Kasachstans traumhafte Naturschönheiten rücken in den letzten Jahren sowohl auf privater als auch auf staatlicher Seite verstärkt ins wirtschaftliche Bewusstsein. Das Potenzial für den internationalen Reiseverkehr ist enorm. Zahlreiche Hemmnisse auf dem kasachischen Reisemarkt lassen eine positive zukünftige Tourismusentwicklung jedoch fraglich erscheinen. Nicht zuletzt wegen unzureichenden Marketings und hoher Flugpreise reisen die internationalen Urlaubsgäste bislang lieber in bekanntere und günstigere Ferienregionen.

Begeistert blickt Hans Schäfer auf die von der Abendsonne angestrahlten Gipfel des Tienschangebirges. Gemächlich lässt er seinen Blick über einen tief verschneiten Tannenhain hin zu einem Gebirgsbach schweifen, der sich in sanften Kurven das Tal hinunterschlängelt. „Es ist unglaublich schön hier – und so friedlich”, schwärmt der 46jährige Deutsche. Hans ist einer der wenigen ausländischen Touristen, die es während der strengen Wintermonate nach Kasachstan verschlägt. Mit seinen neuen Bergstiefeln und der orangefarbenen Treckingjacke ist er leicht von den beiden einheimischen Bergwanderern zu unterscheiden, die ein paar Meter vor ihm ins Tal hinabsteigen. „Ich habe noch nie zuvor so unberührte, wilde Natur gesehen”, erzählt der Deutsche mit leuchtenden Augen.

Auch Folke von Knobloch, Gründer des zentralasiatischen Touristikbüros „Central Asia Tourism Corporation” (CAT), ist vom touristischen Potenzial Kasachstans überzeugt. „Abgesehen vom Geschäftsreiseverkehr spielt in Kasachstan der Naturtourismus die größte Rolle”, so der Tourismusexperte. Und das ist nicht weiter verwunderlich: Die verschiedenen Landschaftsformen sind an Gegensätzen und Abwechslung kaum zu überbieten. Egal ob Hochgebirge, Wüste, Steppe oder Meer – in Kasachstan findet jeder Outdoorliebhaber sein unberührtes Fleckchen Natur. Seit einigen Jahren boomt – besonders im Großraum Almaty – der touristische Privatsektor. Laut offiziellen Angaben der kasachischen Botschaft in Deutschland waren im Jahr 2003 94,5 Prozent aller Unternehmen auf dem inländischen Reisemarkt Privatunternehmen. Viele von ihnen organisieren unzählige Touren – von Alpinsport und Trecking in den Bergen über Reittouren in der Steppe bis zum Wildwasserrafting auf ungezähmten Flüssen – das Angebot ist reichhaltig und originell. „Am besten erschlossen ist die Region Almaty, doch in jüngster Zeit scheint sich auch in den angrenzenden nördlichen Gebieten, sowie südlich von Astana, in Schymkent, im Altaivor-land und am Kaspischen Meer der touristische Sektor zu vergrößern”, so Knobloch.

Viele der ausländischen Urlauber in Kasachstan kommen aus Russland, Deutschland, aus der Türkei, und auch vereinzelt aus den USA und China. Auch Dagmar Schreiber, Gründerin der Reiseagentur Kasachstanreisen (Berlin) und Autorin des Reiseführers „Kasachstan entdecken”, ist überzeugt, dass die annähernd unberührte und vielfältige Naturlandschaft, die reiche Flora und Fauna, sowie die traditionsreiche Nomadenkultur Kasachstan zu einem ganz besonderen Urlaubsland machen.

Hemmnisse im Tourismusgeschäft

Trotz der guten Möglichkeiten, gerade für den Naturtourismus, scheint das große Geschäft mit den Urlaubern aus dem Ausland in Kasachstan dennoch nicht ins Rollen zu kommen. Laut Angaben der kasachstanischen Nationalbank besuchten 2001 vier Millionen Menschen das Land – mit steigender Tendenz. So hätte sich im ersten Halbjahr 2002 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres die Zahl der Besucher um 9,4 Prozent erhöht. Im Jahr 2003 betreuten laut amtlicher Tourismusstatistik 713 Tourismusveranstalter 229.000 Touristen und Studienreisende (im Jahr 2002 empfingen 612 Reiseveranstalter 171.400 Reisende). „Viele der in Kasachstan offiziell als ‚Touristen’ registrierten Ausländer sind jedoch eigentlich Aussiedler, die in ihre Heimat zurückfliegen – größtenteils aus Sehnsucht nach den Verwandten und Bekannten, aber auch zum Geschäftemachen. Diese Menschen ‚schönen’ natürlich die amtliche Statistik”, meint Dagmar Schreiber. Und auch Folke von Knobloch ist überzeugt, dass die offiziellen Tourismusdaten durch den enormen Geschäftstourismus und die pendelnden Aussiedler ein verzerrtes Bild von den tatsächlichen Urlaubstouristen vermitteln. Kurzum: Die ausländische Besucherrate in Kasachstan ist vergleichsweise niedrig. „Einer der Hauptgründe für die ausbleibenden Touristen ist die immer noch weitgehende Unbekanntheit des Landes. Des Weiteren zählen Visaprobleme zu den Abschreckungsfaktoren”, äußert Knobloch im Gespräch mit der DAZ. „Auch werden die Flughäfen in Kasachstan relativ selten aus dem europäischen Ausland angeflogen – dementsprechend tief muss der Reisende ins eigene Portemonnaie greifen.” Lässt sich der Tourist trotz aller Schwierigkeiten nicht vom Reiseziel Kasachstan abbringen, stellt sich ihm bei seiner Ankunft in Astana oder Almaty möglicherweise ein weiteres Problem: Viele der Tourenanbieter vor Ort haben nämlich weder ihr Angebot in Fremdsprachen übersetzt, noch besitzen sie Mitarbeiter, die einer weiteren Sprache, außer dem Russischen oder Kasachischen, mächtig sind. Darum ist Knobloch auch besonders stolz auf die 110 Mitarbeiter seines Reiseunternehmens, die alle fließend englisch sprechen. Mit zehn verschiedenen Niederlassungen in Kasachstan, aber auch in Kirgisistan und Tadschikistan, zählt CAT zu den größten Reiseagenturen im zentralasiatischen Raum.

Die Berliner Touristikunternehmerin Dagmar Schreiber sieht vor allem die in Kasachstan für westliche Bedürfnisse unterentwickelte touristische Infrastruktur als einen der wesentlichen Gründe für die wenigen Urlauber, und auch die prekäre Umweltsituation in vielen Regionen ist ihrer Meinung nach ein großes Problem.

Zentralasiatischer Vergleich

Auch wenn das Geschäft mit den ausländischen Touristen schleppend vorangeht, zählt Kasachstan im Vergleich zu den anderen vier zentralasiatischen Staaten – Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan – zu den Ländern, die steigende Besucherzahlen verzeichnen. Die touristische Entwicklung seit der politischen Unabhängigkeit Anfang der 90er ist in Zentralasien regional unterschiedlich verlaufen. „Kirgisistan und Usbekistan haben sich bereits in der Frühphase intensiv für eine Förderung des ausländischen Reiseverkehrs eingesetzt”, so Knobloch. Auch Schreiber ist überzeugt von den positiven Möglichkeiten beider Länder: „In Usbekistan entwickelt sich der internationale Tourismus trotz politischer Beschränkungen gut, was natürlich an den kulturellen Highlights der Seidenstraße, aber auch an der aktiven Tätigkeit der usbekischen Fremdenverkehrsämter liegt. Kirgisistan hat größeres Potenzial im Öko- und Treckingtourismus; die unsichere politische Lage und eine nachlassende staatliche Unterstützung wirken jedoch hemmend auf die weitere touristische Entwicklung”, so Schreiber. Laut Meinungen beider Experten verschlägt es nach Tadschikistan lediglich Insider und Freunde des Hochgebirgs-treckings; Turkmenistan besuchen seit gut drei Jahren aufgrund politischer Restriktionen kaum noch Touristen aus dem Ausland.

Was bringt die Zukunft?

Für Spekulationen über die weitere Entwicklung des internationalen Reiseverkehrs in den nächsten Jahren sei es jedoch noch zu früh, so Schreiber. Sie ist überzeugt, dass die Zukunft des Tourismus in Kasachstan vor allem von der Politik abhängt. „Der Reiseverkehr braucht Schwerpunkte und Förderung von oben, aber das darf sich nicht im Theoretisieren über ‚politische Cluster’ erschöpfen.” Laut Entwicklungsprogramm der Regierung – gültig für die nächsten zwölf Jahre – gehört der Tourismus neben sechs weiteren Schwerpunktbranchen, sogenannten Clustern (Textilindustrie, Metallurgie, Nahrungsmittelverarbeitung, Transportwesen, Baustoffsektor, Anlagen für den Öl- und Gassektor) zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige Kasachstans. Zwecks Diversifizierung der Wirtschaft sollen mit Hilfe des Programms besonders jene Bereiche gefördert werden, die nicht unmittelbar mit dem boomenden Ölsektor zusammenhängen.

Diversifizierungsstrategie fördert Tourismus

Auf den Tourismus werden hierbei große Hoffnungen gesetzt. Erweiterung und Ausbau der Infrastrukturkapazitäten für den interationalen Reiseverkehr sind in Planung. Knobloch lässt im Gespräch mit der DAZ jedoch auch kritische Töne anklingen. So sieht er die Reduzierung des Flugverkehrs zwischen Kasachstan und Europa als ein mögliches Hemmniss im Tourismusgeschäft. „Im letzten Jahr hat die Entscheidung, die Anzahl der täglichen Lufthansaflüge zwischen Frankfurt und Almaty auf fünf pro Woche zu reduzieren, für heftige Diskussionen in der Tourismusbranche gesorgt”, so der Gründer von CAT.

„Wie sich der Flugverkehr im nächsten Sommer entwickeln wird, ist bislang noch unklar. Doch dass die Entscheidungen im Flugverkehr direkten Einfluss auf die ausländischen Touristenzahlen haben, liegt auf der Hand.“

Auch Hans Schäfer zuckt auf die Frage der DAZ, ob er denn noch einmal wiederkommen werde, unsicher mit den Schultern. „Was ich bislang von Kasachstan gesehen habe ist überwältigend. Doch bei den momentanen Flugpreisen reise ich in den nächsten Ferien wohl doch lieber wieder ans Mittelmeer.”

Von Angela Lieber

20/01/006

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