Weil Kasachstan viel Geld mit dem Export von Rohstoffen verdient, profitiert es von steigenden Weltmarktpreisen. Auf der anderen Seite leiden die Kasachstaner selbst unter der hohen Inflation.
Die kasachische Öl – und Gasindustrie erzielt Rekordeinnahmen durch den Verkauf von fossilen Brennstoffen, wie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in ihrem Bericht „Regional Economic Prospects“ zum September 2022 mitteilt. Ausgelöst durch die hohen Rohstoffpreise vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine, kletterten die Einnahmen aus dem Verkauf von Öl bereits im Laufe des ersten Halbjahrs 2022 auf
24,8 Milliarden US-Dollar. Das sind 85 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Erlöse aus der Summe aller Exporte belaufen sich auf 42,2 Milliarden US-Dollar und haben damit den höchsten Wert seit 2014 erreicht. Auf Basis jener Daten zählt die kasachische Energiewirtschaft damit, im Gegensatz zu den produktionsintensiven Ökonomien vieler EU-Staaten, zu den Profiteuren der gegenwärtigen Krise.
Hohe Korrelation zwischen Tenge und Rubel
Die Bürger Kasachstans bekommen von dem Energieboom bisher jedoch kaum etwas mit. Grund dafür ist die hohe Inflation, die im September auf rekordverdächtige 17,7 Prozent gestiegen ist und damit den höchsten Wert seit 2017 erreicht hat. Das geht aus aktuellen Zahlen des nationalen Statistikbüros hervor. Demnach machen vor allem die um 20,8 Prozent gestiegenen Kosten für Lebensmittel vielen Menschen zu schaffen. Diese sind in erster Linie zurückzuführen auf den Rekordpreis für Weizen auf dem Weltmarkt, ausgelöst durch einen Ausfuhrstopp aus Indien, Exportbeschränkungen aus Russland und eine gering ausfallende Ernte in der Ukraine. Doch auch Zucker, bei dem Kasachstan aus Einfuhren aus anderen Ländern angewiesen ist, verzeichnet aktuell Rekordpreise.
Die Preissteigerungen für übrige Güter, vor allem getrieben durch gestiegene Kosten für Importprodukte, liegen mit 15,5 Prozent etwas niedriger. Zudem erweist sich der derzeit hohe Rubelkurs als unvorteilhaft für Kasachstan. Wie der Verband der Finanziers Kasachstans in seiner Analyse berichtet, bezog Kasachstan im ersten Quartal des vergangenen Jahres rund 23 Prozent seiner Importe aus Russland, wovon 75 Prozent in Rubel bezahlt wurden. Im Zuge der gezielten Aufwertung des Rubel durch die russische Zentralbank als Reaktion auf dessen zeitweise erheblichen Wertverlust seit Februar hat der Tenge gegenüber dem Rubel deutlich an Wert verloren, wodurch sich Importprodukte aus Russland im Laufe des Jahres schrittweise verteuert haben.
Der Anteil an den Gesamtimporten Kasachstans aus Russland hat sich zwar bereits im ersten Quartal auf 18 Prozent reduziert. Von Seiten der Experten wird erwartet, dass sich dieser Trend fortsetzt. Der Geldwert der importierten Waren aus Russland im selben Zeitraum hat sich allerdings trotz insgesamt gesunkener Menge um 7 Prozent von 4,7 Milliarden auf 5,1 Milliarden Dollar erhöht, was sich natürlich an der Supermarktkasse
niederschlägt.
Gestörte Lieferketten
Auch der Umbau von internationalen Produktions – und Lieferketten trägt zum allgemeinen Preisanstieg bei. Ein Großteil der internationalen Unternehmen mit Standort in Russland, die von dort aus ebenfalls den kasachischen Markt bedienen, hat aufgrund der Sanktionen seine Produktion dort eingestellt oder spürbar reduziert. Das hat zu einer Verknappung des Angebots geführt und sich somit negativ auf die Versorgungslage im flächenmäßig größten Land Zentralasiens ausgewirkt.
Leere Regale müssten die Bürger laut Experten zwar nicht fürchten, da die ausbleibenden Lieferungen aus Russland durch die heimische Industrie kompensiert werden – das allerdings nur zum Teil. Die Erhöhung von Importen aus anderen Ländern kann das Inflationsproblem ebenfalls nicht lösen, da allen voran in den EU-Staaten die Erzeugerpreise aufgrund der Energiekrise merklich ansteigen.
Kein Ende in Sicht
Ein Ende der Preissteigerungen in Kasachstan ist daher laut Experten noch nicht in Sicht. Dementsprechend haben sich die Prognosen bezüglich der Entwicklung des Verbraucherpreisindex (CPI) über den Zeithorizont von einem, drei und fünf Jahren laut den Daten einer Expertenbefragung, die im Auftrag der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC Kazakhstan durchgeführt wurde, verschlechtert. Gingen die Experten im ersten Quartal noch von einer jährlichen Teuerungsrate von 6 bis 8,8 Prozent über einen Zeitraum von drei Jahren aus, so prognostizierten dieselben Experten im zweiten Quartal bereits einen jährlichen Anstieg der Verbraucherpreise von 8 bis 11 Prozent für denselben Zeitraum.
Erst über einen Zeitraum von fünf Jahren sollten sich die Preise, bei einer prognostizierten Inflationsrate von minimal 6 bis maximal 8,5 Prozent, wieder merklich stabilisieren. In Folge dieser Entwicklung lagen laut dem Bericht „Sozialökonomische Entwicklung der Republik Kasachstan“, der im Juli 2022 von der nationalen Statistikbehörde veröffentlicht wurde, die nominalen Einkünfte im Juni 2022 im Durchschnitt zwar um 12,2 Prozent höher als im Vergleich zum Vorjahreswert, die realen Einkommen im Mittel allerdings um 2 Prozent niedriger.
Verschärft der plötzliche Zuzug aus Russland das Inflationsproblem?
Wie der kasachische Wirtschaftsminister Alibek Kuantyrov Journalisten am Rande einer Regierungssitzung mitteilte, wird die höhere Summe von Russischen Rubel, die von den Ankömmlingen aus Russland mitgebracht werden und entsprechend umgetauscht werden müssen, zu einer Aufwertung des Kasachischen Tenge führen. Importe aus Russland werden durch die Aufwertung relativ günstiger. Theoretisch erleiden dadurch Einnahmen aus Exporten, beispielsweise von Rohstoffen, einen Wertverlust.
Praktisch ist durch den temporären Zuzug einiger zehntausend Menschen aus Russland nach Meinung von Experten jedoch keine signifikante Veränderung des Währungskurses zwischen Dollar und Rubel zu erwarten, die dann im Umkehrschluss negative Auswirkungen auf den Kurs zwischen Dollar und Tenge hätte. Falls doch nötig, könnte der Tenge aber durch ein höheres Angebot an US-Dollar stabilisiert werden.
Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass der plötzliche Zuzug von Menschen aus Russland die Nachfrage an Alltagsgütern weiter steigern wird. Diese wird kurzfristig kaum durch ein höheres Angebot bedient werden können, und somit zu weiteren Preissteigerungen, wie bereits am Beispiel des Wohnungsmarktes zu spüren ist, führen. Solange der Zuzug von Menschen aus Russland nicht überhandnimmt, wird jedoch laut Experten kein Mangel an Produkten erwartet.