Seit dem Beginn der Kriegshandlungen in der Ukraine und den westlichen Sanktionen gegen Russland ist die Region Zentralasien als Wirtschaftsstandort noch stärker in den Fokus ausländischer Geschäftsleute gerückt. Welche Chancen und Risiken mit einem Markteintritt verbunden sind, konnten die Teilnehmer einer Thüringer Wirtschaftsdelegation vergangene Woche auf einer Markterkundungsreise durch Kasachstan und Usbekistan
erfahren.

Da eine Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland in immer weitere Ferne rückt und die deutsche Abhängigkeit vom chinesischen Markt aktuell überdacht wird, suchen Investoren nach neuen Märkten für ihre Produkte. Dabei geraten zunehmend auch lange Zeit vernachlässigte Regionen wie Zentralasien in den Fokus von deutschen Unternehmern.

Unterstützt werden diese von Organisationen wie der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG), die Markterkundungsreisen für Unternehmen anbietet. So reisten zwischen dem 25. September und dem 2. Oktober Vertreter von 17 Unternehmen aus Thüringen nach Kasachstan und Usbekistan, um sich dort mit den Chancen und Möglichkeiten der beiden wirtschaftlich vielversprechendsten Staaten in der Region vertraut zu machen. „Ein so großes Interesse an einer solchen Reise ist eher ungewöhnlich“, sagt Dr. Arnulf Wulff, der als Prokurist und Leiter für Akquisition bei der LEG die Markterkundung mitinitiiert hat. Das liege unter anderem daran, dass es nach der Pandemie mit ihren Einschränkungen Nachholbedarf gebe, aber auch die aktuelle Situation in Russland spiele eine große Rolle.

Kasachischer Markt im Fokus deutscher Mittelständler

Dabei ist das rohstoffreiche Kasachstan nicht nur als Russlandersatz attraktiv, sondern wartet auch mit eigenen Vorteilen auf. „Mich fasziniert vor allem die große Offenheit der Kasachen gegenüber neuen, innovativen Lösungen und Produkten“, erzählt etwa Frank Günther, Geschäftsführer der Systamatec GmbH, die sich auf Optik, Präzessionsmechanik und Verfahrenstechnik spezialisiert hat. Der hiesige Markt sei noch verhältnismäßig jung und in der Produktauswahl noch nicht so stark vorgeprägt wie beispielsweise der westeuropäische oder US-amerikanische Markt. „Das bietet einem als innovativer Mittelständler eine gute Möglichkeit, sich mit eigenen Produkten langfristig zu etablieren.“
Wie viele andere Unternehmer der Delegation, die zu großen Teilen aus mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauern besteht, ist auch er daran interessiert, die Stärken Thüringens mit denen Zentralasiens zum beiderseitigen Nutzen zu verbinden. Heißt konkret: das hohe technische Know-how aus dem Freistaat mit der hiesigen Offenheit für neue Lösungsansätze zu verbinden und so Zugang zu einem vielversprechenden Markt zu gewinnen.

Es gibt allerdings auch verhaltenere Einschätzungen – so etwa die eines Delegationsmitglieds aus einer mittelthüringischen Kleinstadt. „Man kann hier noch immer verhältnismäßig leicht viel Geld mit Rohstoffexporten verdienen“, sagt der Unternehmer, und gibt zu bedenken: „Das kann die Entwicklung anderer Branchen auch beeinträchtigen.“ Es bleibe daher abzuwarten, ob das kasachische Interesse an Kooperation anhält.

Die Chancen der Neuen Seidenstraße für die Region

Dass die Bedeutung Zentralasiens dennoch aktuell rasant wächst, stellt Irina Heß fest, die bei der LEG als Projektleiterin für die GUS Staaten verantwortlich ist. Dies sei allerdings eine Entwicklung, die sich bereits vor den sanktionsbedingten Schwierigkeiten im Russlandgeschäft abgezeichnet habe. Denn auch in den Plänen anderer globaler Player spielen die Länder eine immer größere Rolle. Heß verweist hier auf das chinesische Projekt der neuen Seidenstraße, wo „die Region eine wichtige Rolle bei der Verbindung zwischen den starken Wirtschaftsräumen Europas und Asiens“ spiele. Daher auch der Name der Reise: „Neue Seidenstraße – neue Perspektiven“.

Das massive Investitionsprojekt ist hochgradig attraktiv für die Länder, durch die die neue Handelsstraße mit altem Namen führen soll. Allein in Kasachstan sind bis 2025 112 neue Infrastrukturprojekte mit einem Gesamtvolumen von 5,5 Billionen Tenge (12,6 Mrd. US Dollar) geplant. Glaubt man der chinesischen Regierung, so bedeutet das Mammutprojekt für alle Beteiligten Modernisierung und Investitionen. Doch gerade in westlichen Staaten wird das Infrastrukturprojekt oft kritisiert. China versuche damit seinen Einfluss auszubauen und andere Staaten gezielt in strategische Abhängigkeit bringen, so ein häufig geäußerter Vorwurf.

An der neuen Aufmerksamkeit für die Region und ihre geographische Schlüsselposition ändert das hingegen nichts, wie Irina Heß betont: „Das große Interesse an der Markterkundung spricht ja für sich.“ Noch ist das thüringisch-zentralasiatische Handelsvolumen mit gerade mal einem Viertel-Prozent relativ gering. Doch das könnte sich bald ändern, wenn man den Worten der Unternehmer aus Mitteldeutschland Glauben schenkt: „Wir haben viele interessante Gespräche geführt“, sagt etwa Karol Kerrane, Managing Director bei EPC engeneering and technologies GmbH, vielsagend. Bestätigt wird diese Einschätzung von vielen anderen, die an der Zentralasien-Reise teilnahmen.

Joseph Karl-Friedrich Brömel

Teilen mit: