Zum 1. Mai 2004 traten acht Länder Osteuropas, sowie Malta und Zypern, der EU bei. Die Union wuchs von 15 auf 25 Staaten. Zwei Jahre vor einer möglichen Erweiterung nach Südosten ist das soziale Gefälle von West nach Ost nach wie vor groß.
von Gunter Deuber
Zum 1. Mai 2004 traten acht Länder Osteuropas, sowie Malta und Zypern, der EU bei. Die Union wuchs von 15 auf 25 Staaten. Zwei Jahre vor einer möglichen Erweiterung nach Südosten ist das soziale Gefälle von West nach Ost nach wie vor groß.
Ein Jahr nach der Osterweiterung ist Alltag eingekehrt bei den 25 EU-Staaten. In Ost und West wird die europäische Einigung nun primär aus ökonomischer Perspektive betrachtet. Spürbar ist: Mittelosteuropa hat den Westen mit einem enormen Wohlstands- und Lohngefälle konfrontiert. Die EU-Osterweiterung brachte einen sprunghaften Zuwachs der Einwohnerzahl von etwa 20 Prozent und einhergehend einen Anstieg der Wirtschaftskraft um rund fünf Prozent.
Eine Diskrepanz, die das soziale Ost-West-Gefälle (messbar am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf) prägt. Diese Relation liegt etwa in Polen, dem bevölkerungsreichsten Land Mittelosteuropas, bei rund 40 Prozent des westeuropäischen Niveaus. Solch soziale Ungleichheit birgt Konfliktpotential für eine EU, die sich Arbeitnehmerflexibilität, Marktwirtschaft und zugleich sozialen Ausgleich durch finanzielle Hilfen zum Ziel setzt. Es dominiert ein scharfer Wettbewerb um billige Dienstleistungen und niedrige Löhne, um Arbeitsplätze, Produktionsstätten und Investitionen.
Die Lohndifferenz zwischen West und Ost ermöglicht Dienstleistern aus Osteuropa, ihre Leistungen günstiger anzubieten als es die westeuropäische Konkurrenz kann. Um den Konkurrenzdruck zu mildern, wird derzeit eine EU-Dienstleistungsrichtlinie diskutiert, die solchen Wettbewerb begrenzt. Dienstleistungsanbieter sollen sich an den nationalen Lohn- und Arbeitsrichtlinien des Landes orientieren, in dem sie ihre Leistung anbieten, und nicht an den Bedingungen ihres Heimatlandes.
Was für Dienstleister gilt, gilt gleichermaßen für Arbeitnehmer: Osteuropäische Arbeitnehmer könnten ihre Arbeitkraft viel billiger anbieten als westeuropäische Kollegen. Darum wurde auf Drängen der alten Mitgliedstaaten die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus Osteuropa gegen den Widerstand der Neumitglieder begrenzt. Dies gilt bis mindestens 2006. Dann wird diese Richtlinie überprüft und maximal bis 2009 oder 2011 in Kraft bleiben. Die Staaten Osteuropas sahen sich rasch als „EU-Mitglieder zweiter Klasse“; für Spanien und Portugal galten allerdings nach ihrem EU-Beitritt ebenso Übergangsfristen.
Gemischte Gefühle dem neuem Wettbewerb und dem sozialen Gefälle gegenüber waren in den Grenzregionen der westlichen Nachbarstaaten Mittelosteuropas schon im Vorfeld der Erweiterung spürbar. Gefürchtet wurden nicht nur Fabrikverlagerungen und Billigprodukte aus dem Osten, sondern gerade auch Lohndumping auf dem Arbeitsmarkt. Mittlerweile hat sich dieses Stimmungsbild in ganz Deutschland und dem alten Europa verbreitet. Dies spüren derzeit auch Bulgarien und Rumänien.
Kürzlich wurden die EU-Beitrittsverträge mit Bulgarien und Rumänien und dem Zieldatum 2007 ratifiziert. Deutsche Politiker drängen aber auf eine scharfe Begrenzung des Wettbewerbs mit den zwei Staaten Südosteu-ropas. Sie fürchten unfaire Konkurrenz, da die Lohn- und Wohlstandsunterschiede erheblich sind. Die Wirtschaftskraft pro Kopf liegt in Bulgarien und Rumänien bei rund 30 Prozent des westeuropäischen Niveaus.
Edmund Stoiber, CSU-Vorsitzender, warnte vor „neuen Billigarbeitern“ und forderte einen Aufschub des EU-Beitritts Bulgariens und Rumäniens. Die Bundesregierung warf Stoiber Populismus und Europafeindlichkeit vor. In den Hintergrund tritt, dass sich die EU die Stärkung der wirtschaftlichen Dynamik und den Wohlstand Gesamteuropas zum Ziel gesetzt hat. Dies ist mit fairem Wettbewerb, freier Konkurrenz und einer überzeugenden Rahmenordnung
realisierbar. Übergangsregelungen, wie bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit, oder generelle Regelungen, wie bei Dienstleistungen, sind mit marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik durchaus vereinbar – die aktuellen Rufe aus der Politik nach neuer und dauerhafter Regulierung, wie umfassende Mindestlohnbestimmungen, dagegen kaum.
Die Euphorie des letzten Frühjahrs hat sich durch das spürbare soziale Gefälle der EU der 25 in Europaskepsis gewandelt. Kurzfristige ökonomische Interessen und Vorbehalte prägen ein Jahr nach der EU-Ost-Erweiterung und zwei Jahre vor einer möglichen Erweiterung nach Südosten das Stimmungsbild und den politischen Diskurs.
Trotz der im Zuge der letzten Erweiterungsrunde unterschätzten Folgen der Lohn- und Wohlstandsdiskrepanzen in der EU-25: Es gibt keine Rückkehr zum Status quo-ante mehr. Was immer noch zählt, ist der vor einem Jahr zelebrierte Grundgedanke der europäischen Integration.