Der Vizepräsident des Bundestages Johannes Singhammer war zu Besuch im Deutschen Haus Almaty. Im Interview spricht er unter anderem über seine Eindrücke von seiner Kasachstanreise, über die Perspektiven der Minderheitenförderung der Bundesregierung und über die Situation der deutschen Sprache in Kasachstan.
Herr Singhammer, was war Ihre Motivation nach Kasachstan zu reisen? Waren Sie vorher schon einmal hier?
Ich war schon einmal vor sieben Jahren hier. Der Grund für meine Reise ist, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, eine Reise zu machen, die gerade in der Zusammenarbeit von Kasachstan und Deutschland eine Perspektive bietet. Dabei können die Menschen mit deutschen Wurzeln eine ganz feste Brücke bilden. Das sind die, die schon nach Deutschland umgesiedelt sind aber vor allem die, die hier noch bleiben und hoffentlich dauerhaft hier wohnen bleiben. Da ist ein Potential drin, was bisher bei Weitem noch nicht ausgeschöpft wurde. Dieses Potential etwas zu aktivieren, ist ein Grund dieser Reise.
Sie haben gerade schon das Stichwort „Kasachstandeutsche bilden eine Brücke zwischen Deutschland und Kasachstan“ angesprochen. Ihrer Meinung nach, was bedeutet diese Phrase?
Ich glaube, dass es eine Phrase bleibt oder bleiben würde, wenn man wirklich nichts täte. Es gibt aber viele Chancen und Möglichkeiten. Ich glaube, dass Kasachstan als ein reiches Land und Deutschland als eine wirtschaftliche und technologische Spitzengesellschaft viel zusammenbringen können. Das heißt wirtschaftliche Zusammenarbeit zu verbessern und natürlich auch die kulturelle Zusammenarbeit, auch die Sprache zu verbessern – es wäre schön, wenn Deutsch wieder eine größere Rolle spielte. Da gibt es viele Projekte. Es gibt viele abgeschlossene Formen der Zusammenarbeit, es könnte aber viel mehr sein.
Wie beurteilen Sie heute, 70 Jahre nach Kriegsende die Minderheitenförderung, die seit 20 Jahren besteht? Wird sie in dieser Form erhalten bleiben oder wird es Modernisierungen geben?
Also zunächst einmal ist es schon wichtig, dass die Bundesregierung diese Förderung in der Vergangenheit festgelegt auch gesichert hat und das dies auch künftig der Fall ist. Das sind 2,5 Millionen jährlich, die insbesondere durch soziale Projekte, aber auch kulturelle– und Bildungspolitische Projekte aufgewandt werden. Aber, jede Art von Förderung muss sich auch immer wieder auf den Prüfstand stellen, überlegen – kann man die Mittel besser, effizienter, vielleicht auch zukunftsgewandter verwenden? Das geht nur im Dialog. Das kann nicht nur eine Einzelentscheidung sein. Ich glaube, dass die Deutschen in Kasachstan da selber ein wichtiges Vorschlagsrecht und Initiativmöglichkeiten haben müssen.
Das heißt, dass die Bundesregierung erwartet, dass auch von Seiten der Kasachstandeutschen Impulse kommen.
So ist es. Ich glaube, niemand weiß es besser als die Deutschen in Kasachstan selbst, was für sie und für ihre Perspektive notwendig ist. Natürlich wird die Situation in zehn Jahren eine andere sein als sie jetzt ist.
Wenn wir von veränderten Situationen heute und in der Zukunft sprechen – auch Kasachstan entwickelt sich weiter. Die Kasachstandeutschen sind fest in die multinationale Gesellschaft der Republik Kasachstan integriert. Auch sind die meisten Kasachstandeutsche bereits nach Deutschland ausgewandert. Können Sie sagen, wie lange es die Minderheitenförderung überhaupt noch geben wird?
Zunächst mal gibt es eine Verantwortung, die natürlich weiter besteht für die Deutschen, die, ich sage mal, im Zusammenhang mit den grauenvollen Wirkungen des Zweiten Weltkriegs einfach schicksalhaft die schlechteren Karten gezogen haben. Die Menschen haben hier Schreckliches erfahren müssen. Daran wird sich nichts ändern.
Die andere Frage ist, wie man die Unterstützung und die Kooperation umstellen kann. Denn es ändert sich auch die Beziehung, weil eine neue Generation da ist. Da, meine ich, ist es wichtig, dass nie der Eindruck entstehen darf, es wäre eine Art von Bevormundung.
Das heißt, sie versuchen, die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und den Kasachstandeutschen in Augenhöhe anzuregen?
So ist es. Das ist, glaube ich, die entscheidende Grundlage und natürlich wird sich etwas ändern, weil sich auch die Geschichte fortentwickelt. Da heißt es, die richtigen Perspektiven zu entwickeln – und zwar gemeinsam.
Sie sind zum „Sprachwahrer des Jahres 2014“ gewählt worden. Durch die so genannte Dreisprachenpolitik wird hier Englisch als erste Fremdsprache gefördert. Immer weniger Schüler in Kasachstan lernen Deutsch heute als erste Fremdsprache. Warum ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll für Kasachstaner, Deutsch zu sprechen? Sollte Deutsch wieder den Status der ersten Fremdsprache in Kasachstan erreichen?
Ich würde mir wünschen, wenn dieser Status wieder erreicht werden könnte. Deutsch ist keine Sprache der Dichter und Denker von gestern, sondern Deutsch ist eine Sprache der technologischen Hochleistungen, der präzisen Möglichkeit, philosophische, aber auch technische Zusammenhänge zu formulieren. Deswegen macht es Sinn.
Es sprechen 100 Millionen Menschen in Europa muttersprachlich Deutsch. Damit ist Deutsch die am meisten gesprochene Muttersprache in Europa.
Sie waren zuvor in der kasachischen Hauptstadt Astana und haben auch Kirgisistan bereist. Bitte beschreiben Sie uns Ihre Eindrücke.
Ich habe sehr gute Eindrücke mitgenommen. Kasachstan ist ein verhältnismäßig reiches Land, Kirgisistan hat nicht so viele finanzielle Möglichkeiten. Es gibt in beiden Ländern im Vergleich zu vor 20 Jahren nur noch wenige Deutsche. Aber sie sind trotzdem wichtig, weil sie in den jeweiligen Ländern eine prägende Rolle spielen. Mein Eindruck war sehr gut, weil das Interesse der Regierungen an der Zusammenarbeit mit Deutschland sehr hoch ist. Deutschland ist das wirtschaftlich wichtigste Land in Europa. Alle Regierungen haben Interesse, mit uns zusammen zu arbeiten, und wir auch.
Haben Sie Kasachstandeutsche oder Russlanddeutsche in Ihrem Freundeskreis?
Ich habe einen Kollegen im deutschen Bundestag, der Herr Zertik, mit dem ich auch sehr eng zusammenarbeite. Wir sehen uns immer im Bundestag und tauschen uns aus. Der Kollege Zertik ist ein ganz wichtiges Bindeglied, weil er nämlich Erfahrungen hat, die wir als Kollegen nicht haben. Das sind zum Beispiel Fragen, die damit beginnen, wie die Lebensumstände damals gewesen sind. Warum sind so viele Menschen nach Deutschland gezogen?. Gibt es die Chance, dass es der eine oder andere vielleicht auch zurück nach Kasachstan zieht? Was für Bedingungen müssen dafür vorliegen? Das alles weißt er natürlich besser einzuschätzen.
Was werden Sie Ihren Wählern von Ihrer Kasachstanreise berichten?
Kasachstan ist ein gastfreundliches Land mit einem hohen Potenzial. Es ist ein Land, das stabil ist und im eurasischen Kontinent geopolitisch die „Pool-Position“ hat. Ich denke, dass es ist im deutschen und europäischen Interesse ist, mit Kasachstan enge Beziehungen zu halten. Aufgrund der deutschen Brückenfunktion – das ist eine Formel, aber auch eine geschichtliche Wahrheit – haben wir die Aufgabe, diese Chancen zu nutzen anstatt sie zu vergraben oder zu vergessen. Das heißt fördern, und auch neue Impulse setzen.
Herr Singhammer, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Dominik Vorhölter und Olesja Klimenko