„Beim Überführen der Kunstwerke denken manche an der kasachischen Grenze, es seien Kritzeleien, Poster oder sonst was“. Aigul Koschajewa setzt sich aus Leidenschaft für verschiedenste kulturelle Projekte ein. Zusammen mit deutschen Künstlern sorgt sie seit nunmehr zehn Jahren für die Heranführung an die klassische und moderne deutsche Druckkunst in Zentralasien ein.

Projektleiterin Aigul Kozhajewa, Kurator Ermek Zhangeldin und die junge Musikerin Seinep Sulejmenoawa im Gespräch. | Foto: Azamat Taskimbayev

Die traditionelle Druckgrafik läutete einst die visuelle Massenkultur von heute ein. Doch selbst in ihrer Wiege, im „alten“ Europa werden historische Druckgrafiken oft stiefmütterlich behandelt. Oft lagern sie in Museumssammlungen und werden zuweilen für thematische Ausstellungen herausgeholt. Stiche, Radierungen, Holzschnitte, Drucke, Lithographien, Gravuren oder auch Zeichnungen scheinen sich nicht mehr behaupten zu können gegen Gemälde oder gar Bewegtbild und räumliche Installationen oder Performances. Die meist kleinformatigen Werke verdanken ihre rare Ausstellungspräsenz oft engagierten Initiativen oder gar Einzelpersonen. Medientheoretiker sind sich jedoch einig, dass die Marginalisierung dieser Kunstrichtung durch öffentliche Institutionen ihre tatsächliche Dimension in der heutigen Gesellschaft weit unterschätzt.

Die beeindruckende Sammlung eines Grafikdruckers

Johanna Schütz-Wolff

Umso überraschender ist es, in Almaty auf eine Ausstellung zu stoßen, die sich genau diesem Thema widmet. Auch hier sind die Organisatoren Privatpersonen. Projektleiterin Aigul Kozhajewa begleitet bereits die dritte zentralasiatische Präsentation von deutscher Druckkunst. Die Ausstellung zeigt Holz– und Linolschnitte, Radierungen und Kaltnadelstiche deutscher GrafikerInnen, wie Inge Jastram, Herbert Tucholski, Ruth Klatte, Johanna Schütz-Wolff, Sabine Curio, Alexander Herbig, Karl Hannemann u.a. Alle gezeigten Arbeiten stammen aus dem Bestand von Druckerbelegen des deutschen Grafikdruckers Ernst Lau. Lau arbeitete über 35 Jahre als Drucker für bekannte Künstler Europas und Museen. Mit seiner Ehefrau beitreibt er die Galerie „Alte Molkerei“ nahe Rostock, mit deren Einsatz die grafischen Arbeiten auch den Weg nach Kasachstan fanden. Die Ausstellung ist die Fortsetzung einer in 2007 entstandenen Initiative zum Thema Druckgrafik.

Druckgrafik in Kasachstan

“Quintett“, Alexander Gerbig, 1912, Holzschnitt | Foto: DAZ

Bereits 2007 fand ein zweiwöchiges Symposium zur Druckkunst in Kasachstan statt, infolgedessen kasachstanische Künstler Workshops unter Anleitung deutscher und österreichischer Grafiker besuchten. 2008 folgte die erste Druckgrafik-Ausstellung in Almaty. Das Konzept sah eine Retrospektive zum 500-jährigen Jubiläum der deutschen Druckgrafik vor. Zwei Jahre später fanden erneut eine Ausstellung und ein Workshop, diesmal für Kunststudenten, statt. Diese Thematik war in einem postsowjetischen Land wie Kasachstan durchaus eine Besonderheit.

In der Kasachischen SSR entwickelte sich diese Kunstsparte, wie viele andere erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts. In jeder Republik entstanden in den 30er Jahren Akademien für bildende Künste. Mit Ende der 30er Jahre tauchten somit erste Grafiken und Drucke in der KSSR auf. Schon bald darauf fing ein reger Austausch unter den Künstlern und Institutionen verschiedener sowjetischer Republiken an, wie auch der DDR. Einige kasachstanische Grafiker, wie beispielsweise Jewgenij Sidorkin, erhielten auch Auszeichnungen in Leipzig oder Berlin. Infolge des Zerfalls der Sowjetunion verlor die Druckkunst leider sehr schnell ihren Platz aufgrund von fehlender staatlicher Förderung und der allgemein erschwerten wirtschaftlichen Situation im Lande. Da sich Drucke nicht verkauften, verschwand die Druckgrafik nach ihrer kurzen Blühtezeit nahezu als Kunstform.

Bis heute steht es schlecht um diese Kunst in Kasachstan. Kozhajewa vertritt die Meinung, dass insbesondere zur Annäherung an Grafik eine „Kultur der sinnlichen Wahrnehmung“ weit ausgeprägt sein sollte, an der es in der Gesellschaft ihres Landes mangele. Aufgrund dessen seien ihrer Meinung nach auch die Grafikausstellungen in den Landesmuseen rar und unterrepräsentiert.

Fortsetzung der Liebhaber-Initiative

Nach der Ausstellung im Jahre 2010 blieben Werke aus der Sammlung für Folgeausstellungen in Kasachstan. Und somit nutzt Kozhajewa derzeit den Moment, bevor die Werke wieder ihren Weg zurück nach Deutschland finden, um diese der kasachstanischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Jermek Zhangeldin, der Kurator der Ausstellung und einstiger Direktor des Kastejew-Museums in Almaty sowie ehemaliger stellvertretender Kulturminister, bezeichnet die deutsche Druckgrafik als besonders weittragend in der Kulturgeschichte der Menschheit. „Man denke nur an Albrecht Dürer, und dann wird sofort klar, wer in Europa die Grafikkultur prägte.“ Die Ausgestellten Werke der deutschen Grafikmoderne repräsentieren eine vielfältige Palette deutscher Grafikkunst, die auf einer professionellen künstlerischen Ausbildung beruht. Insbesondere der Expressionismus ist eine Bewegung, die aus deutschen Künstlervereinigungen hervorging und in dessen Manier viele der gezeigten Werke ausgeführt sind.

Die Reproduzierbarkeit des Bildlichen spielt in der heutigen Gesellschaft eine prägnante Rolle. So ist die Position der Grafik bedeutsamer denn je. Und die einstige kunsthistorische Autorität der Druckgrafik erlebt durch zahlreiche neuartige Chancen der modernen medialen Bildwelt und Grafikumgebung eine Horizonterweiterung. Nicht zuletzt durch private Initiativen, wie die von Kozhajewa und Lau, wird der essentielle Platz der Grafikkunst in der Kunstwelt aufrechterhalten und auch an Folgegenerationen herangetragen.

Seinep Sulejmenowa | Foto: Azamat Taskimbayev

Seinep Sulejmenowa, eine junge Violinistin, die die Eröffnung musikalisch begleitete, ist überrascht und begeistert von der Ausstellung. Als ein großer Fan deutscher Kulturgeschichte suchte sie neben einem virtuosen Paganini-Stück eine Suite von Bach für ihre Aufführung aus. „Trotzdem ich bisher nur wenig Vorstellung von deutscher Grafik hatte, haben mich die hier gezeigten Arbeiten sehr inspiriert. Das Erleben der deutschen Kultur und Gesellschaft prägte mich nachhaltig,“ schwärmt die junge Studentin des Kurmangasy Konservatoriums. Sie verbindet eine tiefe Hingabe insbesondere zu deutscher Musik, Literatur und Architektur. Als Teilnehmerin einer Orchesterakademie in Deutschland bekam sie sogar die Möglichkeit, ein Solokonzert in Bayreuth zu spielen. In naher Zukunft wünscht sich Sulejmenowa die Fortsetzung ihrer musikalischen Ausbildung in Deutschland.

Bis Ende Januar kann die Ausstellung in der Galerie Art Samal (Dostyk 97b, Office 6, Samal Deluxe) nach Vereinbarung besichtigt werden. Einige Werke sind zudem käuflich erwerblich.

Julia Boxler

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