Die Biographie des jüdischen Schriftstellers Isaak Babel wurde Ende März in Almaty vorgestellt. Autor des ca. 200 Seiten umfassenden Werkes ist Reinhard Krumm, gegenwärtiger Projektkoordinator der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zentralasien.
Bis vor kurzem gab es noch keine Biografie über Isaak Babel, den Schriftsteller, Dramatiker und Journalisten. Dies ändert sich jetzt mit Reinhard Krumms Buch „Isaak Babel. Biografija“, das nun in russischer Sprache vom Almatyer Regionalbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung das erste Mal in Kasachstan präsentiert wurde. „Leider“, so Elvira Pak von der Friedrich-Ebert-Stiftung, „wurde die erwartete Besucheranzahl nicht erfüllt“. Dennoch erhoffe man sich, dass Krumms Biographie über Babel, die in Deutschland bereits unter dem Titel „Isaak Babel. Ein Schreiben unter Stalin. Eine Biographie“ veröffentlicht wurde, „eine lebhafte Diskussion unter Intellektuellen und Studenten Kasachstans entfacht“.
Treffen mit Gorki
Isaak (Emmanuilowitsch) Babel wurde 1894 als Sohn jüdischer Eltern in Odessa geboren. Als Kind erlebte er die antijüdischen Pogrome Anfang des 20. Jahrhunderts hautnah mit; seine Familie überlebte diese nur, weil sie bei befreundeten Christen Unterstützung fand. Nachdem er aufgrund seiner jüdischen Herkunft nicht an der angesehenen Wirtschaftsschule in Odessa studieren konnte, ging er nach Kiew, später nach St. Petersburg. Dort lernte er auch den berühmten russischen Schriftsteller Maxim Gorki kennen, der Babel bei der Veröffentlichung seiner ersten Geschichten half.
Während des Ersten Weltkrieges kämpfte Babel für die russische Armee an der Front in Rumänien, arbeitete für die Tscheka als Übersetzer bei der Spionageabwehr, später als Reporter in Tiflis und Odessa. Während des sowjetisch-polnischen Bürgerkrieges sollte er als Berichterstatter der Reiterarmee des Marschalls Budjonny über die Erfolge der russischen Armee berichten. Stattdessen wurde er jedoch Zeuge des grausamen Vorgehens der Roten Armee gegenüber Polen und Juden. Diese Erfahrungen verarbeitete er später kritisch-literarisch in seinem wohl bekanntesten Werk „Die Reiterarmee“, welches 1926 erschienen ist.
Auf offizieller Seite stieß Babel zunehmend auf Ablehnung. 1939 wurde er verhaftet und als Spion angeklagt, vermutlich 1940 wurde er schließlich im berüchtigten Moskauer Gefängnis Butyrka erschossen. Erst 1954 rehabilitierte die sowjetische Seite Babel wieder.
„Schon als Student der Slavistik und der Geschichte interessierte ich mich für Babel“, erzählt Reinhard Krumm, der Autor des Buches. Besonders aber habe ihn sein Aufenthalt in Moskau als Korrespondent des deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel motiviert, mehr über Babel zu erfahren. Damals wurde ihm gesagt, wenn er Babel lese und verstünde, er schließlich auch selbst gut schreiben könne. Damit begann die Arbeit über das Leben Isaak Babels, zu dem es bisher noch keine zusammenhängende Biographie gab.
Revolutionsanhänger und Gesellschaftskritiker
Krumms Recherche führte ihn neben Moskau auch nach Kiew, St. Petersburg, Brüssel und Kalifornien. Er führte Interviews mit Familienangehörigen und Zeitgenossen und durchforschte die Archive. Dabei fand er schließlich auch neues Material über Babel – Briefe Stalins, in denen Babel erwähnt wird. „Dennoch“, so Krumm, „hatte ich mir mehr Material erhofft.“ Nach über vier Jahren konnte er schließlich die leichtverständliche, aber dennoch wissenschaftliche Biographie veröffentlichen.
Im Mittelpunkt des Buches steht dabei nicht so sehr das schriftstellerische Schaffen des Autors Babel, sondern vielmehr sein Leben, seine Erfahrungen als Jude, Russe, Intellektueller, Revolutionsanhänger und Gesellschaftskritiker. Babel vereint damit eine Reihe von Widersprüchen und Ereignissen, die für eine ganze Generation von Intellektuellen der 30er Jahre in der Sowjetunion als charakteristisch gelten können. Warum soll aber ausgerechnet in Kasachstan und Zentralasien das Buch Bedeutung haben, und warum wurde es hier veröffentlicht? Babel war nie in dieser Region und hat sich auch in seinem Schaffen nie spezifisch mit Zentalasien auseinandergesetzt.
Oder lassen sich doch Gemeinsamkeiten zwischen dem Schreiben, Leben und Denken in der europäischen Sowjetunion der 1920er und 30er Jahre und dem in den postsowjetischen Regimen Zentralasiens am Anfang des 21. Jahrhunderts feststellen? Trotz der offensichtlichen geographischen und zeitlichen Distanz drängen sich einige Parallelen auf. Befanden sich nicht damals wie heute die jeweiligen Staaten in einem Zustand der gesellschaftlichen Transformation – damals des Aufbaus einer sozialistisch orientierten Gesellschaft, heute der Überwindung dieser Gesellschaftsform? War man nicht damals wie heute bestrebt, den Staat zu konsolidieren, wenn nötig auch mit autoritären Mitteln? Und sucht man nicht damals wie heute nach einer Identität, die der neuen Gesellschaft Halt und Sinn geben könnte?
Vielleicht ist die Biographie Babels deshalb so wichtig, weil sie einen Menschen in den Mittelpunkt stellt, den die Fragen nach Identität, nach der Rolle von Macht und Gewalt, nach der idealen Gesellschaftsform und selbst bestimmtem Handeln genauso beschäftigten, wie sie es auch heute noch bei vielen Intellektuellen tun. Und genau das ist auch die Absicht der Veröffentlichung von Babels Biographie in Kasachstan/Zentralasien. So Krumm: „Das Buch soll dazu beitragen, eine Diskussion zu entfachen – über die eigene Identität, über Vergangenheitsbewältigung, über die 1930er Jahre in der Sowjetunion und deren gesellschaftspolitische Auswirkungen sowie über die gegenwärtige Situation in Kasachstan, Usbekistan und den anderen Ländern dieser Region.“
Von Regine Kramer
14/04/06