Eine neue Plattform eröffnete diese Woche in der Tengri-Umai-Galerie in Almaty. Sie soll Raum für interdisziplinären Umgang mit zeitgenössischer Kunst bieten, den Zugang zu entsprechenden Inhalten und Ästhetik ermöglichen und Berührungsängste nehmen. Am Abend der Präsentation konnte man neben Projektpräsentation und erstem Themenabend auch erkennen, dass Gegenwart Vergangenes nicht ausschließt, sondern zeitgemäßen Umgang mit allen Themen bedeutet.

Neben dem Dollar stiegen auch einige aus der Kunstszene in Almaty mit einem steilen Kurs in das neue Jahr ein. Eine Idee, die schon länger in den Köpfen vieler an zeitgenössischer Kunst interessierter Individuen herumgeisterte, hat nun eine erste Instanz der Verwirklichung erreicht – die Eröffnung der Initiative ARTCOM durch Aigerim Kapar, Gaisha Madanova und Dilda Ramasan. ARTCOM wurde als eine Kommunikationsbasis vorgestellt, die das Entwickeln einer Bildungsplattform, kultureller, interdisziplinärer Projekte und Ausstellungen fördern soll. Es soll Interessierten Raum für Zusammenarbeit bieten mit den Ideen des Generationsaustausches und Transdisziplinarität. Jeder kann hier seine Fragestellung vortragen, Ideen oder Konzepte präsentieren oder Erfahrungen und Meinungen teilen und diese zur Diskussion stellen oder Gleichdenkende bzw. Partner finden – eine recht vage Beschreibung der geplanten Tätigkeitsfelder. Das liegt vor allem daran, dass man nichts und niemanden ausschließen oder abschrecken möchte. Man hat nun vor ein bis zwei Mal monatlich Veranstaltungen durchzuführen, die je nach Format eineinhalb bis zwei Stunden gehen oder auch mal einen Abend füllen. Man ist grundsätzlich für alle Vorschläge, Veränderungen und Interventionen offen, die dem Projekt und der Thematik entsprechen, und fordert Eigeninitiative. Der letzte Punkt ist genau das, worum es prinzipiell geht: Engagement interessierter Menschen, die einen Diskurs um ein Thema fördern wollen und diesem nun einen Rahmen verschaffen wollen, ohne legislativ zu wirken.

„Wir können jetzt etwas tun, warum also nicht selbst handeln?“

Bild: Alexander UgayEtwas, was hierzulande auf institutionellen und universitären Ebenen häufig fehlt, ist der fachorientierte Zugang zu theoretischem und praktischem Wissen, zur Erfahrung im zeitgenössischen Kunstbereich. Auf die Nachfrage nach der bildungspolitischen Motivation dieses Projektes, also dem Fehlen an zugänglicher institutioneller Fachvermittlung auf dem Gebiet, äußerte sich eine der Projektleiterinnen, Gaisha Madanova, wie folgt: „Ich bin für Bildung und Fortentwicklung, aber ich gehe nicht davon aus, dass unsere Initiative eine politische ist. Prinzipiell sehen wir schon die Lücke im System, die wir schließen wollen. Als eine kleine Initiative mit gemeinnütziger Organisationsstruktur sind wir flexibel und haben kurze Reaktionszeit und –wege. Wenn wir auf die bürokratische Veränderung von oben warten – das Erneuern der Hochschullehrpläne etc. – ist das eine schwerfällige und schwer veränderbare Struktur, die aber zumindest in kleinen Schritten vorwärtsgeht. Wir können jetzt etwas tun, warum also nicht selbst handeln?“

Als der derzeitige Hauptunterstützer der Plattform sieht der Galerist Wladimir Filatow Kunstschaffende als zentrale Schlüsselakteure eines zeitgenössischen Gesellschaftswandels: „Der Wunsch, sich in der Kunst der Gegenwart weiterzubilden und auf dem Laufenden über etwaige Entwicklungen und Veranstaltungen zu sein und dazu zu kommunizieren, haben insbesondere Nachwuchskünstler, denn es birgt neue Ideen. In diesem Prozess bringen die Kunstschaffenden diese neuen Tendenzen durch ihre Werke in die Galerien und damit in die Gesellschaft. Das größte Kapital ist das Ideenkapital, und Künstler sind deren Überbringer.“ Sich selbst empfindet der Begründer und Direktor der ältesten Galerie Kasachstans, die vor fast 25 Jahren in Almaty eröffnet hat und seitdem Künstlergenerationen unterstützt, als Erforscher dieser Ideen. Deshalb ist die wechselseitige Kommunikation für ihn essentiell und fördert seiner Ansicht nach Kreativität und Engagement, und dafür leistet Tengri Umai (übrigens die einzige nichtkommerzielle Galerie für zeitgenössische Kunst der Stadt) gern einen Beitrag.

Langsam gehört auch Kasachstan zu Koreas Asien-Verständnis

Bild: Alexander UgayAbgesehen von der Projektskizzierung bot die erste Veranstaltung inhaltlich eine kuratorische Rundreise durch Korea, die von Aigerim Kapar in der Reihe ART Talks vorgestellt wurde, und ein Künstlergespräch mit Alexander Ugay, was Gaisha Madanova in der Reihe ART Dialogues führte.
Langsam gehört auch Kasachstan zu Koreas Asien-Verständnis, und so waren neben georgischen, türkischen, iranischen und vielen weiteren Nationalitäten, auch kasachische Künstler der Galerie Tengri Umai aus Almaty bei der Gruppenschau des „Asian Arts Space Network 2015“ in Korea vertreten. Präsentiert wurden sie Ende November in Gwangju von der Kuratorin Aigerim Kapar. Sie führte nun auch das zur Eröffnung von ARTCOM anwesende Publikum durch Ausstellungsräume, Kunstfestivals und Galerien. Eine Foto– und Videoreportage ihrer eigenen Reise eröffnete den Einblick in mehrere Museen und Ausstellungen, sowie Residenz-Programme für Künstler. Begleitet von Kapars Erläuterungen, konnte man sich in diesem Reprtage-Rahmen durchaus versuchen, auf die ausgestellten Titel einzulassen, und erfuhr nebenher interessante Fakten zu Museen, Ausstellungstechniken, Künstlern sowie Förderprogrammen für Künstler und Kuratoren.

Ein voller Publikumsraum zeugt auch von der Nachfrage nach solchen Ereignissen. Zudem war das Generationskonzept sehr gut sichtbar, konnte man doch ein sehr heterogen zusammengesetztes Besucherabbild beobachten. Eine der Anwesenden im Publikum, Kunststudentin Jana, die in Paris studiert, sieht diese Veranstaltung als einen wegweisenden Schritt: „Es ist wichtig, dass hier etwas passiert. Ich bin mir sicher, nach und nach wird es eine fortschreitende Bewegung geben im zeitgenössischen Kunstbereich, daran führt kein Weg vorbei.“

Fragilität von Geschichte

Als dritten Programmpunkt des Eröffnungsabends konnte man einem Gespräch mit einem der herausragenden Künstler der Szene, Alexander Ugay, beiwohnen. Dabei wurde das Augenmerk im Speziellen auf seine Arbeiten gelegt, die sich mit Korea und der koreanischen Diaspora auseinandersetzen. Der kasachstanische Künstler, der bei zahlreichen Biennalen und Ausstellungen weltweit ausstellte, ist selbst aus einer koreanischen Familie. So visualisierte er zum Beispiel die Ergebnisse seiner Recherche zur kollektiven Erinnerung der koreanischen Diaspora in Kasachstan und Usbekistan in wiedererkennbarer Ugay-Manier: mit collageartiger Aufbaustruktur in einem mehrere Meter breiten konstruktivistischen, grafischen Paneel. Nach einer Umfrage unter der zentralasiatischen koreanischen Diaspora filterte er die meistgenannten und populärsten Schlagworte bzw. Themen heraus, recherchierte hier Bild– und Grafikmaterial, was er zu Collage-Grafiken transformierte, und fasste letztlich die einzelnen Tafeln zu einer Art großer Zeittafel zusammen. Diese Tafel spielt vielfach mit Symboliken und eröffnet je nach Perspektive Details, die die Disziplin der Geschichtsschreibung unter einen neuen Gesichtspunkt stellen und hinterfragen.

Bild: Alexander UgayIm Zwiegespräch mit Künstlerin und Kuratorin Gaisha Maidanova wurde die Idee, Herangehensweise, Umsetzung und mögliche Interpretation seiner Arbeiten erörtert, die sich meist mit Erinnerungskultur auseinandersetzen. Der Themenkomplex Erinnerung und Identität beschäftigt Ugay durch sein gesamtes Schaffen. Er selbst bezeichnet seine Thematik gern als „fließende Erinnerung“. Diese Erinnerung, die selbst ein gesellschaftliches Konstrukt ist und irgendwann, nach einem Jahreszyklus ins Institutionelle und damit in Historie übergeht, sieht man in seinen Arbeiten meist dekonstruiert und neu zusammengesetzt. Damit erschafft Ugay zuweilen aus Gegebenem einen Übergang hin zu Utopien und vielleicht auch Dystopien. In seiner Arbeit begibt sich der Künstler, der eine Ausbildung zum Seefahrer und danach zum Kriminologen abgeschlossen hat, oft auf Spuren nach Erinnerungen und Artefakten. So entstehen Werke wie „Objekte der Erinnerung“ (2012/13), wo aus Archivfotografien der kasachischen Arbeits– und Konzentrationslager Objekte werden, die ganz unabhängig von ihrer einstigen inhaltlichen Symbolik als Kunstobjekte und Repräsentationen der Vergangenheit fungieren.

Alles in allem kann man festhalten, dass insbesondere die Gesprächsform, also „ART Dialogues“ viel Zugang zu Entstehungsprozessen zeitgenössischer Kunst und entsprechenden Tiefgang barg. In vielen Fällen bietet die Form einer Diskussion eine spannendere und weniger frontale Herangehensweise, an Themen heranzuführen oder Fragestellungen zu bearbeiten. Man darf also nicht nur gespannt sein, was in Zukunft noch alles von der Plattform zu erwarten ist, sondern sich vor allem auch selbst am Diskurs zu zeitgenössischer Kunst beteiligen. Aigerim Kapar fasst den Projektgedanken folgendermaßen zusammen: „Dem Projekt zugrunde liegt die Idee der Zusammenarbeit, des Dialogs und der Eigeninitiative – alles liegt in unseren Händen.“

Blitzinterview mit Gaisha Maidanova

Eure Wunschziele habt ihr heute an uns herangetragen, aber was hegt ihr für Erwartungen an das Auditorium?

Wir erwarten Mittäterschaft, dass man sich engagiert. Wir organisieren diesen Rahmen und wollen, dass die interessierten Menschen sich hier treffen und austauschen, Kontakte knüpfen. Wir sind auch an der Entwicklung von Geschäftsstrukturen interessiert, die zur Verwirklichung der kursierenden Ideen beitragen könnten.

Es kommt vielleicht der Idee eines Salons nah, wo man sich begegnet und ein Gedankenaustausch passiert. Niemand ist gezwungen, dazu etwas beizutragen oder Projekte mit Menschen zu organisieren, aber wenn es passiert – wunderbar!

Was Businessakteure angeht, geht ihr davon aus, dass diese auf euch zukommen, vielleicht als Auditorium, oder wollt ihr diese selbst erobern?\

Ich denke, man muss sie nicht erobern, wir werden sie eher anlocken mit eben dieser Bildungsthematik, die wir anbieten. Ich persönlich denke, dass Geschäftsleute grundsätzlich sehr am Thema interessiert sind und vielleicht zum Teil eine Distanz aufgrund von Unerfahrenheit verspüren, und wir können helfen, ebendiese mit unserem Programm zu überwinden. Ich gehe davon aus, dass wir uns in Zukunft in verschiedenen Richtungen entwickeln werden, warum nicht auch Kooperationen mit interessierten Unternehmern?

Ihr habt als eine eurer Programmformen das Ausstellungsformat im Visier. Wollt ihr da selber als Kuratorinnen auftreten oder ist das genauso frei wie das Konzept?

Ich denke, das hängt von der Situation ab. Die Hierarchien sollen flach gehalten werden, und letztlich hängt es von den Initiatoren der entsprechenden Ausstellung ab. Wir können und werden immer bei der Organisation unterstützen und je nach Begebenheit und Wunsch, vielleicht auch kuratorisch beistehen.

Julia Boxler

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