Mit schöner Regelmäßigkeit beauftragen Präsident oder Regierungschef die Nationalbank mit der konsequenten Bekämpfung der überbordenden Inflation in Kasachstan. Deren Verringerung ist unbedingt notwendig, gehen von einer zu hohen Inflation doch deutlich mehr negative als positive Effekte aus. In den monatlichen Berichten der Nationalbank wird daher den Inflationsursachen immer umfassende Aufmerksamkeit gewidmet.

Die im letzten Bericht genannten Gründe für eine zu hohe Teuerungsrate hatten keinerlei Neuigkeitswert: Hohe Nachfrage nach Lebensmitteln und Energieträgern auf den Weltmärkten und eine „Reihe monetärer Faktoren“. Der letzte Grund ist eine eher verschämte Umschreibung der unverhältnismäßig hohen Zunahme der Geldmenge durch die Ausgabe von Krediten durch die Geschäftsbanken an den Nichtbankensektor, was letztlich die Nationalbank politisch zu verantworten hat. Neben monetären Gründen existieren natürlich noch andere Ursachen – zum Beispiel unzureichender Wettbewerb. Diesen kann die Nationalbank nicht beeinflussen, das ist Sache der Wirtschaftspolitik, eher sogar der Politik „ganz oben“. Der erstgenannte Grund stimmt natürlich und bewirkt im Bereich Lebensmittel infolge des hohen Importanteils in Kasachstan besondere Preissteigerungen. So beträgt der Importanteil Kasachstans zum Beispiel bei Fleisch etwa 40 Prozent, bei Pralinen 60 Prozent, bei Margarine 50 Prozent und bei Käse 56 Prozent.

Im ersten Quartal des Jahres lag die offizielle Inflationsrate in Kasachstan bei 2, 5 Prozent , darunter für Dienstleistungen 1, 8 Prozent, für Industriewaren 1, 6 Prozent und für Lebensmittel 3, 7 Pozent. Letztere Kategorie ist also der Hauptinflationstreiber und zugleich die in sozialer Hinsicht empfindlichste Teilgröße.

Anfang Mai nun wurden die Bewohner Kasachstans angenehm überrascht. Damit sind nicht die arbeitsfreien Tage gemeint oder das schöne Wetter, sondern nüchterne Zahlenreihen im Internet, die die Frage der Inflationsursachen betreffen. Erstmals wurden nicht die Standardgründe für das hohe Preisniveau bei Lebensmitteln und vor allem Obst und Gemüse genannt, sondern völlig neue. Die Zahlen kamen nicht von der Nationalbank, sondern von den staatlichen Zollbehörden. Aus welchen Gründen auch immer, wurde dort beschlossen, Preise nach der Zollabfertigung und die auf den Märkten Kasachstans verlangten Preise für Importlebensmittel zu veröffentlichen. Wahrscheinlich wollte man damit auch Anschuldigungen entgegentreten, dass die Zollpolitik wesentliche Inflationsursache sei. Tatsächlich wurden die Importzölle für Lebensmittel in der letzten Zeit auch spürbar gesenkt, so zum Beispiel für Zucker von 30 auf 10 Prozent, für Reis von 20 auf 10 Prozent und für Wurstwaren von 25 auf 10 Prozent. Die Zölle für Fisch und Obst wurden sogar ganz abgeschafft.

Zur Erinnerung: Zölle sind ein Instrument zum künstlichen Verteuern von Importwaren. Auf den Preis der Importware werden zur Zeit im Durchschnitt in Kasachstan 12 Prozent draufgeschlagen, was die Waren entsprechend teurer macht. Diese 12 Prozent gehen in den Staatshaushalt. Wichtiger ist jedoch, dass diese Verteuerung den heimischen Produzenten einen preislichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der ausländischen Konkurrenz sichern soll. In Freihandelszonen wie der WTO entfallen dann schrittweise solche nationalen Schutzmechanismen, die auf Dauer sowieso nicht das Problem unzureichender Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Produzenten lösen können.

Was ist nun das Sensationelle an den vom Zollkomitee veröffentlichten Zahlen? Sie sagen aus, dass zwischen den Preisen nach der Verzollung und den auf den Märkten im Lande geforderten Preisen in der Regel eine Differenz von mehreren hundert Prozent liegt. Im Landesdurchschnitt beträgt diese Spanne bei Gurken 600 Prozent. Je nach Region, also unter Beachtung der Transportentfernungen beträgt diese Differenz bis zu 800 Prozent. Das meist aus Usbekistan eingeführte Obst und Gemüse verwandelt sich so auf wunderbare Weise aus einem grünen (Gurken) oder roten (Tomaten) Gegenstand in einen goldenen (Geld). Doch diese Differenz wandert nun nicht in den Staatshaushalt, sondern….?

Klar, die nach der Verzollung gegebenen Importpreise sind natürlich nicht die Marktendpreise. Schließlich fallen für die Importeure noch Transport-, Lager-, Lohn- und andere Kosten an, ehe die Ware beim Verbraucher auf dem Tisch landet. Doch 600 Prozent – das ist schon allerhand und ökonomisch nicht zu begründen. Es muss also eine Art „Schwarzes Loch“ geben, durch das die Importwaren hindurch müssen und in dem auf wundersame Weise die genannte Vergoldung von Naturprodukten stattfindet.

Demnach richten Präsident und Premierminister ihre Apelle und Anweisungen offensichtlich nicht unbedingt an die richtigen Personen, beziehungsweise nur teilweise an die richtigen Personen. Wer auch immer seine Finger in diesem Spiel haben mag – es ist auf Dauer ein gefährliches Spiel. Eine Bedrohung der Ernährungslage durch egoistische Interessen Einzelner kann ziemlich schnell zu unkontrollierbaren Reaktionen und zu gesellschaftlichen Instabilitäten führen. Der Kampf gegen die Lebensmittelinflation dürfte zuerst ein Kampf gegen Korruption sein. Sollte dieser Kampf nicht gewonnen werden, könnte möglicherweise ein Kampf der Führungskaste um ihr politisches Überleben folgen.

Bodo Lochmann

16/05/08

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