Ein Deutscher, der seit 26 Jahren in Brasilien lebt, vertritt dort Kasachstan als Honorarkonsul und engagiert sich völkerverbindend. Zwischen den deutschen Minderheiten, die in beiden Ländern aktiv sind, möchte er einen regelmäßigen Austausch etablieren.
Seit Jahrhunderten suchen Deutsche ihr Glück in der Welt. Abenteuerlust, Flucht vor politischer oder religiöser Verfolgung, schwierige wirtschaftlich-soziale Rahmenbedingungen oder die Einladungen fremder Herrscher haben deutsche Spuren bis in die entferntesten Winkel auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion sowie der beiden Amerikas getragen.
Freilich haben die Zuwanderer dabei – je nach deutscher Herkunftsregion – unterschiedliche Bräuche und Traditionen mitgebracht und im Laufe der Zeit in ihrer neuen Heimat gänzlich andere kollektive Schicksale erlebt. Gemein ist ihnen jedoch bis heute der Wunsch, ihre sprachliche und kulturelle Identität zu bewahren.
200 Jahre deutsche Einwanderung
Beobachten kann man das in dem brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina mit der Hauptstadt Florianopolis – der wirtschaftlich stärksten Region des Landes, die bedeutend von deutschen Einwanderern geprägt wurde. Das zeigt sich nicht nur in Städtenamen wie Blumenau, Pomerode oder Dreizehnlinden. Auch die Vizegouverneurin des Bundeslandes – Marilisa Boehm von der Liberalen Partei, die die Opposition im brasilianischen Parlament anführt – trägt das deutsche Erbe in ihrem Familiennamen.
In diesem Jahr feiert Santa Catarina das 200-jährige Jubiläum der deutschen Einwanderung nach Brasilien. Die Landesregierung lädt zu diesem Anlass zu bunten Festveranstaltungen, auf denen sich die Nachkommen der Einwanderer aus Mitteleuropa in deutschen Trachten präsentieren und zu folkloristischen Klängen deutsche Braten und Biere genießen.
Bei einer Auftaktveranstaltung zum Jubiläumsjahr vor wenigen Wochen wurde ein kleiner Film des Auswanderermuseums Ballinstadt in Hamburg gezeigt – benannt nach dem deutsch-jüdischen Magnaten Albert Ballin, der um 1900 beschloss, eine Zufluchtsstätte für Millionen Auswanderer zu schaffen. Anschließend gab es Auftritte eines Blasorchesters, eines deutschen Chors und von verschiedenen Tanzgruppen.
Wiedersehen nach fast 30 Jahren
Gern gesehener Gast auf diesen Veranstaltungen ist auch der neue Honorarkonsul Kasachstans in Santa Catarina, Peter-Michael Feist. Der aus Sachsen stammende Wahlbrasilianer ist selbst vor 26 Jahren in die neue Heimat ausgewandert, hat dort geheiratet und ist gut in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vernetzt. Zur deutschen Minderheit und ihren Vertretern pflegt er seit Jahren einen engen Kontakt.
Dass er nun ausgerechnet Kasachstan als Honorarkonsul vertritt, hat ebenfalls deutsche Ursprünge: Den Posten bot ihm im vergangenen Jahr Kasachstans Botschafter Bolat Nussupov an, der vor drei Jahrzehnten noch sein Land als Botschafter in Deutschland vertrat und sich aus dieser Zeit an Feist erinnerte.
„Bolat Nussupov ist ein absoluter Deutsch-Fan, hat gute Kontakte zu Deutschen in Brasilien und spricht perfekt Deutsch“, sagt Honorarkonsul Feist. 2023 trafen sich die beiden dann eher zufällig auf einer Veranstaltung wieder. Als der kasachische Diplomat ihm die Hand auf die Schulter legte und sagte: „Peter, das bist doch du?!“, habe er den früheren Bekannten fast nicht wiedererkannt, erinnert er sich.
Deutsche Kasachstans und Brasiliens sollen einander kennenlernen
Als Honorarkonsul bietet Feist in erster Linie kasachstanischen Bürgen Unterstützung bei Problemen und koordiniert wirtschaftliche und politische Kontakte. „Zur Zeit bin ich mit drei Firmen im Bereich Wasser und Wassertechnologien im Kontakt, die sich in Kasachstan ansiedeln“, so der Deutsche. „Eine von ihnen hat bereits ein Büro eröffnet.“
Sein aktuelles Herzensprojekt hat jedoch auch mit der deutschen Minderheit zu tun: Feist möchte im kommenden Jahr eine Delegationsreise nach Kasachstan organisieren, an der auch die deutschstämmige Vizegouverneurin Boehm teilnehmen soll. Ziel des Vorhabens unter anderem: Vertreter deutschstämmiger Organisationen beider Länder miteinander bekanntmachen und mehr übereinander erfahren.
„Der Botschafter und ich sind sehr daran interessiert, den Kontakt zwischen den Deutschstämmigen in Kasachstan und in Brasilien zu koordinieren, damit auch ein Austausch stattfinden kann“, sagt Peter-Michael Feist. Als positiver Nebeneffekt soll sich zugleich der Tourismus zwischen beiden Ländern entwickeln: „Kasachstan bietet viele gute Möglichkeiten. Unser Bundesland ist wirtschaftlich sehr stark aufgestellt. Es gibt hier viele Menschen, die durch die halbe Welt reisen, und für sie wird auch Kasachstan interessanter.“ Deshalb wollen er und Botschafter Nussupov im Anschluss an die Delegationsreise, die für 2025 geplant ist, auch die kasachische Tourismusagentur einladen, um sich in Brasilien zu präsentieren.
Zahlreiche Gemeinsamkeiten
Obwohl Brasilien und Kasachstan geographisch und kulturell auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen, betont Honorarkonsul Feist eine Reihe von Gemeinsamkeiten: So strebe Kasachstan außenpolitisch in das Schwellenländerbündnis BRICS+, zu dessen Gründern und führenden Mitgliedern Brasilien zählt. Auch mit Blick auf die demographische Zusammensetzung gebe es Parallelen. „100-prozentige Brasilianer gibt es nicht – wir sind ein Schmelztiegel der Kulturen“, sagt Peter-Michael Feist. Ähnlich wie in Kasachstan, wo ethnische Kasachen zwar die Mehrheit der Bevölkerung stellen, aber gemischte Ehen vor allem in den Städten eher die Regel als die Ausnahme darstellen.
Eine historische Parallele zieht der Honorarkonsul schließlich auch zu den deutschen Minderheiten beider Länder: „Nicht nur in der ehemaligen Sowjetunion, sondern auch in Brasilien wurde die deutsche Sprache im Zuge des Zweiten Weltkriegs schnell verboten“, sagt er. Auch in Brasilien hatte man also Angst vor Kollaborateuren, einer Art „fünfter Kolonne“.
In beiden Ländern sprechen heute nur noch wenige Angehörige der deutschen Minderheiten ihre ursprüngliche Muttersprache. Peter-Michael Feist hofft trotzdem, dass sich 2025 Menschen aus Brasilien und Kasachstan finden, die Deutsch noch beherrschen, und sich anschließend per WhatsApp oder Brieffreundschaft regelmäßig austauschen werden.