Logistik und Transport gehören zu den großen Zukunftsthemen, von denen Kasachstan in einer sich zunehmend vernetzenden Welt profitieren kann. Dafür braucht es gut ausgebildete Experten mit breitem Know-how und Soft-Skills. Teil 2 unserer Beitragsserie von Prof. Dr. Wolrad Rommel, Präsident der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU).
Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich die Welt in den letzten Monaten dramatisch verändert. Alles läuft auf eine neue geopolitische Aufteilung der Welt hinaus. Die Grenze wird irgendwo zwischen den beiden Weltmächten USA und China verlaufen. Dieser geopolitische Wandel hat grundlegende Folgen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Kasachstan. Kasachstan ist nicht mehr ein blinder Fleck am Rande der Welt auf dem Weg nach China. Ich spüre dies in Gesprächen mit Gästen und Kollegen aus Europa. Die Rahmenbedingungen der Wirtschaft und des Lebens in Kasachstan sind plötzlich von Interesse. Gefragt wird nach der Stabilität eines Landes, das Russland und China als Nachbarn hat, und nach dem Einfluss des Islamismus in der Gesellschaft.
Ein Thema, das in diesem Zusammenhang alle beschäftigt, ist der Ausbau und Umbau der Handelsrouten zwischen Europa und Asien. Der Weg von Europa über Russland ist versperrt. Gesucht wird nach Alternativen. Kasachstan fällt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Auf dem Landweg von China nach Europa spielt von jetzt an der Ausbau des mittleren Handelskorridors von China über Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien und die Türkei nach Europa die entscheidende Rolle. Das ist verbunden mit einer neuen Dynamik der Handelswege in Kasachstan. Zukünftig werden sich in Westkasachstan der mittlere Korridor mit dem Nord-Süd-Transportkorridor kreuzen, der Indien und Iran mit Russland und Europa verbindet. Aktau wird sich aufgrund seiner Lage am Kaspischen Meer zu einem globalen Logistikknoten entwickeln, der Nord, Süd, Ost und West miteinander verbindet.
Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit
Das ist eine einmalige Zukunftschance für Kasachstan. Handel bringt Wandel. Entlang von Handelsrouten siedeln sich Dienstleistungsunternehmen und Industriebetriebe an. Die wirtschaftliche Wertschöpfung verbreitert und vertieft sich. Die wirtschaftliche Stärke Europas hat sich ausgehend vom Mittelalter über Handelswege entwickelt. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas startet in den Industriezonen rund um die Handelsplätze am Meer, zum Beispiel in Schanghai oder Shenzhen an der Grenze zu Hongkong. Kasachstan kann ebenso aus seiner Rolle des reinen Transitlandes zwischen Europa und Asien hinauswachsen. Die neuen Handelsrouten können regional und lokal Orte für neue Dienstleistungen und Industrien sein. Das ist die Chance für Kasachstan, jenseits der Lieferung von Rohstoffen, Öl und Gas und Monostädten, eine wirtschaftliche Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität einzuleiten.
Die Entwicklung der neuen Handelswege über Kasachstan ist mit dem Aufbau neuer Verkehrsinfrastrukturen verbunden. Das erfordert riesige Investitionssummen. Eisenbahnlinien müssen modernisiert und ausgebaut werden, ebenso wie Straßen, Brücken oder Häfen. Das alles wird passieren. Auch der politische Wille ist bei allen Anrainerstaaten vorhanden, die Voraussetzungen für den schnellen und offenen grenzüberschreitenden Handel zu schaffen. Die Chancen stehen also gut, dass die neuen Handelsrouten in den nächsten Jahren Schritt für Schritt realisiert werden, auch wenn es sich wahrhaftig nicht um einfache multilaterale Projekte handelt. Es müssen sehr unterschiedliche nationale und regionale Interessen zusammenfinden. Ich bin insoweit allerdings optimistisch, weil alle beteiligten Transitländer ein natürliches Interesse haben, vom Warenstrom zwischen Asien und Europa zu profitieren.
Unterschätzte Bildung
Jede Entwicklung hat ihre Hürden, an denen so oft gescheitert wird. Nichts im Leben ist ein Selbstläufer. Erfolg setzt Klugheit, Weitsicht und immer auch ein Quäntchen Glück voraus. Damit nähere ich mich den beiden Nadelöhren, die für mich für den Erfolg der neuen Handelsrouten in Kasachstan zu überwinden sind:
Das erste Nadelöhr ist der Seeweg über das Kaspische Meer. Das ist eine politisch und technisch lösbare Herausforderung. Das zweite Nadelöhr wird leicht übersehen und ist darüber hinaus nur langfristig lösbar. Das ist die Bildung. Transport braucht Experten, gut ausgebildete Fachkräfte und Facharbeiter. Muskelkraft und Maschinen sind nicht genug. Notwendig ist ein vertieftes und aktuelles Wissen über Handel, Unternehmen, Technik und Digitalisierung. Bereitschaft zur Flexibilität, offene Vernetzung und Servicementalität kommen hinzu. Hier gibt es in Kasachstan noch einen erheblichen Nachholbedarf auf allen Ausbildungsebenen.
Ein zentraler Baustein sind Kompetenzen in Logistik. Sie sind die DNA von Handel und Produktion in Industriegesellschaften. Die Optimierung des Flusses von Materialien, Gütern, Informationen, Menschen und Geld in Netzwerken durch Raum und Zeit ist das Ziel der Logistik. Das ermöglicht die unternehmensübergreifende Arbeitsteilung zur Produktion von Hochtechnologien und zur Veredelung von Produkten. Die Wertschöpfung verbreitet und vertieft sich. Wer logistische Methoden beherrscht, hat Vorsprünge im Wettbewerb. Das ist ein Erfolgsgeheimnis des wirtschaftlichen Erfolges Deutschlands in der industriellen Produktion. „Logistik made in Germany“ nimmt überall in der Welt einen Spitzenplatz ein.
Eine praktisch orientierte Universität
An der DKU ist Logistik deshalb traditionell ein Schwerpunktthema. Regelmäßig nimmt das Bachelorstudium an der DKU in Logistik im Ranking der kasachischen Handelskammer „Atameken“ Spitzenplätze ein. Unsere Studierenden sollen die reale Welt der Logistik verstehen, so wie in der Praxis Produktion und Handel optimal miteinander vernetzt werden können. Wir legen Wert auf das Erlernen digitaler Methoden. Dazu haben wir ein virtuelles Logistik Lab aufgebaut, das in dieser Form einmalig in Kasachstan ist. Wir bieten Unternehmen Training in Logistik für Führungskräfte und Mitarbeiter an. Nicht zuletzt führen wir auch anwendungsorientierte Forschungsprojekte durch, wie zum Beispiel aktuell mit der Technischen Universität Darmstadt ein Projekt zur Analyse und Modellierung von Logistikkapazitäten entlang des mittleren Transitkorridors in Kasachstan.
Damit schließt sich mein heutiger Themenkreis. Die DKU ist eine praktisch orientierte Universität. Was wir machen, soll Nutzen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Zentralasiens haben. Dazu bauen wir Wissensbrücken zwischen Europa und Zentralasien auf. Wir möchten die nächste Generation von Führungskräften in Kasachstan mit ausbilden. Das wird oft missverstanden. Die DKU bildet nicht für Deutschland und Europa aus. 90 Prozent unserer Studierenden starten ihre berufliche Karriere in Kasachstan.