Eine moderne Stückentwicklung, bei der sich die Kreativität aller Beteiligten zu einem Produkt vereint, Theater seinen leicht archaischen Charakter verliert und plötzlich eine allzu reale Zukunft skizziert: „Rainmaidens of Eastworld“ („Regentruden des Orients“) von Regisseur Tilman Hecker fesselt das Publikum im Deutschen Theater Almaty.
Als Theodor Storm 1863 „Die Regentrude“ schrieb, diskutierten Wissenschaft, Politik und Gesellschaft noch nicht über die Erderwärmung. Auch demonstrierten keine Schüler für Klimaschutz. Und doch erscheint vieles in dem Kunstmärchen wie ein Blick in die Zukunft, unsere Gegenwart. In Storms Märchen leiden die Menschen unter einer entsetzlichen Dürreperiode. Die Ernte verdorrt und das Vieh verdurstet auf den Weiden. In ihrer Not besinnen sie sich der Regentrude, einer Naturgöttin vorchristlichen Glaubens, die den Leben spendenden Regen herbeiführt, jedoch von Zeit zu Zeit einschläft – nämlich immer dann, wenn der Glaube an sie erlischt und die Menschen aufhören, ihr Opfergaben darzubringen. Eine mutige Jungfrau muss sich aufmachen, die Regentrude zu wecken.
Dieses Motiv, der mangelnde Respekt der Menschheit vor der Natur und die daraus resultierenden Folgen, nehmen das Deutsche Theater Almaty und Regisseur Tilman Hecker auf, um damit den Planeten von morgen zu denken. Für die Inszenierung versammelt Hecker ein internationales künstlerisches Team (aus Deutschland, Amerika, Island und Kasachstan) um sich. Das Stück ist eine „mögliche Kriegserklärung an die Diktatur der Menschheit und des Kapitals über die Natur“ – oder zumindest ein Angebot zur Reflexion über unser Umweltverhalten.
Dystopische Atmosphäre, düster-prophetischer Ton
„Rainmaidens of Eastworld“ heißt die Zuschauerinnen und Zuschauer willkommen auf der Erde in etwa tausend Jahren und am Ende eines Prozesses, der sich „globale Erwärmung“ nennt. Eine karge Wüstenkulisse, bewegliche Aluminiumwände, Plastik – das reduzierte Bühnenbild macht deutlich, was übrig bleibt in dieser Zukunftsversion. Die Schauspielerinnen und Schauspieler tragen „moderne“ Westernkleidung. Handlung und Figuren sind schließlich an das Original nur noch angelehnt, stärker geht es um dessen Botschaft. Diese wiederum wird den Zuschauerinnen und Zuschauern auf unterschiedlichste und unglaublich abwechslungsreiche Weise nahegebracht. Es wird ausgelassen experimentiert: Monologe, Dialoge, Choreographien, Rap, Chanson und Klassik, Klavier, Gesang oder ein dröhnender Bass, Ur– und elektronische Klänge, Lärm. Selbst erzeugt oder vom Band. Auf der Bühne oder im Zuschauerraum. Die Schauspielenden scheinen allesamt Multitalente zu sein. Dabei verschwimmen die Grenzen der Darstellungsformen – ist das Varieté, Performance-Kunst, Schauspiel?
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Durchaus gibt es Stellen, an denen gelacht wird. Allgemein herrscht aber eine dystopische Atmosphäre, vorgetragen wird in düster-prophetischem, resignierend-klagendem, sarkastisch-wahnsinnigem Ton. Teile des Originaltextes wie beispielsweise der berühmte Zauberspruch führen beim Publikum zu einem zufriedenen Moment der Wiedererkennung, gewinnen durch den ungewöhnlichen Kontext aber auch noch einmal eine neue inhaltliche Nuance.
Zentrale Stellen werden auf Russisch, Kasachisch, Deutsch und Englisch gesprochen. Dies hat einen interessanten Effekt: Es wird der Eindruck verstärkt, dass die Situation eine globale Angelegenheit ist und in globaler Verantwortung liegt.
Premiere sorgt für starke Emotionen
In einer besonders eindrucksvollen Szene wischt eine der Schauspielerinnen Wasser auf, das aus einer umgestürzten Flasche auf den Boden geflossen ist. Den Lappen wringt sie immer wieder über der Flasche aus und achtet darauf, dass auch kein Tropfen verloren geht. Minutenlang kann man sie bei dieser beinahe meditativen Tätigkeit beobachten.
Die Regentrude wird letztlich von allen gemeinsam geweckt – an dieser Stelle interagiert auch das Publikum. Die Erweckung bringt Erleichterung. Dennoch bleiben auch andere Gefühle zurück. Ist das Gesehene absurd oder sehr real?
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Die gelungene Premiere, die nicht nur beim Publikum starke Emotionen auslöst, sondern besonders dem Theaterkollektiv Tränen der Rührung in die Augen treibt, wird im Anschluss aber erst einmal gebührend gefeiert.
Im Oktober geht es dann in die zweite Runde. Die Vorstellungen finden am 5. und 6. Oktober jeweils um 18:00 Uhr statt, am 11. Oktober um 19:30 Uhr und am 13. Oktober um 18.00 Uhr.
Tickets gibt es unter https://ticketon.kz/event/regentruda-vostochnogo-mira? oder an der Abendkasse für 3.000 Tenge. Es gibt eine Altersbeschränkung von 16 Jahren.