App auf dem Smartphone öffnen, Standort und Ziel angeben, fertig: So einfach lässt sich heutzutage eine Taxifahrt organisieren. Während in Europa Uber dominiert, ist die wohl erfolgreichste Taxi-App im postsowjetischen Raum Yandex Taxi.

Sandugasch Assanowa, 35 Jahre alt, schwarze Haare, rosa lackierte Fingernägel, arbeitet seit einem Monat als Fahrerin für den russisch-niederländischen Taxikonzern. An diesem Donnerstag im Juni steht eine Fahrt zum Großen Almaty See (BAO) an. Es sitzen bereits fünf Touristen, hauptsächlich aus Europa, in Assanowas schwarzem Mitsubishi Outlander. Obwohl der Wagen nur fünf Sitze hat, ist für eine deutsche Reporterin trotzdem noch Platz. Dann müssen eben zwei Touristen in den Kofferraum. Die Idee von Yandex ist schließlich, dass Personen für einen bezahlbaren Betrag ans Ziel befördert werden, aber gleichzeitig die Ressource Auto besser genutzt wird.

Assanowas Kleidung sieht bequem, aber nicht zu leger aus. Das Auto ist sehr sauber, sieht fast neu aus, auch duftet es gut. Beim Einsteigen sagt sie noch, dass es jetzt mit den Touristen zum BAO geht. „Ich hoffe, du hast Lust darauf.“ Die gebürtige Almatynerin geht der Beschäftigung Vollzeit nach. Einen anderen Job hat sie nicht. Sie berichtet, dass ihr die Freiheit gefalle, sich ihre Arbeitszeiten frei einteilen zu können. Außerdem hat sie keinen wirklichen Vorgesetzten, was ein großes Plus sei, sagt sie schmunzelnd. Seit zwei Jahren lebt sie in Dubai, verbringt jedoch ihre Sommer in Almaty, um der Hitze in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu entfliehen.

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„Die Arbeit macht mir Spaß“, sagt Assanowa. Ihr gefalle es, ständig neue Menschen aus unterschiedlichsten Ecken kennen zu lernen. Ihr Englisch hat sich durch die Touristen stark verbessert. Mit manchen komme sie mehr ins Schnattern, mit manchen weniger, erzählt sie. „Da muss man einfach ein Gefühl für entwickeln, wie sehr der Fahrgast in Plauderlaune ist.“

Doch nicht immer ist das Geschäft lustig. Einmal habe ihr eine Frau gesagt, sie solle den Mund halten und einfach fahren, berichtet Assanowa. Sie hatte die Frau nicht gleich am Abholort gefunden. Schuld war wohl das ungenaue GPS-Signal des Handys. Auch ein Telefonat zwischen den beiden half nur wenig. Als sie sich endlich gefunden hatten, hatte die Fahrerin Zeit verloren, und die Frau war viel zu spät dran. Dennoch sei das keine Entschuldigung für so ein Verhalten, meint Assanowa und schmiss ihren Fahrgast kurzerhand aus dem Auto. „So ein Benehmen dulde ich einfach nicht“, sagt sie bestimmt.

Außerdem wurde die Yandex-Fahrerin schon zwei Mal um Geld betrogen. „Die Gäste werden da zum Teil schon einfallsreich. Ehrlich gesagt, befördere ich am liebsten Touristen. Die betrügen einen nie und sind meistens sehr zuvorkommend. Es macht Spaß, solche Gäste zu haben.“ In diesem Kontext erzählt sie auch, dass die App zwar soweit okay sei, da sie die wichtigsten Dinge erfülle, es jedoch noch viele Punkte gebe, die verbessert werden können. So werde der Standpunkt des Autos den Gästen oft verzögert angezeigt. Auch wird für den Fahrer der GPS-Punkt des Abholortes manchmal falsch angezeigt. Wenn der Fahrer die Gäste dann nicht findet, sind die Gäste häufig sauer auf den Fahrer, weil sie denken, dass der Fahrer unfähig ist, den richtigen Ort zu finden.

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Assanowa fährt circa zehn Stunden am Tag, am Wochenende nimmt sie sich frei. Ab und zu fährt sie samstagsabends. Sie startet früh morgens, so ab 7 Uhr für die  Rush Hour, mittags macht sie eine Pause, um der Mittagshitze zu entkommen, und nachmittags fährt sie dann bis in den späten Abend hinein. Circa 80 bis 100 Fahrten hat sie am Tag, wenn sie nicht gerade eine Fahrt zu einem weiter entfernten Ausflugsort annimmt. Abends hat sie keine Angst zu fahren. „Dann stelle ich mich einfach darauf ein, dass ich nur Gäste annehme, die mit Karte bezahlen können. Wenn Gäste schon was getrunken haben, dann kommen sie manchmal auf die Idee über den Preis zu verhandeln. Manchmal sind sie auch schon so betrunken, dass ihnen erst später auffällt, dass sie kein Bargeld mitführen.“

Kommt es zu solchen unangenehmen Situationen, kann sie jederzeit den Yandex-Support anrufen. Dieser hat eine Zweigstelle in Almaty, die rund um die Uhr besetzt ist, und im Zweifelsfall kann in wenigen Minuten jemand vor Ort sein, um ihr zu helfen. „Ich fühle mich eigentlich sehr sicher“, sagt Assanowa. Außerdem hat sie auch eine WhatsApp-Gruppe für alle Yandex-Fahrer in Almaty gegründet. Zurzeit sind 120 Teilnehmer darin. „Auch das gibt mir nochmal ein sicheres Gefühl. Es ist eigentlich immer jemand in der Nähe. Dies ist auch praktisch, wenn man eine Panne hat.“ So ist ihr vor geraumer Zeit der Schlüssel kaputt gegangen. Innerhalb von zehn Minuten war jemand aus der Gruppe vor Ort, um zu helfen. „Auch halten wir uns gegenseitig auf dem Laufenden, wenn es neue Baustellen gibt oder ein Unfall passiert ist.“

Die Bezahlung seitens Yandex, so findet Assanowa, laufe gut ab. Das Geld für die Fahrten komme nicht unmittelbar auf dem von Yandex eingerichteten Konto an, jedoch dauere es auch nicht allzu lange. Spätestens nach ein paar Stunden sei das Geld da und sie könne sich durch eine WhatsApp-Nachricht das Geld auf ihr normales Konto überweisen lassen.

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Wenn die Fahrerin sofort Geld für beispielsweise Sprit braucht, dann stellt sie sich ihre App so ein, dass sie nur Bargeld-Fahrten akzeptiert. Etwa 300.000 Tenge (ca. 700 Euro) erarbeitet sie sich mit einer 40 bis 50 Stunden Woche im Monat. „Wenig ist das nicht“, sagt sie. Zehn bis 15 Prozent der Einnahmen gehen an Yandex, der Rest gehört ihr. Trinkgeld gibt es häufig auch, meistens das Wechselgeld. Man bekommt außerdem einen Bonus von Yandex, wenn man zu den sogenannten Peak-Zeiten fährt. Das sind Zeiten, an denen die Fahrtnachfrage besonders hoch ist. Das impliziert allgemein einen guten Stundenlohn, jedoch einen übermäßigen Verkehr auf den Straßen.

Assanowa bevorzugt auch längere Touren, da viele kleine Fahrten in der Stadt anstrengend sein können. Einen Bonus für Nachtfahrten bekommt sie jedoch nicht. Allgemein macht man im Winter mehr Gewinn als im Sommer. Dadurch, dass der Winter in Almaty sehr kalt sein kann, möchten die Menschen nicht laufen und bestellen sich dann eher ein Taxi. Auch bei Regen steigt die Nachfrage. Im Sommer verlassen viele Studenten Almaty, auch dies führt zu einer geringeren Nachfrage.

Auf Yandex, anders als bei anderen Anbietern wie Uber oder Lyft, kann man sich gegenseitig bewerten – der Fahrer die Gäste und umgekehrt. Außerdem ist die Aktivitätsrate sehr wichtig. Im Prinzip können sich die Fahrer aussuchen, welche Fahrten sie genau annehmen möchten. Lehnt man zu oft ab, bekommt man von Yandex weniger Fahrten angeboten. „Die Aktivitätsrate ist schon ein wichtiges Element. Sinkt die Rate, sinken die vermittelten Anfragen, und dann sinkt der Gewinn.“

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Angesprochen darauf, wie es ist, in Kasachstan als Frau hinterm Steuer zu sitzen, antwortet Assanowa lachend: „Einmal wollte ein Mann selbst fahren, weil er meinte, er könne es besser.“ Nachdem sie realisiert hatte, dass er es ernst meinte, habe sie sein Angebot höflich abgelehnt. „Aber im Grunde freuen sich die Gäste, mit mir zu fahren. Das sprechen sie auch aus. Sie sagen mir häufig, dass mein Auto sauber ist und es gut riecht. Auch wertschätzen die meisten meinen sicheren Fahrstil. Ich telefoniere oder schreibe nie auf dem Handy, wenn ich hinterm Steuer sitze. Sowas gehört zwar fast zur Fahrmentalität hier in Kasachstan, aber ich persönlich finde es sehr fahrlässig. Ich versuche immer, so sicher wie möglich zu fahren.“

Am Schluss erzählt sie noch, dass der Job noch einen entscheidenden Vorteil hat: „Ich weiß, wo sich jede öffentliche Toilette in Almaty befindet.“ Nach circa vier Stunden ist die Touristengruppe wieder in der Stadt. Doch auf Assanowa wartet schon der nächste Gast. Nach der Fahrt ist eben vor der Fahrt.

Sabine Koch

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