiler des deutschen Strafvollzugs
Die deutschen Gäste, Susanne Gerlach, Leitende Senatsrätin für Justiz aus Berlin, und Dr. Uwe Meyer-Odewald, Leiter der JVA des Offenen Vollzugs in Berlin, schilderten den Vertretern aus Justiz und der Zivilgesellschaft Kasachstans die Grundsätze des Strafvollzugs in Deutschland, die Einbindung der Zivilgesellschaft sowie die Merkmale des Offenen und des Geschlossenen Vollzugs. Die wesentlichen Aufgaben des Strafvollzugs, die Resozialisierung der Gefangenen und der Schutz der Allgemeinheit, könnten nur mit entscheidenden Grundlagen erfüllt werden. Vor allem bedürfe es gut ausgebildeten und motivierten Personals. Gerlach führte in diesem Zusammenhang aus, dass in Berlin auf 5000 Gefangenen in acht Anstalten 2800 Mitarbeiter kommen, die neben ehrenamtlichen Vollzugshelfern aus der Bevölkerung einen menschenwürdigen, auf die Resozialisierung hin ausgerichteten Strafvollzug ermöglichen. In Deutschland wie in Kasachstan stoßen Verfechter der Rechte der Gefangenen oft auf Kritik aus der Zivilgesellschaft. Dr. Meyer-Odewald betonte deshalb, dass eine menschenwürdige Behandlung der Gefangenen und vor allem die Gewährung ihrer Menschenrechte nicht mit unberechtigten Privilegien verwechselt werden dürfe. Auch der Strafvollzug in Deutschland blickt auf eine sehr dynamische Geschichte mit großen Veränderungen während der letzten 50 Jahre zurück, in deren Verlauf sich das Strafvollzugssystem immer mehr nach außen geöffnet hat.
Reformbedarf in Kasachstan
In den Vorträgen der geladenen Experten aus Kasachstan wurden die rechtlichen Grundlagen in Kasachstan erläutert sowie jüngste Maßnahmen wie der Wechsel des Strafvollzuges vom Justizministerium zum Innenministerium und das jüngst entworfene Programm zur Humanisierung des Strafvollzuges aufgeführt. In seinem Schlusswort unterstrich der Moderator Rasul Jumaly, Chefredakteur des „Exclusive Magazines“, die Vorbildfunktion des deutschen Systems für Kasachstan. Während besonders die Strukturen wie der offene Vollzug in Deutschland eine Resozialisierung in den meisten Fällen ermöglichen, bergen die Zustände in den kastachstanischen Gefängnissen für die Gefangenen Gefahren in sich, wie spätere Perspektivlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt, Ansteckung durch gefährliche Krankheiten und Verletzung ihrer Menschenrechte. Die Reformen des Strafvollzugssystems in Kasachstan müssten allerdings unbedingt im Rahmen der gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse stattfinden. Dabei könne in naher Zukunft vor allem auch auf Reformen Wert gelegt werden, die keine großen finanziellen Kosten verursachen, so zum Beispiel ein korrekter Umgang mit Gefangenen und die Vermeidung jeglicher Willkür.
Am folgenden Tag besuchten Gerlach und Dr. Meyer-Odewald Studenten der Fakultät für internationale Beziehungen der Kasachischen Nationalen Universität Al-Farabi um mit ihnen den Strafvollzug und die Situation in den Gefängnissen zu diskutieren sowie um sich ihren Fragen zu stellen.
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Studenten fragen nach
Adelya Shangaraeva: Gibt es in den deutschen Gefängnissen Psychologen? Wenn ja, wie sieht ihre Arbeit aus und worauf wird besonders Wert gelegt? Ich habe außerdem in einer juristischen Zeitschrift von einem Experiment in Amerika gelesen: dort hat ein Professor seine Studenten in Mitarbeiter und Gefangene eingeteilt und mit ihnen die Situation in Gefängnissen simuliert. Nach kurzer Zeit wurden aus ehemaligen Freunden Feinde. Ist es vielleicht die allgemeine Atmosphäre in den Gefängnissen, die diese Unterdrückung der Gefangenen mit sich bringt?
Gerlach: Auf die 5000 Gefangenen in Berlin kommen 50 Psychologen, die ganz verschiedene Aufgaben erfüllen müssen: besonders intensiv ist ihre Arbeit in den Jugendgefängnissen, darüber hinaus gibt es aber auch spezielle Therapiezentren für besonders gefährliche Menschen. Insgesamt ist das Verhältnis der Anzahl der Gefangenen zu der der Mitarbeiter äußerst wichtig und zentral für die Umsetzung der juristisch-politischen Ziele. Die 5000 Gefangenen in Berlin werden von insgesamt 2800 Mitarbeitern betreut. Dies ist zwar teuer, aber wir sehen gutausgebildetes, motiviertes und ausreichendes Personal als eine gute Investition an. Auf deine Frage zu dem amerikanischen Experiment möchte ich hinzufügen, dass strikte Regeln und Kontrollen bei den Hierarchieverhältnissen in den Gefängnissen sehr wichtig sind. Es gilt, jegliches willkürliches Verhalten vonseiten der Mitarbeitern und ein Missbrauch dieser Hierarchie zu vermeiden.
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Unterschiede zwischen offenem und geschlossenem Vollzug
In § 10 des deutschen Strafvollzugsgesetzes heißt es, dass ein Gefangener mit seiner Zustimmung im Offenen Vollzug untergebracht werden soll, sofern er den Anforderungen des offenen Vollzugs genügt und keine Fluchtgefahr oder die Gefahr der Begehung neuer Straftaten besteht. Der offene Vollzug unterscheidet sich vom geschlossenen Vollzug allein von den Baulichkeiten dadurch, dass im offenen Vollzug keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen die Flucht eines Gefangenen getroffen werden. Die Insassen haben im Idealfall die Möglichkeit, morgens die JVA zu verlassen um einer Arbeit außerhalb der Anstalt nachzugehen. Abends müssen sie sich unverzüglich und freiwillig in die Anstalt zurückbegeben und die Nacht dort verbringen. Der offene Vollzug ist für die Resozialisierung der Gefangen von entscheidender Bedeutung: Hier lernen sie mit Freiheit umzugehen, einer geregelten und regelmäßigen Arbeit nachzugehen und belastbare Beziehungen zu Menschen innerhalb und außerhalb der Anstalt aufzubauen. Der geschlossene Vollzug dagegen ist so ausgestaltet, dass jegliche Fluchtgefahr ausgeschlossen werden kann und der Kontakt der Gefangenen zur Außenwelt eingeschränkt und kontrolliert wird. Insbesondere schwere Straftäter, bei denen Flucht- oder Wiederholungsgefahr besteht, werden im geschlossenen Vollzug untergebracht.