Die Zeit der guten Wünsche ist noch nicht vorbei. Seit Mitte Dezember sind wir damit beschäftigt, uns gegenseitig alles Mögliche zu wünschen; keine Begegnung, kein Telefonat oder keine Mail ohne, und noch immer erreichen mich Wünsche.
Inzwischen sind wir alle wieder aus unserer Festtagsduselei und an unsere Schreibtische zurückgekehrt, seit gestern nehmen wir die Geschäftskontakte wieder auf – natürlich mit den besten Wünschen für das neue Jahr. In all dem Gewünsche wollte ich mich als interkulturell kompetent erweisen. Um der multikulturellen Lebenswelt gerecht zu werden, darf man nicht einfach so routiniert drauflos wünschen, sondern muss differenzieren, und es fragt sich: Wer feiert wann was wie, und was wünscht man zu diesen Anlässen?
So um die Weihnachtszeit feiern auch meine türkischen Freunde ihre Feste. Es wäre ein geringer Aufwand, die muslimischen Feiertage nachzuschauen, Dank Internet kein Problem, und dann Yunus, Sevki, Reyhan und Ayca anzurufen. So hatte ich mir gedacht. Aber nein! So einfach ging das dann doch nicht, denn sie sind zwar alle halbwegs türkisch – die einen mehr, die anderen weniger – aber gewiss nicht alle muslimisch. Nur Yunus ist alles gleichzeitig. Sevki ist auch nicht wirklich Türke, sondern Kurde, und wenn ich den Kurden türkische Feste unterjubele, ist das politisch bestimmt mehr als nur ein Fettnäpfchen. Und mir war so, als gäbe es ein kurdisches Neujahrsfest. Reyhan kommt zwar aus einer türkischen Familie, ist selbst aber eigentlich mehr Deutsche als Türkin. Und wenn schon Türkin, dann ist sie aber eher Alevitin. Und Aleviten nehmen es mit den Traditionen nicht so genau. Und da sie nicht fasten, feiern sie dann überhaupt die muslimischen Feste? Bei uns feiern ja auch Atheisten Weihnachten, einfach, weil es zur gesellschaftlichen Tradition gehört und ein schönes Familienfest ist und sich niemand die leckeren Plätzchen, Klöße und Gänse entgehen lassen will. Und wie ist es mit Dima? Er feiert als Russe erst Anfang Januar Weihnachten, so weiß ich naseweis, doch Halt! Er ist ja gar kein Russe, auch wenn er Russisch spricht, sondern Ukrainer. Aber dann ist er auch noch Jude und die Juden feiern eh alles ganz anders. Aber da sich Dima gar nicht als wirklicher Jude versteht, nützt es sowieso nichts, ihm angemessen jüdisch zu gratulieren. Von meinen indischen Freunden fange ich jetzt gar nicht erst an. Puuuh, da blickt ja keiner mehr durch! Genau. Und so habe ich von meinem Wunsch, interkulturell souverän und fachkundig allen zur rechten Zeit das Richtige zu wünschen, schließlich abgesehen. Meiner Meinung nach gibt es da nur zwei Alternativen: Entweder alle einzeln fragen, wobei die Frage „Äh, sag mal, wann soll ich dir eigentlich was wünschen?“ dem Wünschen an sich die ungebremste Feierlichkeit und Herzlichkeit nimmt. Oder aber auf Nummer sicher gehen und allen pauschal ein frohes neues Jahr wünschen, da alle mindestens am 1. Januar nach europäischer Tradition feiern. Oder doch nicht? Was ist mit meinem Freund aus Hongkong? Das chinesische Neujahrsfest ist nicht am 1.1., aber versteht er sich als Chinese, wenn er aus Hongkong kommt und viele Jahre in der Schweiz gelebt hat? Also doch zum 1. Januar. Und wenn jemand ein zweites Mal gefeiert hat, dann habe ich es verbummelt. A propos verbummelt, fast hätte ich in all dem Gewünsche die Geburtstage zweier Freunde vergessen, auch das noch!
Julia Siebert
12/01/07