Mit Van und Hund vom Kaukasus nach Zentralasien

Um auf dem Landweg und einigermaßen direkter Strecke von Europa nach Zentralasien zu fahren, ist die Überwindung des Kaukasus für viele Reisende im Moment ein Knackpunkt.

Die erste Option führt im Süden über den Iran, dem man neben uneingeschränkter Gastfreundschaft und unglaublichen Landschaften auch ein unvorhersehbares Rechtssystem nachsagt. Die zweite Option führt über aserbaidschanische Grenzen, die jedoch zu Lande für die Einreise geschlossen sind. Entsprechend geht diese Route mit dem KFZ-Import über entsprechende Agenturen, einem Flug nach Baku und einer Fährfahrt über das Kaspische Meer einher, was in Summe selbst die robustesten Reisekassen erheblich dezimiert und auch erfahrenen Reisenden Kopfschmerzen bereiten dürfte. Daher habe ich mich in diesem Jahr, wie viele andere Reisende auch, für die dritte Option entschieden: Den Transit durch Russland.

Am richtigen Ort – zur falschen Zeit

Ich bin in Ostdeutschland aufgewachsen und hatte schon lange eine große Neugierde an allem, was sich im Osten so erstreckt. Russland reicht dabei von Europa bis an die östlichen Ränder Asiens und ist von zahlreichen Sprachen, Kulturen und Religionen geprägt. Ich wusste, dass ich dorthin reisen will. Früher oder später.

Nur scheint derzeit kein besonders guter Zeitpunkt zu sein. Das deutsche Auswärtige Amt hat für Russland eine Teilreisewarnung ausgeschrieben und davon einmal abgesehen führt der Transit von Georgien nach Kasachstan über die Republiken Tschetschenien und Dagestan. Während Erstere für solide mafiöse Strukturen bekannt ist, brodelt es auch in Letzterer regelmäßig. Da klingeln alle Alarmglocken in meinem alleinreisenden Kopf.

Vermutlich geht es dem Beamten der russischen Botschaft in Jerewan ähnlich, als er meinen Visumsantrag sieht. Kurzerhand rät er mir von meinem Vorhaben ab. Alleine mit dem Auto auf dieser Strecke durch Russland zu fahren, das hält er scheinbar für keine besonders gute Idee.

Das nehme ich mir zu Herzen. Von meinem Hund Vedi einmal abgesehen, finde ich Begleitung. Gemeinsam mit zwei Radreisenden, Elayis aus Frankreich und Edgar aus Spanien, gehe ich die Weiterreise nach Zentralasien an. Mein Transitvisum für Russland habe ich also in der armenischen Hauptstadt Jerewan beantragt. Im Gegensatz zu Georgien mit den abtrünnigen Gebieten Abchasien und Südossetien hat Armenien gute außenpolitische Beziehungen zu Russland und entsprechend ist es dort, im Vergleich zu Tbilisi, bedeutend einfacher, schneller und günstiger, ein Visum zu beantragen.

An der russischen Grenze

Nach einer unruhigen Nacht im georgischen Kazbegi, deren nasse Luft von bellenden Hunden zerschnitten wurde, starten wir in den Tag und fahren an den georgisch-russischen Grenzübergang Lars. Es nieselt und ist so kalt, dass ich mit zwei Pullis und Mütze rumflitze, mitten im Juli. „Sehr Deutsch“, sagt Edgar zu mir. Ich folge seinem Blick und bleibe an meinen Füßen hängen, die mit Socken in meinen Sandalen stecken. Naja, ich will ja nur über die Grenze.

Nach der Ausreise schlängeln wir uns durch ein Tal und eine Reihe dunkler Tunnel zum russischen Posten. Nachdem dort unsere Pässe sowie das Gepäck im Auto kontrolliert wurden, darf ich mich mit dem Zoll auseinandersetzen. Das relativ junge Grenzpersonal ist einigermaßen gut gelaunt. Das ändert allerdings nur wenig daran, dass man sich zwischen der strengen Kleidung und den genauen Anweisungen ziemlich klein fühlt. Wie Krümel auf einem großen Teppich: weitgehend irrelevant, aber ein klein wenig störend und in ständiger Ehrfurcht vor dem Staubsauger.

Mit meiner inzwischen ausgeprägten stoischen Ruhe bewege ich mich mit all meinen Dokumenten zum Schalter 29. Das Fenster der kleinen Bude, wie sollte es anders sein, ist natürlich erstmal zu. Davor warten allerdings noch ein paar andere Krümel, die ihre Fahrzeuge verzollen wollen. Erstaunlich schnell erhasche ich, sobald sich die Fenster öffnen, meine Dokumente.

Zurück am Schalter ist inzwischen einiges los. Die Krümel-Runde ist gewachsen und ungeduldig, Dokumente werden gewedelt und die Leute drängeln. Eine Zeitlang komme ich nicht dazu, meine Dokumente nochmal vorzuzeigen, und als ich mich endlich bis zu der semi-netten Dame mit glattem Zopf und künstlich-vollen Lippen durchgekämpft habe, kommt der nächste Haken. Die zweite Hälfte meiner Migrationskarte hätte eigentlich schon bei der Passkontrolle entgegengenommen werden sollen. Zu viel Konjunktiv für meinen Geschmack.

Eine gute Zeit später klärt sich das Thema und ich bekomme mein halbes Kärtchen gestempelt zurück. Nach über fünf Stunden verlassen wir schließlich die russische Grenze und da sind wir, im größten Land der Welt. Unser Mittagessen – Kharcho, Brot, Ei und Rote-Beete-Salat – haben wir uns verdient.

Roadtrip in Russland

Wir treten durch eine Tür, die von innen mit einer weißen Spitzengardine verhangen ist. Die Einrichtung der kleinen Kantine, an der wir zum Frühstück halten, ist minimalistisch und es riecht gut und deftig. Wir bestellen jeweils Schawarma und Kaffee an dem kleinen Fenster, das als Durchreiche zwischen Küche und Gastraum dient.

Den Laden schmeißen ein paar Frauen, die in lange Kleider und Kopftuch gekleidet sind. Das Café trägt den Namen „Halal“, wir befinden uns im Bezirk Tschetschenien und alles hier erinnert mich an das Reisen in der Türkei.

Vor uns liegen an diesem Tag über 400 Kilometer Fahrt und wir tanken bei umgerechnet knapp 60 Cent für einen Liter Diesel voll. Von der Straße abzukommen, ist nahezu unmöglich. Dafür sorgen die tief in die Straße eingelassenen Spurrinnen, die wie alte Wegweiser sehr genau vorgeben, wo es langgeht. Zwischen Tschetschenien und Dagestan werden wir an einem Checkpoint kontrolliert und befragt, bevor wir den größten Teil unseres weiteren Tages in Dagestan auf kerzengeraden Straßen verbringen, die wie mit dem Lineal gezogen durch die Wüste führen. Es wird zunehmend warm und schließlich drückend heiß. Die Lüftung läuft auf Hochtouren, bläst uns aber schließlich auch nur noch die Hitze ins Gesicht.

Kasachische Weiten

Vorbei an einer endlosen Warteschlange aus LKW fahren wir am nächsten Morgen zum Grenzübergang. Nach der unkomplizierten Ausreise aus Russland befahren wir das Niemandsland ungeahnten Ausmaßes zwischen den Grenzen. Vorbei an Nomadenfriedhöfen, die mit gemauerten Gräbern und Türmen wie kleine, magische Städte aussehen, brauchen wir eine gute Weile, bis wir endlich den Einreiseposten für Kasachstan erreichen. Dort das übliche Prozedere: Passkontrolle, kurze Befragung, Gepäckkontrolle, Zoll.

Vor dem verdunkelten Fenster des Beamten lehne ich mich auf die Ablage und verbrenne mich dabei auf dem heißen Blech. Während wir uns anschließend auf dem Gelände hinter der Grenze umsehen, grillt uns die Sonne gar. Einen schlechten Wechselkurs und eine überteuerte Autoversicherung später sinkt meine Laune ein wenig. Außerdem darf Vedi nicht mit in das kleine Café und die Menschen sind irgendwo zwischen reserviert, verwirrt und unfreundlich. Der Start in Kasachstan war also holpriger als erwartet.

Weniger holprig waren hingegen die Straßen. Vorbereitet war ich auf Schlaglöcher und Schotterpiste, bekommen haben wir auf den meisten Abschnitten ziemlich neuen, glatten Asphalt. Entsprechend schnell legen wir Strecke zurück, während wir an trostlosen, heißen und trockenen Ortschaften vorbeikommen. An einer Moschee holen wir schließlich einige Liter Wasser, das gelblich durch die transparenten Kanister schimmert. Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass in diesem Teil der Welt die Toten auf den gemauerten Friedhöfen besser wohnen, als die Lebenden.

Den Rest der Zeit donnern wir durchs Nichts. Es gibt wirklich einfach nichts außer Sand, einigen trockenen Büschen und viel Wind. Und manchmal sieht man im Flimmern, das über der heißen Straße liegt, drei Hügel. Meistens in Gruppen, manchmal in Scharen, ein Kopf, zwei Höcker: Kamele. Die Hitze ist inzwischen allumfassend und lässt uns an nichts anderes mehr denken.

Schließlich entscheiden wir uns schon am Nachmittag dazu, die Nacht vor Atyrau zu verbringen, und landen auf einem kleinen Platz am Fluss unter den Bäumen. Wasser und Schatten – ein kleines Paradies in dieser Gegend. Und wir sind nicht allein. Eine Gruppe aus Frauen, Mädchen und Kindern sitzt auf großen Decken, einen Topf auf dem Feuer. Die Kinder toben umher und sind ziemlich neugierig, als wir ankommen. Wir werden direkt gefilmt und später entstehen unzählige Fotos.

In der Zwischenzeit wird Vedi zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und zwischen all der Neugierde und den kleinen, aufgeregten Händen weiß er gar nicht so genau, wohin mit sich. An diesen Zustand wird er sich in den kommenden Wochen noch gewöhnen müssen. In den Abendstunden, die unsere Oase in ein sattes Orange färben, kommen einige Männer aus der Gegend zum Angeln hinzu. Abgelöst wird die Sonne schließlich von einem tiefroten Blutmond, bevor sie uns am nächsten Morgen wieder den Weg weist. Immer weiter gen Osten.

Maria Glaser

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