Deutschland hat mehr als 80 Millionen Einwohner – über sieben Millionen davon sind Ausländer, und über 14 Millionen haben einen Migrationshintergrund. Seit Jahresanfang steuert ein neues Gesetz die Zuwanderung und regelt die Integrationen dieser Menschen. Die Otto Benecke Stiftung e.V. in der Bundesstadt Bonn blickt auf jahrzehntelange erfolgreiche Integrationsarbeit zurück. Mit Dr. Lothar Theodor Lemper, geschäftsführender Vorsitzender dieses Vereins, sprach unser Korrespondent Josef Bata.

Herr Dr. Lemper, wenn es um Zuwanderung, ja um langjährige Erfahrung mit den nach Deutschland aus allen Himmelsrichtungen zugezogenen Menschen geht, dann ist die Otto Benecke Stiftung, dann sind Sie der richtige Ansprechpartner. Wie sieht Ihre Bilanz nach 40 Jahren Beschäftigung mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Bildungsstandes aus?

In den vergangenen vier Jahrzehnten hat unsere Stiftung weit über 250.000 Menschen beraten und betreut. In den bundesweit über 20 Beratungsstellen der OBS werden mit den Antragstellern Bildungspläne erarbeitet: Diese reichen von den ersten Schritten in Deutschland über Sprachkurse, Praktika, Studienergänzungen bis zum erfolgreichen Studium. Die Otto Benecke Stiftung (OBS) fördert aus Mitteln des Bundesfamilienministeriums junge Spätaussiedler, Asylberechtigte und jüdische Kontingentflüchtlinge, die in Deutschland ein Studium absolvieren wollen. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass der Weg einer Integration durch Bildung überaus erfolgreich ist.

Wie ist Ihr Kommentar zu dem seit dem 1. Januar 2005 in Kraft getretenen neuen Zuwanderungsgesetz?

Das neue Zuwanderungsgesetz erhöht zwar die Anforderungen an die Deutschkenntnisse der Spätaussiedler. Damit wird jedoch nur auf die Tatsache reagiert, dass für eine berufliche und soziale Integration gute Sprachkenntnisse eine notwendige Voraussetzung sind. Deshalb sollten schon im Herkunftsland alle Möglichkeiten genutzt werden, die Sprache zu lernen und in der Familie auch zu pflegen. Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz gibt es erstmals in Deutschland ein geregeltes und verpflichtendes Integrationsangebot für alle neu ankommenden Zuwanderer – ein wichtiger Schritt, der seit vielen Jahren überfällig war. 65.000 Zuwanderer haben in diesem Jahr bereits an Sprach- und Orientierungskursen teilgenommen – aber bei einem Stundensatz von 2,05 Euro je Teilnehmer und Stunde, der für den Unterricht gezahlt wird, und bei einer Begrenzung des Unterrichts auf 600 Stunden liegen Qualität und Quantität oft unter dem angestrebten Niveau.

Eine große Anzahl von Studenten und Hochschulabsolventen heute in Deutschland kommen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, heute Russland, Kasachstan, die Ukraine und andere GUS-Staaten. Wie bewerten Sie das Bildungsniveau dieser Menschen, welche Potenziale bringen sie mit, und wie ist es der OBS bisher gelungen, die Integration dieser Menschen in Deutschland zu erleichtern?

Das Bildungsniveau ist in der Regel hoch. Ihre Potenziale sind vor allem Flexibilität und Lernbereitschaft. Was ihnen am meisten geholfen hat, war die Vermittlung des Bewusstseins, dass sie selbst verantwortlich sind für das Gelingen der Integration und dafür, dass sie und ihre Kinder ihre Lebensziele erreichen. Ihre Vorbildung und beruflichen Erfahrungen bilden eine geeignete Grundlage für ihre eigene weitere Entwicklung bei uns in Deutschland. Die Programme der Otto Benecke Stiftung zeigen, wie diese durch gezielte Anschubförderung effektiv genutzt werden können.

Wie sieht das Programm der OBS für das kommende Jahr aus, welche Möglichkeiten hat man im In- und Ausland, darüber etwas Näheres zu erfahren und letztlich daran teilzunehmen?

Auch im kommenden Jahr werden wir die zentralen Aufgabenstellungen der Otto Benecke Stiftung verwirklichen: Hilfen für Angehörige deutscher Minderheiten in Mittel- und Osteuropa und Zentralasien, Fortsetzung unserer Projekte in der internationalen Jugendarbeit, Fortbildungsveranstaltungen und Studienreisen, Aufbau demokratischer Strukturen der Jugendarbeit in Nahost, Osteuropa und in Zentralasien. Ausserdem beschäftigen wir uns mit der Gewaltprävention und dem Abbau von Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Wir werden uns zudem weiter intensiv der Beratung, Förderung und Qualifizierung junger Zuwanderer widmen und Maßnahmen zur beruflichen Integration zugewanderter Akademiker und Wissenschaftler durchführen. Für detaillierte Informationen über die Otto Benecke Stiftung e.V. steht beispielsweise unsere Internetseite zur Verfügung. Die Adresse lautet: http://www.obs-ev.de

Wenn Sie einen Appell im Hinblick auf die Neugestaltung der Zuwanderung in Deutschland loswerden wollten, an wen möchten Sie diesen Appell richten?

Der größte Teil der Zuwanderer hat seinen Platz in der deutschen Gesellschaft gefunden. Aber es gibt auch viele, die noch Unterstützung bei ihrer Integration brauchen. Die Hilfe und Solidarität derer, die schon hier angekommen sind, könnte ihren Weg erleichtern. Jeder, der nach Deutschland kommen will, sollte sich darauf intensiv vorbereiten. Dazu gehört zuallererst das Erlernen der deutschen Sprache. Dies gilt auch für Kinder. Ebenso wichtig ist es, sich Informationen über die tatsächliche Situation in Deutschland zu beschaffen. Nicht zuletzt muss man sich bewusst machen, dass die Integration in ein fremdes Land viel Zeit, Arbeit und seelische Kräfte kostet. Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass das neue Zuwanderungsgesetz noch zu sehr Begrenzungs- denn Gestaltungsgesetz ist. Noch wird Zuwanderung nicht als kreativer Faktor für die Zukunft Deutschlands genutzt. Wir brauchen aber in Deutschland eine aktive Zuwanderungspolitik, die qualifizierte Zuwanderer in den Herkunftsländern anwirbt. 700 Hochqualifizierte sind in diesem Jahr nach Deutschland gekommen – das reicht für den dringend notwendigen Anschub wirtschaftlicher Entwicklung bei weitem nicht aus. Die demographische Alterung in vielen Industrieländern führt zu einem Konkurrenzkampf um die besten Fachkräfte. Für diese muss Deutschland an Attraktivität gewinnen. Hierzu gehört die Gewährung des Bleiberechts auch für die Familienangehörigen und der Abbau bürokratischer Hürden. Integration kann nur gelingen, wenn Zuwanderer in gleichem Maße wie Einheimische Zugang zum Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt finden. Das ist zur Zeit nicht der Fall. Deutschland muss mehr Zuwanderer vor allem mit guter Ausbildung aufnehmen.

Herr Dr. Lemper, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führte Josef Bata.

04/11/05

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