Jens Weber: „Nicht nur der Profit, sondern auch die Dienstleistung steht im Vordergrund“

Jens Weber
Jens Weber

Jens Weber ist Geschäftsführer der Tien Shan Hotelgruppe in Almaty. Der Deutsche lebt seit Februar 2013 in der kasachischen Metropole und war in den vergangenen zwei Jahren auch Vorsitzender der Vereinigung der Hoteliers in Almaty, in dem fast alle Generaldirektoren der örtlichen Hotels vertreten sind. Webers Ziel ist es, den Service in den von ihm betreuten Hotels und Restaurants auf internationalen Standard zu bringen. Des Weiteren hält der staatlich geprüfte Gastronom, Restaurantmeister und Sommelier an Universitäten und Ausbildungszentren regelmäßig Vorlesungen darüber, was Dienstleistung bedeutet. Wir sind mit ihm nach Schymbulak gefahren, einem beliebten Ausflugsziel für Touristen, um über die Servicementalität im Hotel- und Gaststättengewerbe in Kasachstan zu sprechen.

Herr Weber, Sie sagen, dass es schwierig ist, den Hotelservice in Kasachstan auf einen internationalen Standard zu bringen. Woran liegt das?

Dienstleistung und Service werden in Kasachstan leider noch nicht großgeschrieben. Kasachstan als junges, sich entwickelndes Land ist auf einem guten Weg, aber es wird noch viel Zeit und Nerven kosten, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie nur mit einer gut funktionierenden Serviceindustrie auch international erfolgreich sein können. Da ist noch viel Luft nach oben.

In Kasachstan gibt es noch nicht das duale Ausbildungssystem, in dem Mitarbeiter von der Pike auf ihre Berufe erlernen, so wie ich es auch getan habe. Es fehlen die klassischen Berufe des Hotel- oder Restaurantfachmanns, des Koches oder des Hotelkaufmanns wie wir sie aus Deutschland kennen. Der Mitarbeiter kommt in ein Hotel, wird angelernt und ist dann sozusagen Einzelkämpfer. Das macht aber jedes Hotel anders. In unseren Hotels trainieren wir unsere Mitarbeiter ständig, und auch andere Hotels haben ihre eigenen internen Ausbildungssysteme. Diese sind jedoch alle nicht aufeinander abgestimmt.

In Ihren Vorlesungen fällt öfter das Stichwort „Servicewüste Kasachstan“. Wie definieren Sie Service?

Service ist eine unentgeltliche Dienstleistung, die von Herzen kommt und bei der der Gast spürt, dass sie für ihn aus Freundlichkeit gemacht worden ist. Es geht darum, einem Gast den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Dabei sollte nicht nur der Profit, sondern auch die Dienstleistung im Vordergrund stehen. Selbstverständlich arbeiten wir, um Gewinn zu erzielen. Aber es ist immer ein Geben und Nehmen. Wenn aus einem Gast ein Stammgast wird, dann ist das eine Wertschätzung, und die müssen wir zurückgeben.

Was sind hier die größten Probleme im Service?

Die Motivation der Mitarbeiter. Dazu muss man ausdrücklich sagen, dass Motivation nicht nur monetär zu verstehen ist. Die Mitarbeiter müssen auch mit Freude ihre Arbeit machen. Wir sind dann am erfolgreichsten, wenn jeder einzelne sich mit seinen Aufgaben und mit dem Unternehmen identifiziert. In unseren Hotels und Restaurants haben wir Bonussysteme eingeführt, die die Mitarbeiter in die Lage versetzen, ihre Gehälter mit zu beeinflussen.

Häufig mangelt es auch an Warenkenntnissen: Ich kann ein Produkt logischerweise nur dann erfolgreich verkaufen, wenn ich es auch selbst bestens kenne. Es geht um Fachwissen, z.B. was ist Parma- oder Serrano-Schinken, woher kommt er, wie wird er hergestellt, was macht ihn so teuer? Oder welche Whiskeysorten gibt es? Es reicht nicht zu wissen, dass wir Whiskey haben. Dem Barkeeper sollte der Unterschiede zwischen einem schottischen, einem irischen oder amerikanischen Whiskey bekannt sein. Er sollte in der Lage sein, mit dem Gast darüber zu philosophieren!

Das sind Dinge, die deutsche Auszubildende an der Berufsschule lernen. Das fehlt hier ebenso wie die Motivation, die Whiskeyflasche einmal selbst aus dem Regal zu nehmen und zu lesen, was draufsteht. Das liegt häufig allerdings auch an den mangelnden Sprachkenntnissen. Englisch und andere Sprachen zu sprechen, ist in unserer Branche elementar.

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Während es in Deutschland üblich ist, je nach Zufriedenheit mit dem Service Trinkgeld zu geben, ist in Kasachstan häufig schon eine Servicepauschale von 10 Prozent in der Rechnung enthalten. Ich denke, dass viele Gäste aus dem Westen dadurch automatisch kein oder weniger Trinkgeld geben. Dass die Servicekräfte von dieser Pauschale nur selten etwas abbekommen, dürfte dabei den wenigsten klar sein. Trägt dieses System Ihrer Meinung nach auch zu dem oftmals schlechten Service bei?

Hier muss man wohl zunächst einmal den Begriff „ schlechten Service“ definieren. Für mich ist schlechter Service dann gegeben, wenn Restaurantmitarbeiter Gäste grußlos das Restaurant betreten lassen, unfreundlich sind,  Bestellungen falsch aufnehmen oder sie sich nicht um ihre Gäste kümmern. Ich habe alles schon erlebt! Einen reibungslosen Serviceablauf zu erwarten, wie wir ihn aus deutschen Restaurants kennen, ist hier sicherlich (noch) nicht angebracht.

Kasachen sind in der Regel freundlich und hilfsbereit, und wenn ich mich bei einem Restaurantbesuch „gut aufgehoben und willkommen“ gefühlt habe, dann ist es sogar für mich als Fachmann zunächst einmal sekundär, ob man mir mein Steak von der rechten oder der linken Seite serviert hat. Aufrichtige Bemühungen des Hotel- oder Restaurantpersonals sollte man daher durchaus mit ein paar Tenge extra honorieren. Es ist ganz sicher eine Motivation, gerade in dieser aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation des Landes.

Als Vorsitzender des Hotelierclubs Almaty haben Sie auch die Zusammenarbeit mit anderen Hotels in Almaty koordiniert. Wie sieht diese aus?

Die Geschäftsführungen treffen sich regelmäßig, um sich über die Probleme, die wir in den Hotels im Hinblick auf Personal- und Produktbeschaffung oder Trainings haben, auszutauschen. Wir sprechen aber auch über sicherheitsrelevante Themen wie z.B. bekannte Hoteldiebe und Betrüger. Dagegen gehen wir gemeinsam vor. Wenn zum Beispiel ein Hotel betrogen oder bestohlen worden ist, identifizieren wir diese Person und werden dies den anderen Hotels mitteilen. Da sind wir froh, dass wir zusammenarbeiten und schon den einen oder anderen Ganoven, oft auch weiblich, der Polizei übergeben konnten.

Trotz langjähriger internationaler Erfahrung scheinen Sie stark von einer deutschen Denke geprägt zu sein. Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Im Abschlusssatz meiner Bewertung von einer Führungskräfte-Akademie stand der Satz: „Herr Weber neigt zum autoritären Führungsstil.“ Nun gut,  meiner Meinung nach muss ein Hoteldirektor das Hotel von der Front aus sehen. Das heißt, er muss sich im Hotel bewegen, als Gast in der Lobby sitzen, als Gast ins Restaurant gehen. Er muss präsent sein. Ein Hotel nur vom Büro aus zu führen, ist unmöglich. Ich drehe fast jede Stunde eine Runde durchs Haus und besuche all unsere Betriebe regelmäßig.

Ich bin sehr häufig in der Küche – nicht nur zum Probieren (lacht). Ich sehe welche Bestellungen reinkommen und beobachte die Abläufe. Ich rede mit einzelnen Mitarbeitern. Wenn ich bemerke, dass etwas nicht so läuft, wie es sein sollte, versuche ich erst einmal festzustellen, woran das liegt. Alle Mitarbeiter haben klare Vorgaben und ich erwarte, dass die Standards, die wir gesetzt haben, auch eingehalten und ohne „Wenn und Aber“ umgesetzt werden.

Es ist mir wichtig, dass ich als Generaldirektor der Gruppe nicht alleine „regiere“, sondern grundlegende  Entscheidungen gemeinsam mit meinen engsten Mitarbeitern herbeiführe. Dabei werden auch die Abteilungsleiter involviert. Und da gehen wir den deutschen Weg: Problem erkennen, Lösung finden, Entscheidung treffen, so wird es gemacht. Es gibt keine großen Diskussionen oder die hier sehr beliebte Gründungen von Kommissionen oder Workshops! Wenn eine Entscheidung gefallen ist, wird sie auch unverzüglich umgesetzt.

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Worin unterscheiden sich Ihre Hotels und Restaurants von anderen in Almaty?

Ich denke, dass unsere Mitarbeiter im Vergleich auf dem Almatyner Markt sehr gut aufgestellt sind. Generell glaube ich, dass sie sehr motiviert sind. Wir haben viele langjährige Mitarbeiter, das ist ein Zeichen für ein gutes Betriebsklima. In unseren Häusern sind einige Mitarbeiter seit der Eröffnung 2006 dabei. Es ist toll, wenn sie sagen: „Das ist mein Hotel, und ich arbeite gerne hier!“ Ich würde auch eingreifen, wenn ich feststellen würde, dass dem nicht so ist. Ich sage es ganz offen: Mitläufer sind bei mir nicht gefragt. Denn der Gast merkt es, wenn die Mitarbeiter demotiviert oder unzufrieden sind.

Wir wollen uns bewusst von anderen internationalen Hotels unterscheiden. Wir sind ein kasachisch-lokales Hotel, und dieses kasachische Flair wollen wir auch unseren Gästen vermitteln. Ich finde es langweilig, wenn man irgendwo in einer Hotelhalle steht und die Lobby wie überall aussieht. Bei uns merkt man durch das Flair, die Bilder, durch die Musik, dass wir ein heimatbezogenes Hotel sind.

Als Privatmann kann ich sagen, dass ich die kasachische Kultur, das Essen wie auch die Natur, in der wir gerade unterwegs sind, sehr schätze. Andersherum sind hier auch deutsche Produkte sehr gefragt. Und so wie Deutschland Werte wie Pünktlichkeit, Akkuratesse und Genauigkeit vermittelt, so steht Kasachstan für Tradition und Gastfreundlichkeit. Wenn Kasachen zuhause Besuch bekommen, werden sie immer alles, was möglich ist, auf den Tisch stellen. Selbst wenn die Mittel begrenzt sind, wird man dem Gast immer vermitteln, dass er willkommen ist. Das finde ich beeindruckend!

Da Sie die private Gastfreundlichkeit ansprechen: Wieso überträgt sich diese dann nicht auf das Hotel- und Gaststättengewerbe?

Wie gesagt: Die Kasachen sind ein sehr gastfreundliches Volk. Aber oft versuchen sie auch, den Weg des geringsten Wiederstandes zu gehen und dadurch schleichen sich Oberflächlichkeit und Fehler ein, die dann regelmäßig wiederholt werden. Da sind die Kasachen auf einem guten Weg, aber es muss noch viel getan werden. Dabei helfe ich gerne.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch sagen: Wenn ich noch einmal vor der Berufswahl stünde, ich würde wieder die Hotellerie wählen, denn nichts ist so vielfältig und spannend wie die tägliche Arbeit mit Menschen aus aller Herren Länder, mit den unterschiedlichsten Ansichten und Mentalitäten.

Das interview fühte Othmara Glas

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