Die gar unerschöpflichen Reichtümer, welche in den Tiefen der endlosen Steppengebiete lagern, haben Kasachstan nach dem Ende der Sowjetunion vor dem wirtschaftlichen Schicksal seiner südlichen Nachbarn bewahrt und das Land zu einem bedeutenden Akteur bei der globalen Energieversorgung aufsteigen lassen. Dabei haben dem Rohstoffriesen auch die diversen politischen Krisen im Nahen und Mittleren Osten sowie ein Nachfrageboom in China, in Folge dessen der Ölpreis in den vergangen zwei Jahrzehnten schrittweise nach oben kletterte, immer wieder in die Karten gespielt.
Laut den Ergebnissen des von der Weltbank im November dieses Jahres veröffentlichten „Country Climate and Development Report“ könnte damit jedoch in wenigen Jahren Schluss sein. Viele Staaten weltweit haben sich vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels ambitionierte Klimaziele gesetzt. Der dadurch zu erwartende klimaneutrale Umbau ganzer Industrien droht dem neuntgrößten Erdöl-Exporteur der Welt schrittweise die Grundlage seines Geschäftsmodells zu entziehen.
Ein erstes Warnsignal dafür, dass ein Ende des gegenwärtigen Booms längst eingeläutet sei, habe sich darin gezeigt, dass sich das Wirtschaftswachstum nach dem Einbruch in Folge der Weltwirtschafts- und Finanzkrise im Jahre 2008 nur schwer erholt habe. Laut den Experten sei der Grund dafür darin zu suchen, dass die Wirtschaftsstruktur des Landes bisher kaum diversifiziert sei. Insbesondere die hohe staatliche Beteiligung an Unternehmen, allen voran im Energiesektor, erschwere die wirtschaftliche Transformation.
Ebenso stehe die Tatsache, dass sich der Staatshaushalt bis heute zu gut einem Drittel aus dem Erlös für fossile Brennstoffe generiere, sinnbildlich für die hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von den Weltmarktpreisen für Rohstoffe. Daraus resultiere grundsätzlich eine hohe Anfälligkeit für globale Konjunkturabschwünge und Krisen.
Weltweiter Bedarf an fossilen Ressourcen wird deutlich zurückgehen
Die Studie „Global Energy Perspective 2022“ der Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey kommt zu dem Ergebnis, dass sich die weltweite Nachfrage nach fossilen Energieträgern im Laufe der nächsten Jahrzehnte erheblich verringern wird. Unter der Voraussetzung, dass sich die Staaten weltweit an der Erreichung des Zwei-Grad-Ziels orientieren, könnte die nachgefragte Menge an Erdöl um das Jahr 2025 ihren Höhepunkt erreicht haben. In Folge dessen könnte der globale Bedarf bis 2050 auf ein 50- bis 65-prozentiges Volumen des heutigen Niveaus absinken. Die globale Nachfrage an Erdgas solle allerdings stabil bleiben, noch bis zum Jahr 2035 zunehmen und erst danach schrittweise zurückgehen. Dennoch könnte bis zum Jahr 2050 der der Anteil erneuerbarer Energien am weltweiten Energiemix auf 80 bis 90 Prozent ansteigen. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wäre das derzeitige kasachische Wirtschaftsmodell zukünftig kaum mehr rentabel.
Insbesondere die tiefgreifende ökologische Transformation in der EU würde der kasachischen Rohstoffindustrie in den nächsten Jahrzehnten das Leben schwer machen. Rund 70 Prozent der kasachischen Exporte an Erdöl gehen jedes Jahr in die EU. Laut den Autoren der McKinsey-Studie hat die Nachfrage nach Erdöl in den EU-Ländern aber bereits ihren Zenit überschritten und befindet sich mittlerweile im Abschwung. Gleichzeitig haben sich die Preise für Emissionszertifikate im EU-Emissionshandel (EU ETS) im Laufe der vergangenen Jahre spürbar erhöht.
Daneben haben einige EU-Länder, darunter auch Deutschland, ergänzend zum EU ETS eine nationale CO²-Besteuerung eingeführt. Nicht zuletzt würden auch die Pläne der EU zur Einführung eines CO²-Grenzausgleichs die Rohstoffeinnahmen des Landes weiter reduzieren. Insbesondere der relativ hohe Breakeven-Point von 70 US-Dollar pro Barrel für kasachisches Öl erweise sich in diesem Zusammenhang als problematisch. Die Autoren der Weltbankstudie schätzen den möglichen Verlust an jährlichen Exporteinnahmen für das Land in Folge der Einführung eines EU-Klimazolls auf 250 Millionen bis 1,5 Milliarden US-Dollar. Dies hätte vor allem schwere Folgen für den kasachischen Eisen- und Stahlsektor.
Kasachstans Potential im Bereich erneuerbarer Energien bisher ungenutzt
Dennoch bietet die weltweite Dekarbonisierung enorme Chancen für Kasachstan, insbesondere bei der Produktion diverser Arten von Wasserstoff. Entsprechend der McKinsey-Studie wird sich die weltweit nachgefragte Menge an Wasserstoff bis zum Jahr 2050 verfünffachen. Da Kasachstan bei den weltweiten Gasreserven an fünfzehnter Stelle liegt, besitzt das Land ein erhebliches Potential zur Herstellung blauen Wasserstoffs. Jener wird durch Dampfreformierung aus Erdgas erzeugt. Das dadurch entstehende CO² kann aufgefangen und unterirdisch eingelagert werden, sodass es nicht in die Atmosphäre entweicht. Forscher der Universitäten Cornell und Stanford haben jedoch herausgefunden, dass bei der Herstellung blauen Wasserstoffs Methan in nicht unerheblicher Menge freigesetzt wird. Infolgedessen sei die Erzeugung von blauem Wasserstoff klimaschädlicher als die Verbrennung von Kohle.
Die Bundesregierung betonte daher in ihrer 2020 verabschiedeten nationalen Wasserstoffstrategie, dass nur grüner Wasserstoff tatsächlich nachhaltig sei und somit zum Erreichen der Klimaziele beitrage. Jener wird durch Elektrolyse von Wasser unter Einsatz elektrischen Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt. Dabei wird lediglich klimaneutraler Wasserdampf freigesetzt. Laut der McKinsey-Studie wird die weltweite Nachfrage nach grünem Wasserstoff allein bis 2025 um 60 Prozent ansteigen. Insbesondere die flachen, ausgedehnten Steppengebiete Kasachstans sowie die Region am Kaspischen Meer eignen sich zur Erzeugung des hierfür benötigten Stroms.
Das kasachische Ministerium für Industrie und neue Technologien beziffert das Windenergie-Potential des Landes auf 920 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Allein damit ließe sich beispielsweise der Bedarf an elektrischem Strom der gesamten Bundesrepublik für knapp zwei Jahre decken. Dennoch ist die Energieerzeugung in Kasachstan bisweilen durch einen hohen Einsatz fossiler Energieträger geprägt. So werden derzeit 70 Prozent des Stroms aus Kohle und nur knapp 15 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen.
Laut den Autoren der Weltbank-Studie standen staatliche Subventionen für Kohle und Gas dem Ausbau erneuerbarer Energien bisher im Weg. Dennoch lassen erste Projekte aufhorchen. Ende Oktober dieses Jahres wurde bekannt, dass Hyrasia One, eine Tochterfirma der deutsch-schwedischen Svevind Group mit der kasachischen Regierung ein Abkommen zum Bau einer Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff in der Region Mangystau geschlossen hat. Mittels Elektrolyse von entsalztem Wasser aus dem Kaspischen Meer sollen durch den Einsatz elektrischen Stroms aus Wind- und Solarenergie ab Beginn der 2030er Jahre jährlich bis zu zwei Millionen Tonnen sauberen Wasserstoffs für den europäischen Markt gewonnen werden. Gleichzeitig ermögliche die in Kasachstan bereits vorhandene Öl- und Gasinfrastruktur sowie die große Anzahl an lokal vorhandenem gut geschultem Personal einen unkomplizierten Transport in Richtung Europa.
Energiekrise zwingt Europa zu schnellerer ökologischer Transformation
Die Coronavirus-Pandemie und der bewaffnete Konflikt in der Ukraine haben den Klimawandel und seine Folgen in der öffentlichen Wahrnehmung der Deutschen zuletzt ein wenig in den Hintergrund treten lassen. Daraus sollte man jedoch nicht schließen, dass das Thema an Aktualität verloren hat, wie die jüngsten Aussagen einiger führender deutscher Politiker beweisen. So ließ die deutsche Außenministern Annalena Baerbock im Vorlauf des UN-Klimagipfels im November verlauten: „Die Menschheit steuert auf einen Abgrund zu“.
Aber auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Energiekrise in den westlichen Industrienationen ist der dortige Bedarf an neuen Lieferanten, welche die wegfallenden Energielieferungen aus Russland substituieren können, enorm. Insbesondere die jüngsten Reisen des Bundeskanzlers in die arabische Golfregion, welche mangels konkreter Lieferzusagen als gescheitert bezeichnet werden können, betonen ein weiteres Mal die Dringlichkeit dieser Angelegenheit. In diesem Sinne unterstreicht auch die jüngste Testlieferung von blauem Wasserstoff aus den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Hamburg, dass diesem zumindest kurzfristig die Rolle einer Brückentechnologie zukommt. Es bleibt somit weiter zu beobachten, ob die gegenwärtigen Krisen die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern im energetischen Bereich weiter vertiefen werden.