Mit dem März kam der Frühling nach Almaty. Mit Karneval und der russischen Butterwoche kamen auch wärmere Temperaturen. An einem der vielleicht letzten kalten Wochenenden dieses Jahres hat unser Autor einen Ausflug zu den heißen Quellen von Dschunscha (oder: Schonschy) unternommen.

Über diesen Ort, rund 350 Kilometer von Almaty entfernt, ist im Internet wenig zu finden. Legenden ranken sich um Dschunscha. Hier, unweit der chinesischen Grenze, in beinahe menschenleerem Gebiet, sprudelt heißes Wasser aus dem Boden. Touristisch werden die heißen Quellen noch nicht sehr lange genutzt. Zu Zeiten der Sowjetunion gab es hier nichts außer Steppensand, bis vor einigen Jahren die ersten, auf einfachste Weise ausgestatteten Ferienheime gebaut wurden. Hotels mit etwas mehr Komfort gibt es erst seit Kurzem.

Vielleicht liegt das Besondere in der Abgeschiedenheit des Ortes. Von Almaty aus geht es erst ein Stückchen entlang der von China finanzierten, breit und komfortabel ausgebauten „Neuen Seidenstraße“ nach Osten. Die brandneue Autobahn führt eigentlich zum neu errichteten chinesischen Handelsterminal und zur Freihandelszone Chorgos ein ganzes Stück weiter nördlich. Der Bus verlässt schon bald die Trasse. Die kleine Siedlung Schelek ist der letzte bewohnte Punkt, bevor wir auf staubigen Schotter- und Geröllpisten die menschenleere Mondlandschaft des Sharyn-Nationalparks durchqueren. Erst rund 40 Kilometer vor der chinesischen Grenze, im Distrikt der Uighuren, tauchen in der flachen Steppe niedrige Häuser am Horizont auf. Die Ferienheime sind teilweise mit großem Abstand zur Hauptstraße in den sandigen Boden gebaut. Diese Straße zur Grenze wird, seitdem es den großen Grenzübergang in Chorgos gibt, nur noch äußerst selten benutzt. Eine Einsamkeit wie am Ende der Welt.

Es hat Temperaturen rund um den Gefrierpunkt, als ich zum ersten Mal in das Becken mit dem heiß in die Winternacht dampfenden Wasser steige. Das Wasser kommt hier mit 53 Grad aus rund einem Kilometer Tiefe. Insbesondere Familien mit Kleinkindern und alte Leute sind zu Gast. Ich lerne Abdullah kennen, der schon seit neun Jahren in einer kleinen Kantine vor Ort Lagman und Plow kocht. Als er kam, gab es nur sechs Ferienheime hier, heute sind es schon 36 Sanatorien. Man erzählt sich, dass Dinmuchamed Kunajew, erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei von Kasachstan, der erste war, der hier eine Badeanstalt errichten ließ, damit sich die Parteikader aus Alma-Ata mit ihren geheimen Liebschaften in der Abgeschiedenheit treffen und ungestört vergnügen konnten.

Abdullah sagt, dass das Mineralwasser, das hier aus dem Boden kommt, ist mit dem radioaktiven Element Radon versetzt ist. Tatsächlich werden mit Radon angereicherte Quellen zu medizinischen Zwecken verwendet. Beispielsweise ist das ebenfalls sehr heiße Mineralwasser auf der italienischen Insel Ischia radonhaltig. Und auf die lindernde Wirkung von Badekuren bei Gelenkschmerzen schwört neben Millionen von Rentnern auch unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im sächsischen Bad Brambach befindet sich übrigens die weltweit stärkste zur Trinkkur verwendete Radonquelle der Welt. Na, dann kann‘s mit der Radioaktivität ja nicht so schlimm sein, und ich kann auch noch was Gutes für meinen eingeklemmten Nerv tun. Medizinische Hinweise zum richtigen Baden oder Informationen über die genauen Inhaltsstoffe und die mineralische Zusammensetzung des Wassers sucht man hier in Dschunscha allerdings vergebens. Nach wie vor sind die heißen Quellen für die wenigen Gäste in erster Linie ein Freizeitspaß und dienen der Flucht aus der mit Abgasen verschmutzten Großstadt.

Die Quellen sind super für ein entspannendes Wochenende: Trotzdem ranken sich auch so einige Mysterien um diesen Ort. Vieles bleibt an diesem so abgeschiedenen Platz im Dunkeln. Aber ich glaube, dies wird sich in naher Zukunft ändern. In den heißen Quellen von Dschunscha steckt noch großes touristisches Potential, das Kasachstan sicher nicht ungenutzt verstreichen lässt. Ich werde wieder kommen, wenn die kalte Jahreszeit zurück ist.

Philipp Dippl

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