Philipp Stang weiß sich auszudrücken. Denn er studiert neben Betriebspädagogik, Germanistik, Deutsch als Fremdsprache und mündliche Kommunikation zusätzlich Sprecherziehung an der Uni Regensburg. Doch Anfang April wurde der junge Kommunikationsspezialist plötzlich zum Schweigen gezwungen: Für neun Wochen kam er nach Almaty – dabei hatte er vorher nie ein Wort Russisch gelernt. Im Rahmen eines Praktikums bringt er nun kasachstanischen Studenten ausgerechnet das bei, was er im Moment selbst nicht kann: das Sprechen. An der Deutsch-Kasachischen Universität unterrichtet er Deutsch, an der Theaterakademie Bühnenaussprache. Kommunikation ohne Sprache – für Philipp Stang eine interessante neue Erfahrung. Einen weiteren Trip in ein fremdsprachliches Land hat er schon angedacht: Vielleicht nach Asien, vielleicht nach Afrika.
/Bild: Andrea Rüthel. ‚Ohne Wörterbuch geht er in Kasachstan nicht aus dem Haus: DaF-Praktikant Philipp Stang’/
Dein Studium ist ja sehr auf Sprache fixiert. Wie kommst du in einem Land zurecht, dessen Sprache du weder verstehst noch sprichst?
Für mich ist Kasachstan eine „Kommunikationsexkursion“. Meine Russischkenntnisse waren bei meiner Ankunft tatsächlich gleich Null. Mittlerweile lerne ich indirekt ein bisschen Russisch – allerdings nur die Wörter, die ich brauche, ganz ohne Grammatik. Wenn ich zum Beispiel Einkaufen gehen will, schreibe ich mir zu Hause mit meinem Russischwörterbuch einen Einkaufszettel in lateinischer Schrift. Im Geschäft lese ich ihn dann vor. Das klappt ganz gut. Generell bin ich erstaunt darüber, wie viel man alleine über Gestik, Mimik und Melodieverlauf verstehen kann. Ich kann mich über einfache Themen sogar mit dem Taxifahrer unterhalten: Mit Händen und Füßen und in Ein-Wort-Sätzen. Außerdem sind die Gesprächskonventionen in Deutschland und Kasachstan oft die gleichen: Nachdem eine Ärztin mir Blut abgenommen hatte, habe ich sofort verstanden, dass sie mir sagen will, ich solle hinterher einen Wattebausch auf meinen Arm drücken. Das vereinfacht die Sache noch!
Es gibt Leute, die sagen, wenn man die Sprache nicht versteht, nimmt man seine Umwelt intensiver wahr. Was sind deine „stummen“ Eindrücke von Kasachstan?
Im Vergleich zu Deutschland würde ich sagen, in Kasachstan ist alles eine Spur „mehr“: Die Autos auf der Straße fahren eine Spur schneller, die Musik ist eine Spur lauter, das Essen ist eine Spur fettiger, und die Partys sind eine Spur feuchtfröhlicher. Mein DaF- und Sprecherzieherpraktikum ist also auch für mich selbst so eine Art Unterricht: Ich lerne dauernd etwas Neues über Kasachstan dazu.
Was sind deine Erfahrungen beim Unterrichten?
Ich bin richtig fasziniert darüber, wie intensiv die Studenten sowohl an der DKU als auch an der Theaterakademie mitarbeiten. Am Anfang habe ich mir zuhause immer noch Techniken überlegt, wie ich die Studenten motivieren könnte. Aber dann habe ich schnell gemerkt, dass ich die gar nicht brauche. Die Studenten sind hier alle voll dabei. Sie sind sogar richtig dankbar, dass gerade ein Muttersprachler ihnen etwas beibringt, und sie freuen sich darüber, dass ich nicht nur Frontalunterricht mache, sondern Bilder, Filme und Musik benutze – ich mache eben Unterricht zum Anfassen. Über die tollen Reaktionen war ich wirklich positiv erstaunt. Das kannte ich aus Deutschland nicht.
Was ist die wichtigste Lektion, die du selbst aus Kasachstan mitnimmst?
Ich habe gemerkt, dass bei der Kommunikation nicht allein die Sprache zählt, sondern auch kulturelle Normen viel ausmachen: Das Naseputzen wird hier zum Beispiel als unhöflich angesehen, während das in Deutschland völlig normal ist. Auch das Rollenverständnis ist ein anderes. Wenn wir im Unterricht beispielsweise darauf zu sprechen kommen, dass der deutsche Außenminister einen Mann hat, reagieren die Studenten mit Faszination und Erstaunen zugleich.
Mein Unterricht in Almaty soll nicht nur Sprachunterricht sein, sondern auch eine Vorbereitung auf Deutschland. Und so wie eine Sprache nicht nur aus grammatischen Regeln besteht, genauso ist es auch mit den kulturellen Unterschieden: Es gibt da kein „richtig“ und „falsch“. Es gibt nur „so“ und „anders“. Das möchte ich auch den Studenten vermitteln. Und das ist, denke ich, auch im Sinne des Jahres „Deutschland in Kasachstan 2010“.
Interview: Andrea Rüthel
30/04/10