Doppelmoral in Zeiten des Kapitalismus: Der tadschikische Regisseur Farhod Abdullajew knöpft sich in seinem Film „Presumpzija soglassija“ (etwa „Vorausgesetzte Zustimmung“) die teils fragwürdige postsowjetische Ethik unter Ärzten vor. Der Film wurde bei dem Filmfestival Eurasia in Almaty in der Kategorie „Internationaler Wettbewerb“ nominiert.

Zwei Welten prallen aufeinander, als der Aseri Emin in ein russisches Provinzstädtchen zieht, um im dortigen Krankenhaus zu arbeiten. Als Doktorand ist Emin auf dem neuesten Stand der Wissenschaft: Mit seinem Wissen will er den Patienten helfen. Das ist jedoch angesichts der Methoden, welche in dem Kleinstädtchen vorherrschen, gar nicht so einfach. So verbietet ihm beispielsweise eine Arzthelferin, ein dringend benötigtes Medikament zu benutzen. Begründung: Das Medikament müsse für wichtige Personen aufbewahrt werden. Auch die Dorfbewohner stehen dem fremden Arzt und seinen neuen Methoden skeptisch gegenüber. Als ihm schließlich die Patienten davonlaufen, steht Emin zwischen den Stühlen: Anpassung an teils fragwürdige Methoden und Erfolg oder Handeln nach bestem Wissen und Gewissen?
In einer linear verlaufenden Handlung macht Regisseur Farhod Abdullajew auf die Oberflächlichkeit und den Egoismus in der kapitalistischen Gesellschaft aufmerksam: „Heutzutage sind die Menschen in erster Linie selbst für ihr Glück verantwortlich.“ Die traditionellen Werte des sozialen Füreinander gerieten dabei immer mehr in den Hintergrund. So auch unter manchen Ärzten: Nicht mehr das Wohl des Menschen stehe im Vordergrund, sondern die pure Geldgier. Diese Ansicht ist nicht aus der Luft gegriffen – der Film basiert auf einer wahren Gegebenheit: Abdullajew bastelte eine Geschichte um einen Organspendeskandal, von dem er in der Zeitung gelesen hatte.

Mit Herz und Niere Leben retten?

Für den moralischen Emin ist Neurochirurg Oleg der einzige Lichtblick in dem trostlosen Dorfleben. Diesem scheint es um den Menschen zu gehen, unabhängig von Hautfarbe, Status oder Alter. Oleg steht Emin nicht nur als Kollege, sondern auch als Freund zur Seite. Die Situation eskaliert jedoch, als ein unbekannter Tadschike eingeliefert wird. Er war verprügelt worden, und ist nun hirntot. Emin glaubt ihn bei Oleg in sicheren Händen. Doch er irrt sich gewaltig: Per Zufall findet er heraus, dass der Tadschike Opfer eines Organhandels geworden ist.

Besser mit Herz und Niere zwei, drei Leben retten, als um eines zu kämpfen, kommentiert Oleg gleichgültig, als ihn der schockierte Emin konfrontiert. Hippokratische Grundsätze mit Füßen getreten – hinter Olegs Maske der Toleranz versteckt sich gnadenlose Kaltblütigkeit seinen Mitmenschen gegenüber. Kühle Farben untermauern dieses mitleidslose Denken. Abgesehen davon steht die Ästhetik bei der Low-Budget-Produktion eher im Hintergrund. Der Zuschauer soll sich auf den Inhalt konzentrieren. Und hat angesichts der teils schleppenden Handlung auch genug Zeit, sich eigene Gedanken zu dem Film zu machen.

Abdullajew betont: Nicht nur in Russland sähen manche Ärzte mehr die potenzielle Spende als den Menschen im Patienten, sondern auf der ganzen Welt gebe es Fälle wie diesen. In „Presumpzija soglassija“ ist der Regisseur dabei keinesfalls so naiv, Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben: Auch Oleg weist er menschliche Züge zu. Nach dem Vorfall sieht er seine Verfehlung ein, das Malheur zugelassen zu haben und kündigt seinen Job im Krankenhaus. Für Emin muss das Leben weitergehen: Er besinnt sich auf seine Aufgabe, dem Wohl der Menschen zu dienen. Die Dorfbewohner akzeptieren ihn schließlich.

Ob des abrupten Endes bleibt der Zuschauer etwas erschlagen zurück. Nach einer kurzen „Und jetzt?“-Phase regt das Material aber durchaus zum Nachdenken an. Die Jury des Filmfestivals unter Vorsitz des deutschen Regisseurs Wolfgang Petersen (u.a. „Das Boot“) entschied letzten Endes, keinen Preis für den besten Film in der Kategorie „Internationaler Wettbewerb“ zu vergeben.

Von Christine Faget

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