Alexander Scholl ist Diplom-Ingenieur für Nachrichtentechnik und führt in Almaty im Auftrag der deutschen Firma Rohde & Schwarz Präsentationsseminare für neue Produkte durch. Der 32-Jährige Kasachstandeutsche ist in Almaty aufgewachsen und lebt nun seit 17 Jahren in Deutschland. Mit der DAZ sprach er über seine Integrationserfahrungen in Deutschland, über das heutige Kasachstan und warum er in Nostalgie verfällt, wenn er an die Sowjetunion zurückdenkt.

/Foto: DAZ/

Herr Scholl, Sie sind im Alter von 16 Jahren zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern nach Deutschland ausgewandert. War es für Sie schwer, sich in diesem Alter in die vermeintlich fremde Gesellschaft zu integrieren?

Die Pubertät hat es nicht leichter gemacht, aber eigentlich war alles eine Frage der inneren Einstellung. Man konnte sich entweder unter seinesgleichen einkapseln oder sich der neuen Kultur öffnen. Ich habe mich damals sehr bewusst für die Integration entschieden.

Wollten Sie schon immer Ingenieur werden?

Ich war schon immer ein Bastler und habe noch in der Sowjetunion an den ersten Computern herumgewerkelt. In der Hauptschule, in die ich in Deutschland eingestuft wurde, habe ich verkündet, nach der Schule Ingenieur werden zu wollen. Dafür bin ich auch gleich ausgelacht worden. Ich wusste damals noch nicht, dass die Hauptschule künftige Kfz-Mechaniker und Bauarbeiter hervorbringt. Aber ich bin dort auch nicht lange geblieben. Meine Leistungen in den naturwissenschaftlichen Fächern waren so gut, dass ich nach einem halben Jahr schon auf der Realschule war. Danach folgte das Technische Gymnasium, die Wehrpflicht, und dann habe ich studiert.

Haben Sie in Deutschland leicht Freunde finden können?

Es hat immer etwas gedauert. Jedes Mal ungefähr ein Jahr, bis ich mit Einheimischen richtige Freundschaften schließen konnte. Es muss eine Frage der Mentalität gewesen sein, denn mit Ostdeutschen fand ich in der Regel schneller die gemeinsame Wellenlänge. Unsere Unterschiede verschwanden aber sofort, wenn ich Deutschen im Ausland begegnete. Dort zählten eher die Gemeinsamkeiten, und wir fühlten uns alle einfach nur als Deutsche.

Haben Sie je auf Ihrem Lebensweg Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit gemacht?

Nein. Weder in der Schule, noch in der Bundeswehr, und schon gar nicht beim Studium oder im Berufsleben. Ich bin in dieser Hinsicht nur sehr guten, aufgeschlossenen Menschen begegnet.

Gab es etwas, was Ihnen die Integration besonders erschwert hat?


Na, ja, vielleicht, ihre übertriebene Toleranz. Als ich noch schlecht Deutsch sprach, wurde ich nie korrigiert. Sie haben es natürlich gut gemeint, aber ich konnte so aus meinen Fehlern nicht lernen, was mir eher geschadet hat. Wenn zum Beispiel ein Deutscher in Russland etwas falsch sagt, würde ein Russe ganz unbefangen lachen, ihm auf die Schulter klopfen und ihm die Sache erklären. So etwas hätte ich mir auch in Deutschland gewünscht.

Mittlerweile sprechen Sie neben Russisch und Deutsch auch noch fließend Englisch. Sind Sie besonders sprachbegabt?


Ich bin durch und durch ein Techniker. Aber ich habe eben gemerkt, dass einem die Sprachen Türen öffnen. Außerdem war für mein Studium der Elektro- und Nachrichtentechnik Englisch unerlässlich. Allein die Programmiersprachen verlangten es. Also lernte ich Englisch. Die Hälfte meiner Studienzeit verbrachte ich in England, und mittlerweile ist Englisch meine erste Wahl, wenn es ums Fachliche geht. Zurzeit lerne ich Spanisch. Es ist ja die am vierthäufigsten gesprochene Sprache der Welt. Und ich möchte auch diese Menschen verstehen können.

Wann sind Sie zum ersten Mal in Ihre Heimatstadt Almaty zurückgekehrt?

Im Jahr 1998. Damals war es ein Schock für mich. Es hat mir sehr weh getan zu sehen, was die Menschen hier durchzustehen hatten. Der Übergang vom Kommunismus zur freien Marktwirtschaft war richtig, aber er hätte nicht auf dem Rücken des Volkes ausgetragen werden dürfen. Es war eine Phase der reinen Aufteilung. Das alte System wurde zerstört, und man konnte nichts erkennen, was den Menschen stattdessen gegeben wurde. Heute sieht es schon besser aus.

Schauen Sie der Sowjetunion mit Nostalgie nach?

Ja. Wir waren zwar alle arm, aber alle gleich arm, so dass das Geld für uns keine Rolle spielte. Heute ist das Geld das Thema Nummer Eins in Kasachstan. Die sozialen Unterschiede verderben die Menschen. Sie schüren den Neid, und das frühere Miteinander gibt es kaum noch. Ich wünsche mir, dass alle Menschen in Kasachstan irgendwann mal wohlhabend sind, so dass das Geld wieder aufhört, Lebensinhalt zu sein. Vor kurzem habe ich hier einen „Subbotnik“ (freiwillige, kollektive Arbeiten im kommunalen Bereich) gesehen. Das hat mich sehr gefreut. Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas noch gibt.

Was ist für Sie heute in Kasachstan neben den sozialen Unterschieden das Hauptproblem?

Die Korruption. Sie ist einfach überall – von ganz oben bis ganz unten.

Was kann Kasachstan von Europa oder speziell von Deutschland lernen?

Ich möchte nicht, dass Kasachstan alles von Europa abschaut. Er geht seinen eigenen Weg, und das ist gut so. In einer einheitlichen Welt möchte ich nicht leben.

Und was kann Deutschland von Kasachstan abschauen?

Vielleicht Respekt gegenüber Älteren. Das wird hier ganz groß geschrieben. Und Gastfreundschaft natürlich.

Wer sind Sie? Ein Deutscher? Ein Kasachstaner?

Weder – noch. Ich sehe mich eher als einen Europäer. Oder sogar als einen Kosmopoliten.

Würden Sie den hiesigen Kasachstandeutschen empfehlen, nach Deutschland auszuwandern?

Wenn sie etwas älter sind und ihren Lebensabend in geordneten Verhältnissen ausklingen lassen wollen – dann ja. Wenn sie aber jung und energisch sind, würde ich ihnen empfehlen, hier zu bleiben. Kasachstan bietet zurzeit die besseren Chancen.

Das Interview führte Anton Markschteder.

Rohde & Schwarz

Die deutsche Firma Rohde & Schwarz exportiert seit 1996 technische Geräte für Messtechnik, Rundfunk und Funküberwachung nach Kasachstan. In der zentralasiatischen Republik werden die Produkte von Rohde & Schwarz unter anderem in Mobilfunknetzen, bei Rundfunkanstalten und bei Abwicklung des Funkverkehrs der Flughäfen eingesetzt.

11/04/08

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