Leidenschaft ist immer siegreich. Vom bosnischen Hauptschüler zum gefragten deutschen Journalisten. Ein Porträt.

Alles, was man tut, erlebt und überwindet, ist Geschichte. Jeder Mensch schreibt und lebt im Laufe des Lebens seine eigene. Jugoslawienkrieg, Flucht aus dem Heimatland, die Abstempelung zum Hauptschüler, vom Kindheitstraum bis hin zum gefragten deutschen Journalisten – das sind die Lebensphasen von Krsto Lazarević. Seine Geschichte. Wir haben uns an einem sonnigen Dienstag im Juli im Körnerpark getroffen und bei einer Tasse Kaffee ein offenes und berührendes Gespräch geführt. Unser Treffpunkt in Berlin-Neukölln ist nicht umsonst gewählt. Vor zwei Jahren hat Krsto im Neuköllner Plenarsaal der Bezirksverordnetenversammlung den deutschen Pass bekommen.

„Ich bin Krsto Lazarević, geboren 1989 in der sozialistischen Volksrepublik Jugoslawien“, hat er sich kurz vorgestellt. 1992 war Krsto mit seiner Oma und seinem Vater nach Deutschland gekommen. Er hatte sehr viel dafür getan, um seinen Traum, Journalist zu werden, Wirklichkeit werden zu lassen.

Der beste Schüler war er nicht, aber er war einer der wenigen, die sich nicht damit abgefunden hatten, dass sie auf die Hauptschule geschickt wurden. Er kennt alle drei Schulformen, weil er ein Jahr auf der Hauptschule und zwei Jahre auf der Realschule verbracht und anschließend aufs Gymnasium gewechselt ist. „Die Versetzung auf die weiterführende Schule hat mit der Sprachkompetenz der Lehrer mehr zu tun als mit der der Kinder.“ Für Kristo wäre es vielleicht noch die Realschule geworden. „Aber Krsto? Vier Konsonanten hintereinander? Hauptschule!“, erinnert er sich an seine Schulzeit mit einem Lächeln und einem Blick in die Weite. Woran er gedacht und was er gefühlt hat, kann ich nur erraten, es wird mir aber klar: Seit seiner Kindheit ist Krsto ein Kämpfer. Er wollte studieren und beweisen, vor allem sich selbst, dass er etwas kann. Der Weg zum Ziel war lang, aber mit dem Lebensmotto „Einfach machen!“ hat er seinen Traum verwirklichen können. Krstos Geschichte ist auch ein Hinweis darauf, dass es viele Geflüchtete, die in der letzten Zeit nach Deutschland gekommen sind, es noch so weit bringen, erfolgreiche Journalisten, Naturwissenschaftler oder Ärzte zu werden.

1996 sollte die Familie Lazarević eigentlich in die Ruinenlandschaft abgeschoben werden, die der Bosnienkrieg von ihrem Heimatland übriggelassen hatte. Sein Vater hatte dagegen geklagt – bis hin zum Obersten Gerichtshof in Karlsruhe. 1999 bekam die Familie dann eine richtige Aufenthaltserlaubnis, befristet auf zwei Jahre. Krsto hat den Stempel „Aufenthaltserlaubnis unbefristet“ erst kurz vor seinem 18. Geburtstag erhalten. „Die Orte, an denen mir persönlich immer am deutlichsten wurde, welche Macht der Pass ausübt, waren unter anderem die Flughäfen.“ Es hat aber lange gedauert, bis er Deutscher geworden ist. Zumindest auf dem Papier. Der 27-Jährige erkennt, dass sich in der deutschen Gesellschaft etwas zum Guten verändert hat: „Dass Flüchtlinge an den Bahnhöfen in Wien und München von Tausenden empfangen und mit Getränken versorgt werden, hat es bei der Flüchtlingswelle 1992 nicht gegeben.“

Mit 16 Jahren hat Krsto angefangen, für die Reutlinger Tageszeitung zu schreiben. Ihm war schon damals klar, dass er über Politik schreiben will. „Ich möchte das studieren, worüber ich später schreibe“, war seine Entscheidung, und er hat dann am Institut für Politikwissenschaft in Frankfurt am Main studiert. Während seiner Praktika bei der Wochenzeitung „Jungle World“ in Berlin wurde er für eine Reportage zum Thema LGBTI in die Türkei geschickt. Fünf Tage war Krsto unterwegs, hat viel recherchiert, viel geschrieben und gefühlt, dass dies der Beruf seines Lebens ist. Ein dreimonatiges Praktikum in der Redaktion „Oslobodjenje“ in Sarajevo, das ihm ein Stipendium von der Robert-Bosch-Stiftung ermöglicht hat, hat ihn in dieser Entscheidung bestärkt.

Es fiel ihm zu Beginn schwer, den Sprung in den Journalismus zu schaffen. Krsto hat zwischendurch in einer Bar und in einer Fabrik gearbeitet. Er konnte sich den Luxus nicht leisten, zwei Jahre lang kostenlose Praktika zu machen, und er hat auch keine klassische Ausbildung wie Volontariat oder eine Journalistenschule besuchen können. „Wenn man durch Kreuzberg läuft, hat man das Gefühl, dass jeder Zweite einen Migrationshintergrund hat. Wenn man sich aber in deutschen Redaktionen umschaut, fällt es auf, dass die Vielfalt der deutschen Gesellschaft hier überhaupt nicht repräsentiert ist.“

Heute gehören zu seinen regelmäßigen Auftraggebern „Die Welt“, die „Tageswoche“ aus der Schweiz, der „Standard“ und das „Wirtschaftsblatt“ aus Österreich. Derzeit beschäftigt er sich mit der Flüchtlingskrise und der wirtschaftlichen und politischen Lage der Balkan-Staaten. Andere Themenschwerpunkte sind Rechtsextremismus, Islamismus sowie Kunst und Kultur in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens.

Für Krsto ist es am allerwichtigsten, dass er die Geschichten schreiben kann, die er schreiben will. Er lebt heute von der deutschen Sprache. Er ist jung und voller Energie, und er ist derjenige, der seine Ziele mit Leidenschaft und Überzeugung verfolgt. „In zehn Jahren bin ich Millionär und habe eine Villa am Starnberger See“, sagt er und lacht. Ihm glaube ich. 2026 oder noch früher erscheint dann ein neues Interview mit Krsto Lazarević. Das ist aber eine andere Geschichte.

Gulden Ospanowa

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