Das Schachspiel ist kein Spiel. Schach ist auch mehr als nur Sport. Schach spielt man nicht einfach so wie Tischtennis. Tischtennis will jeder mit einem spielen, das ist weitaus unverfänglicher.

Wenn man da ´ne schlechte Schnitte macht, kann man sagen, der Wind stand schief, der Belag ist alt, man hatte gerade einen plötzlichen Anfall von Rheuma im Handgelenk oder dergleichen. Beim Schach gibt es keine Ausreden. Für Schach gibt es auch kein abmilderndes Kosewort, so wie Pingpong für Tischtennis oder Federball für Badminton. Schach kann man auch nicht nur ein bisschen spielen, so wie man „eine Runde kickt“, statt Fußball zu spielen. Schach spielt man oder spielt man nicht, und wenn, dann ernsthaft und bis zum bitteren Ende. Deswegen wollen das auch nur wenige spielen.

Beim Schach gibt es kein Vertun. Da zieht man erst, wenn man alles wirklich durchdacht und eingesetzt hat, was einem Hirn, Herz und Erfahrungsschatz bieten. Und damit offenbart man sich zwangsläufig – als Kuscher, der in den eigenen Reihen vor sich hin dümpelt, ständig Rückzieher landet und allenfalls die armen Bauern opfert; oder als angriffslustiger Kamikazespieler ohne Pardon für die Schwächen anderer. Die Verlustängste treten zu Tage, wenn man beim Damentausch in pure Panik gerät. Manch einer beweist Kreativität und versucht neue Stellungen, der eher konservative Geselle weiß nicht weiter, wenn ihm die Rochade verhindert wird. Was auch immer, alles wird sichtbar. Wenn man sich verzieht, kann man höchstens noch so tun, als sei dies ein ausgeklügelter, raffinierter Zug, der zunächst deppert ausschaut, sich aber in Wahrheit und erst nach elf weiteren Zügen als Bravourzug entpuppt. Oder man spielt irgendwie und hofft, dass es zumindest schlau aussieht und man sich nicht vollkommen um Kopf und Kragen spielt.

Ist aber auch wahr. Als wäre es nicht anstrengend genug, die eigenen vielen Figuren gleichzeitig zu schützen und voranzubringen, muss man auch noch die vielen gegnerischen Figuren im Blick behalten und vorausdenken, was der andere tun könnte, wenn man dies oder das täte, was dann wiederum zu diesem oder jenem Zug… uff!

Sowieso setze ich am liebsten das Pferd, weil das so lustig um die Ecke hüpfen darf. Und spiele die Verwirrtechnik aus, die darin besteht, irgendwas zu tun, was unüblich ist und den Gegner aus der Fasson bringt, weil er einen besonders trickreichen Hinterhalt vermutet, den er sucht und (natürlich) nicht findet, was ihn verunsichert, und darüber vergisst mein Gegner seine eigene Strategie. Für diese Strategie kassiere ich hin und wieder Lob, das ich, ehrlich gesagt, nicht verdient habe, denn wer lobt schon den Zufall! Ich frage mich, ob die Schachmeister allesamt vorausschauend spielen oder nicht ein paar darunter sind, die es so handhaben wie ich. Auch manchen Literaten unterstellt man im Nachhinein mit gewagten Interpretationen, was sie haben mit ihren Werken aussagen wollen. Dabei haben sie einfach nur geschrieben, die unterstellte Gesellschaftskritik hatten sie jedenfalls dabei nicht im Sinn.
Diese Taktik – irgendwas zu tun und ein möglichst schlaues Gesicht dazu aufzusetzen – klappt leider nicht mit meinem Schachcomputer. Der lässt sich nicht verwirren, sondern setzt stumpf und stupide seine Standardserien durch – und ich verliere Spiel um Spiel und komme von Level 1 nicht runter! Das einzige Erfolgserlebnis bleibt, wenn der Computer mal drei Sekunden überlegt, anstatt sofort eine Antwort auf meine Züge parat zu haben.

Mir fehlen die Zisch- und Stöhnlaute, mit denen mir mein Lehrmeister Arne meine Patzer andeutet. Und Arne verrät mir in scheinbar ausweglosen Situationen auch meine Alternativen mitsamt den denkbaren Folgen – weshalb ich zwar trotzdem meist verliere, aber doch nicht so schlecht abschneide, weil Arne ja quasi gegen sich selbst spielt. Aber Arne lebt jetzt in Washington, und ich sitze vor dem doofen Schachcomputer, der auf meine Verwirrtechnik nicht anspringt, keinen Mucks von sich gibt und ständig gewinnt. Und mir damit offenbart, dass ich eigentlich überhaupt nicht Schach spielen kann, was ich zwar schon geahnt hatte, aber es jetzt so Schwarz auf Weiß zu sehen, tut doch weh. Da hilft nur eines, es sein zu lassen oder richtig zu lernen, anstatt nur lustig mit den Pferdchen durch die Gegend zu hüpfen. Ich sag ja, Schachspielen ist kein Vergnügen, wenn man es ernsthaft betreibt!

Julia Siebert

15/02/08

Teilen mit: