Das vor wenigen Monaten neueröffnete Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) hat Ende Oktober in Nürnberg seine erste wissenschaftliche Konferenz veranstaltet. 55 Teilnehmer aus sechs Ländern waren dazu angereist. Das Thema der Konferenz lautete: „Kultur der Russlanddeutschen als Bestandteil ihrer Identität: Fragen der Erforschung und Erhaltung.“
Nach der offiziellen Begrüßung durch den Vorsitzenden der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Ewald Oster (Landesgruppe Bayern), und den Leiter des Kulturzentrums, Waldemar Eisenbraun, richtete der aus München angereiste Erste Vizepräsident des Bayerischen Landtags, Karl Freller, einige Worte an die Teilnehmer. Er hob die Bedeutung des BKDR und dessen wichtige Rolle bei der Pflege und Entfaltung der russlanddeutschen Kultur hervor.
Die Deutschen aus Russland hätten sich vorbildlich in Bayern integriert und leisteten sehr viel für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Es mache ihn stolz, dass es nach den Sondierungsgesprächen mit der Landsmannschaft über die Gründung des bundesweit ersten Kulturzentrums für die Russlanddeutschen nicht nur bei der Ankündigung geblieben ist. Die Bayerische Regierung hielt ihr Versprechen und unterstützte darüber hinaus die Verantwortlichen unbürokratisch bei der zügigen Umsetzung des Vorhabens. „Das Kulturzentrum ist eine echte Chance und eine große Bereicherung für Bayern“, konstatierte er.
Bislang wenig Forschung über Kulturgeschichte der Russlanddeutschen
Konzipiert wurde die Tagung von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Kulturzentrums, Prof. Dr. Olga Litzenberger, die dank ihrer bisherigen Forschungsarbeiten zur russlanddeutschen Kulturgeschichte international ein hohes Ansehen genießt. Die Arbeitstage der Konferenz wurden in mehrere thematisch passende Blöcke unterteilt. Bereits im ersten Block, der sich auf die Bedeutung digitaler Technologien bei der Weitergabe des kulturellen Erbes der Russlanddeutschen bezog, zeigte sich, dass über die Kulturgeschichte dieser Bevölkerungsgruppe bisher wenig geforscht wurde, geschweige denn bei der Erforschung die technisch innovativen Medien ausreichend eingesetzt wurden.
Der Osteuropa-Historiker Hans-Christian Petersen aus Oldenburg gestand in seinem Eröffnungsvortrag, dass er erst vor fünf Jahren mit dem Thema „Deutsche in und aus Russland“ ernsthaft in Berührung gekommen sei. Er habe so gut wie nichts über die Geschichte der Russlanddeutschen gewusst, darüber hinaus sei ihm klar geworden, wie umfangreich das Thema sei und welche wichtige Rolle die Russlanddeutschen bei den bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland zu unterschiedlichen Zeiten spielten.
Seit dem „Fall Lisa“ im Januar 2016 tendieren die Medien bei der Berichterstattung über (Spät-)Aussiedler erneut dazu, sich der stereotypisch-problematisierenden Narrative zu bedienen. Die Historiker seien gefordert, die Gesellschaft über diese Bevölkerungsgruppe aufzuklären. Wenn es darum geht, die aus der Forschung gewonnenen Sachverhalte an die breite Öffentlichkeit zu kommunizieren, kommt aber Institutionen wie dem Kulturzentrum der Deutschen aus Russland in Nürnberg und dem Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold eine herausragende Rolle zu.
Kochrezepte aus der russlanddeutschen Küche
Der zweite Tag begann mit der Vortragsreihe über die Rolle der staatlichen Archive und Museen bei der Erforschung, Erhaltung und der Präsentation des Kulturgutes der Deutschen aus Russland. Es ging unter anderem um Museumssammlungen und Ausstellungen zur Alltagskultur der Schwarzmeerdeutschen und um Kasachstans Archive. In der darauffolgenden Vortragsreihe über die kulturellen, sprachlichen und religiösen Traditionen der Russlanddeutschen referierten hierzulande bekannte Experten wie Wendelin Mangold, Annelore Engel-Braunschmidt und Victor Dönninghaus.
Einer der Höhepunkte des Tages war die Vorstellung des Buches „Geschmack aus der Kindheit“ von Tamara Leongart, in dem die passionierte Sammlerin von Kochrezepten aus Omsk mit beispielloser Akribie hunderte bekannte Rezepte – angereichert mit zahlreichen Details und Bildern – aus der russlanddeutschen Küche zusammengetragen hat.
Übrigens: Das Kochbuch „Geschmack aus der Kindheit“ von Tamara Leongart wurde vom BKDR gerade neuaufgelegt. Bei Interesse kontaktieren Sie bitte das Team des Kulturzentrums.