Bereits zum vierten Mal fand in der Botschaft der Republik Kasachstan das Veranstaltungsformat „Unter dem Shanyrak“ statt. Diesmal war das Thema des Abends „Die Reise von Alexander von Humboldt nach Kasachstan“.

Der Botschafter Kasachstans in Berlin S.E. Nurlan Onzhanov hob in seiner Begrüßung hervor, dass sich die Veranstaltungen „Unter dem Shanyrak“ weit über das Format einer reinen Dialogplattform hinaus entwickelt haben: Es sei bereits zu einer guten Tradition geworden, dass hier ein stets offener Austausch mit vielen persönliche Begegnungen stattfindet, dass hier Fachleute, Wissenschaftler, Vertreter der Zivilgesellschaft, Freunde Kasachstans und Kulturschaffende zusammenkommen und dass sie alle vereint sind durch ihr Interesse an der Geschichte, Gegenwart und Zukunft des größten Landes Zentralasiens.

Der Botschafter betonte, dass das Thema dieses Abends ganz bewusst gewählt wurde. Das Interesse Europas an Zentralasien – und besonders an Kasachstan – sei keineswegs neu. Bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert unternahmen Forscher aus England, Frankreich und Deutschland Expeditionen in die Region. Besonders hervorgehoben wurde Alexander von Humboldt, einer der größten Universalgelehrten seiner Zeit, dessen Reise nach Zentralasien im Jahre 1829 ein Meilenstein in der Geschichte der europäischen Wissenschaft darstellt. Diese Forschungsreise symbolisiere nicht nur wissenschaftliche Pionierarbeit, sondern auch eine geistige Annäherung an den kasachischen Raum.

Mit Blick auf das im Jahr 2029 bevorstehende 200-jährige Jubiläum der Reise von Humboldts regte der Botschafter das gemeinsame Organisieren von Veranstaltungen zu diesem Thema in Kasachstan und Deutschland an und lud sogleich die Referenten zur Zusammenarbeit ein.

Staatsorden „Dostyk“ für Prof. Dr. Russwurm

Noch vor dem Beginn der Vorträge wurde Prof. Dr. Siegfried Russwurm, eine herausragende Persönlichkeit der deutschen Wirtschaft, mit dem Staatsorden Dostyk 2. Grades ausgezeichnet. Die Ehrung erfolgte im Namen des kasachischen Staatspräsidenten Kassym-Schomart Tokajew durch Botschafter Onzhanov. „Dostyk“ bedeutet auf Kasachisch „Freundschaft“ – ein passender Titel für Prof. Russwurm, der sich über Jahrzehnte für die bilateralen Beziehungen eingesetzt hat. Als ehemaliger Siemens-Vorstand und BDI-Präsident hat er wesentlich zur Vertiefung des deutsch-kasachischen Wirtschaftsdialogs beigetragen. Unter seiner Mitwirkung wurden zahlreiche Projekte erfolgreich realisiert, die zur technologischen Entwicklung Kasachstans beitrugen. Besonders hob der Botschafter die Rolle des Geehrten beim Zustandekommen des Rohstoffabkommens von 2012 hervor. Dank seiner Expertise wurde daraus ein zukunftsweisender Pfeiler der deutsch-kasachischen Zusammenarbeit im strategisch wichtigen Rohstoffsektor.

Universalgelehrter und Wegbereiter der Ökologie

Als erster Referent sprach Prof. Dr. Ottmar Ette, Romanist an der Universität Potsdam und einer der weltweit führenden Humboldt-Experten. Er beschäftigt sich seit über vier Jahrzehnten mit dem Leben und Werk Alexander von Humboldts. Dieser, 1769 in Berlin geboren und 1859 ebenda gestorben, führte ein Leben, das sich in drei Phasen von je 30 Jahren aufteilen lässt – das Reisen, das Forschen und das Publizieren.

Humboldt war weit mehr als nur ein Naturwissenschaftler. Er begründete neue Disziplinen der Wissenschaft wie die Pflanzengeographie oder die Altamerikanistik und war zudem auch Literat, Philosoph, Wirtschaftswissenschaftler und Weltenforscher. Mit über 50 Büchern und Tausenden von Manuskriptseiten war sein Werk von globalem Denken und interdisziplinärem Zugang geprägt. Seine Reise von 1829 führte ihn durch Russland und Kasachstan. Botanisch zeigte er sich enttäuscht – der berühmte Satz „Sibirien beginnt in der Hasenheide“ entstand, als Vergleich zwischen Berliner Parkvegetation und der Flora entlang der Route. Wissenschaftlich jedoch war die Reise bahnbrechend. Humboldt entwickelte ökologische Perspektiven, erkannte die globalen Zusammenhänge zwischen Natur und Mensch und formulierte erste Gedanken zur industriellen Umweltbelastung. Auf seine Empfehlung hin wurden meteorologische Messstationen eingerichtet, er analysierte die Folgen der Abholzung von Wäldern und er sah im Klima ein komplexes Geflecht von Wechselwirkungen: „Alles ist Bewegung.“

Logistik und Mineralogie – eine Expedition der Superlative

Dr. Ferdinand Damaschun vom Museum für Naturkunde Berlin erläuterte die logistischen und mineralogischen Aspekte der Reise. Die Expedition dauerte 260 Tage und war mit einer Gesamtstrecke von etwa 19.000 Kilometern fast zweieinhalb Mal so viel wie Humboldts berühmte Südamerikareise. Täglich wurden rund 70 km zurückgelegt, mit bis zu 47 Pferden am Tag. Welch ein logistisches Meisterwerk, das nur durch die Unterstützung der russischen Armee möglich war!

Im Ural untersuchte Humboldt die dortige Geologie, insbesondere den Gold- und Silberbergbau. Auf Wunsch des Zaren suchte er gezielt nach Diamanten – was 1829 tatsächlich zum ersten Fund eines Diamanten außerhalb der Tropen führte, und zwar in der Goldmine Krestowosdwischenskoje bei Perm. Die Ergebnisse seiner Unter-suchungen veröffentlichte er gemeinsam mit Gustav Rose, dessen Werk zur Mineralogie des Urals in Russland zum Standard wurde. 1830 verfasste Humboldt zudem Beiträge zu Vulkanismus und Erdmagnetismus.

Der Begriff „Zentralasien“, wie Humboldt ihn prägte, bezeichnet das Gebiet Innerasiens, das geografisch durch Südsibirien, den Großen Chingan, das Karakorum-Gebirge, den Transhimalaya und den Pamir-Raum begrenzt ist.

Humboldts Blick auf die Kultur Kasachstans

Dr. Rosa Tulyasheva, Fachreferentin an der Staatsbibliothek zu Berlin, präsentierte seltene Archivmaterialien aus Humboldts Nachlass, darunter 14 Handschriften in persischer, georgischer und armenischer Sprache, die dieser in Astrachan erwarb.

Als Kulturwissenschaftlerin widmet sie sich besonders der Frage, wie Humboldt die kasachische Kultur wahrnahm. Trotz kurzer Aufenthalte in den Grenzregionen schätzte er die nomadische Lebensweise, die Reitkunst und die politischen Strukturen. Ein Treffen mit dem Khan der Inneren Horde und Ringkämpfe zu Ehren der Gäste blieben in Erinnerung – weniger angenehm hingegen die aus europäischer Sicht als monoton empfundene kasachische Volksmusik.

In seinen Aufzeichnungen stellte Humboldt fest: „Neben den turkomanischen und arabischen Stämmen ist dies ohne Zweifel die größte Menge von Hirtenvölkern eines Stammes, die gegenwärtig auf der Erde lebt.“ Die Nomadenkultur Kasachstans beeindruckte ihn tief, besonders im Vergleich zur sesshaften Bevölkerung Sibiriens. Zur Einordnung: In damaligen russischen Verwaltungsdokumenten wurden die Kasachen als „Kirgisen“ bezeichnet, um sie von den russischen Kosaken zu unterscheiden.

Ein gelungener Nachmittag im Zeichen von Wissenschaft und Freundschaft

Der Humboldt-Nachmittag war nicht nur eine intensive Reise in das Denken und Wirken eines der bedeutendsten deutschen Gelehrten. Er war auch Ausdruck gelebter deutsch-kasachischer Verständigung. Der anschließende Empfang mit kasachischen Spezialitäten wurde von den Gästen mit Begeisterung aufgenommen – ein gelungener Abschluss eines ebenso informativen wie inspirierenden Abends.

Christian Grosse

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