Gern sieht sich der Journalist als Förderer des Gemeinwohls und abseits des ökonomischen Nutzenkalküls. Susanne Fengler und Stefan Ruß-Mohl jedoch zeigen: Er ist ein „homo oeconomicus“ – wenn auch ein „homo oeconomicus maturus“.
Gern sieht sich der Journalist als Förderer des Gemeinwohls und abseits des ökonomischen Nutzenkalküls. Susanne Fengler und Stefan Ruß-Mohl jedoch zeigen: Er ist ein „homo oeconomicus“ – wenn auch ein „homo oeconomicus maturus“.
Die Sicht des Journalisten als Spezies, der nach ökonomisch-rationalen Nutzenüberlegungen handelt, hat bisher wenig Einfluss auf das Selbstverständniss der schreibenden Zunft, die Theorie der Kommunikationswissenschaft und die Journalistenausbildung. Das Werk „Der Journalist als Homo oeconomicus“ zeigt, warum das ökonomische Instrumentarium und seine Begrifflichkeiten zur Analyse der Branche taugen. Vom Redaktionsalltag über Brancheninterna bis zur Interaktion mit der Leserschaft. Warum ruft die Verbindung zwischen Journalismus und dem ökonomischem Paradigma dennoch Abwehrreaktionen hervor? Die Autoren zeigen, dass die Ursache in einer verengten Interpretation der Wirtschaftswissenschaft und in der unhinterfragten Floskel der „Ökonomisierung der Medienwelt“ liegt.
Die anreiz- sowie akteurzentrierte Ökonomik kann mit der Leerformel „Förderung des Gemeinwohls“ wenig anfangen. Sie hat die Vorstellung der Gemeinwohlorientierung von rational handelnden Akteuren – auch von Politikern – längst aufgegeben. Der Journalist sieht sich indes gerne als altruistischer und aufklärerischer Förderer des Gemeinwohls. Um Barrieren abzubauen, beleuchten Fenger und Ruß-Mohl zunächst, warum der Journalist als „homo oeconomicus“ kein „rationaler Trottel“ sein muss – sondern als „homo oeconomicus maturus“ durchaus altruistisch und an substantiellen sozialen Interaktionen ausgerichtet sein kann.
Dem weniger in den Begrifflichkeiten der Ökonomik geschulten Leser ermöglichen die Autoren einen einfachen Einstieg am Beispiel des Redaktions- und Interaktionsalltags eines idealtypischen Redakteurs. Ein Alltag, der von persönlichen Nutzenkalkulationen unter Unsicherheit, eingeschränkter Rationalität, Knappheit der Ressourcen, den Grenz- und Transaktionskosten zusätzlicher Recherche, der unterschiedlichen Handlungsmotivation zwischen Journalist und Informant sowie formellen und informellen Regeln geprägt ist.
Fengler und Ruß-Mohl unterziehen die Markt- und Rahmenbedingungen der Medienbranche einer ökonomischen Betrachtung. Denn Medienschaffende agieren meist auf zwei Märkten, die in wechselseitigem Verhältnis stehen können. Man konkurriert um Leser und Anzeigen zugleich und bewegt sich dabei oftmals hart an der Grenze zwischen PR und Journalismus. Ganz zu schweigen von Politik und Lobbying.
Die enge Interaktion zwischen Inhalten und Werbung und die kostengünstige Bereitstellung von Informationen hat die Zahlungsbereitschaft der Leser für qualitative Berichterstattung gesenkt – die Abhängigkeit von Werbeeinnahmen mehr und mehr erhöht. Die PR-Branche boomt, während Redaktionen ausgedünnt werden. Dennoch zeigen die Autoren, wie beide symbiotisch – oder ökonomisch rational – aufeinander angewiesen sind. Ohne Journalismus keine PR und vice versa. Die rationale Analyse der Medienbranche zeigt ferner, warum der Qualitätsjournalismus in einer Dilemmasituation steckt und nicht das Interesse der breiten Leserschaft findet, sich aber als Nischenprodukt etablieren kann.
Die Autoren von „Der Journalist als Homo oeconomicus“ skizzieren, dass im Journalismusalltag mehrere Währungen zugleich zählen: Das gute Geld aber auch die Aufmerksamkeit der Leser und besonders die Anerkennung in der eigenen Zunft. Ersteres ökonomisch harte Einkommen kann leicht durch Rudelverhalten, Skandalierung und möglicherweise vorschnelle Rechercheschlüsse erzielt werden – mit Tendenz zum übersteigert eigennutzorientierten „homo oeconomicus“. Anerkennung und Reputation kann jedoch nur als „homo oeconomicus maturus“ erworben werden, der nicht nur Eigeninteressen, sondern durchaus auch seinen Interaktionspartnern dient und gewisse ethisch-moralische Mindeststandards im Blick hat.
Nun könnten Titel und die bisherige Argumentation des Buches es nahe legen, den Autoren – obwohl keine klassisch ausgebildeten Ökonomen – eine eindeutige Präferenz der Ökonomik zu unterstellen. Zumal sie mehrfach den Nutzen marktlicher Instrumente zu Veränderungen innerhalb der Medienbranche betonen. Dabei betonen sie aber durchaus auch die Grenzen marktlicher Koordination. Eigennutz und Gemeinwohl, zeigen die Autoren, kann der „homo oeconomicus maturus“ in der Medienszene verbinden.
Der eingefleischte Ökonomiker mag da skeptisch werden. Zumal er zu Ende als Pathologe bezeichnet wird. Der Wirtschaftsethiker und sozialwissenschaftlich orientierte Ökonom wird weniger skeptisch werden und das Gros der schreibenden Zunft wird die Sicht der Autoren vielleicht noch mehr teilen können. Alles in allem ein recht gelungener ökonomischer Blick auf die Praxis des Journalismus und Strukturen der Medienbranche. En passant werden neue Entwicklungen der akteurs- und handlungsorientierten Ökonomik, hier vor allem der Institutionenökonomie und der Spieltheorie, prägnat und praxisorientiert eingeführt. Für Ökonomen und Kommunikationswissenschaftler eine mehr oder weniger kurzweilige Horizonterweiterung auf rund 200 Seiten – zumal der geneigte Leser zahlreiche weiterführende Literaturverweise erhält.
„Der Journalist als ´Homo oeconomicus`“, Susanne Fengler, Stephan Ruß-Mohl, UVK-Verlag 2005, 204 Seiten, 29,00 Euro.
19/08/05