Christoph Paasch (23) studiert seit vier Jahren im niedersächsischen Göttingen Medizin. Einen Teil seiner praktischen Ausbildung hat er im kasachischen Herzzentrum „Nur-Avicenum“ absolviert. Das Krankenhaus liegt in der Provinzhauptstadt Taldykorgan. In der DAZ spricht er über seine Beobachtungen in Taldykorgan und seine Eindrücke vom kasachischen Gesundheitswesen.

Kasachstan ist nicht gerade für sein entwickeltes Gesundheitswesen bekannt. Als angehender Arzt möchten Sie doch sicher eine Menge lernen. Warum haben Sie sich für ein Praktikum in Kasachstan entschieden?

Das Medizinstudium in Deutschland beinhaltet auch einen praktischen Teil, die so genannte Famulatur. Mit drei Kommilitonen hatte ich im Jahr 2004 bereits eine sehr interessante Reise nach Kasachstan unternommen und wusste daher, dass ich hier eine Menge erleben kann. Einen erneuten Aufenthalt mit meiner Famulatur zu verbinden schien mir sinnvoll.

Wie findet man als deutscher Medizinstudent einen Praktikumsplatz in Kasachstan?

Normalerweise unterstützt die Bundesvertretung der Medizinstudenten in Deutschland (BVMD) einen Praktikumsaufenthalt im Ausland. Kasachstan befindet sich aber noch nicht auf der Länderliste des BVMD, damit musste ich mich um alles selbst kümmern und auf „alte Bekannte“ aus meinem ersten Kasachstanaufenthalt zurückgreifen.

Das Krankenhaus in dem Sie einen Teil ihrer Famulatur geleistet haben, liegt im Oblastzentrum Taldykorgan, 300 Kilometer von Almaty entfernt – eine typische Provinzklinik?

Die Klinik heißt Nur-Avicenum und ist eine Privatklinik mit dem Schwerpunkt Herz- und Kreislauferkrankungen. In der ersten Etage befindet sich eine Poliklinik. Dort arbeiten Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Kardiologen, Kinderkardiologen, Zahnmediziner und Kinderärzte. In der zweiten Etage befindet sich eine Station mit 30 Betten. Insgesamt sind 70 Personen im Nur-Avicenum beschäftigt. Die ersten Wochen hospitierte ich in den verschiedenen Sprechstunden in der Poliklinik. Körperliche Untersuchungen waren dabei mein Hauptaufgabengebiet. Das Ende meiner Famulatur in Taldykorgan verbrachte ich auf der Station.

Ist die Ausstattung des Krankenhauses mit Deutschland vergleichbar?

Die technische Ausstattung entspricht nicht der eines deutschen städtischen Krankenhauses. Doch gehören auch hier Elektrokardiogramm (EKG), Ultraschall und Röntgen zur Standarddiagnostik. Ein klarer Unterschied ist die Ausstattung mit Computer-Tomographen (CT) und Magnetresonanz-Tomographen (MRT). In Taldykorgan mit seinen 120.000 Einwohnern gibt es gerade mal einen CT, welcher leider sehr häufig funktionsunfähig ist. Der nächste MRT befindet sich in Almaty, also 300 Kilometer entfernt und mit dem Auto in vier Stunden zu erreichen.

Wie kommt es, dass mitten in der kasachischen Provinz ein verhältnismäßig gut ausgestattetes Herzzentrum existiert?

Der Chefarzt, Dr. med. Wladimir Kreismann, gründete die Klinik Anfang der 90er. Er selbst ist Wolgadeutscher und hat bislang viele internationale Preise unter anderem aus Japan und Virginia (USA) erhalten. Dadurch fällt es leichter, die Klinik, die verglichen zum kasachischen Standard eine überdurchschnittliche Ausstattung hat, zu finanzieren. Das Herzzentrum wurde mit Hilfe internationaler Material- und Geldspenden aufgebaut und ist auch jetzt noch im Umbau begriffen. Derzeit werden drei Intensivbetten geplant und eventuell soll ein CT angeschafft werden.

Abgesehen von den Unterschieden in der technischen Ausstattung – welche Unterschiede gibt es bei der Behandlung der Patienten?

Sehr beeindruckt hat mich die Tatsache, dass die hiesigen Ärzte sehr viel mehr Zeit für den Patienten haben als in Deutschland. Bis zu 30 Minuten pro Patient sind klarer Standard. Jedoch müssen die Patienten sich häufig das Arztzimmer mit anderen Patienten teilen. In einer Ecke des Zimmers strampelt sich ein Patient auf dem Fahrrad ab, um ein Belastungs-EKG zu erstellen, während im gleichen Raum ein persönliches Arzt-Patient-Gespräch stattfindet. Auch werden die Zimmertüren nicht verschlossen, und ständig kommt jemand, ohne vorher zu klopfen oder um Eintritt zu bitten, in das Arztzimmer. Sicherlich für einen Mitteleuropäer kaum verständlich, aber hier Normalität, an der sich die Patienten nicht stören.

Wie ist das Arbeitsklima in der Klinik?

Im Vergleich zu Deutschland ist das Pflegepersonal noch viel weniger emanzipiert und der Ärzteschaft geradezu hörig. Als ich eines Morgens zu spät zur morgendlichen Besprechung kam und mit “Strastwujtje“ die Anwesenden grüßte, sprangen plötzlich die Schwestern von den Stühlen und grüßten mich, „den dahergelaufenen Studenten“, im Chor zurück. Ich konnte ein Lachen glücklicherweise unterdrücken. In Deutschland wäre ich in ähnlicher Situation keines Blickes gewürdigt worden.

Wie ist der Ausbildungsstand der kasachischen Ärzte?

In Kasachstan gibt es keine klassische Facharztausbildung. Nach drei- bis viermonatiger Weiterbildung im Anschluss an das Studium ist man bereits „Spezialist“ für eine Fachrichtung. Zum Vergleich: Die kürzeste Facharztausbildung in Deutschland dauert immerhin fünf Jahre. Bislang hat sich hier auch noch kein Weiterbildungssystem für Ärzte etabliert, das beispielsweise von einer Ärztekammer überwacht wird.

Im „Corruption Perception Index 2007“ von „Transperency International“ belegt Kasachstan Platz 150 von 180. Spielt Korruption auch im Gesundheitswesen eine Rolle?

Wenn ein Patient ein staatliches Krankenhaus aufsucht, kommt es mitunter vor, dass er ohne eine direkte Zahlung an den diensthabenden Arzt keine adäquate Versorgung erhält. Der Grund dafür scheint klar. Die Gehälter liegen offiziell zwischen 100 und 300 Dollar pro Monat. Die Wohnungspreise, insbesondere in Almaty und der Hauptstadt Astana, stiegen rasant in den letzten Jahren, so dass man ohne Zuverdienst, welcher Art auch immer, das alltägliche Leben kaum noch bestreiten kann. Die Ärzte im Nur-Avicenum verdienen mehr als andere Ärzte in Kasachstan und damit liegt die Schwelle zur Korruption höher als an einer staatlichen Einrichtung.

Ein Arzt muss seine Patienten verstehen. Können Sie Russisch?

Parallel zum Studium habe ich an der Volkshochschule Göttingen Russisch gelernt. Der besondere Vorteil einer Auslandsfamulatur ist aus meiner Sicht, die Möglichkeit seine sprachliche Fähigkeiten zu verbessern. Ich habe mir immer gewünscht, russisch sprechen zu können, und dem bin ich hier sehr nahe gekommen. Viele Ärzte in Kasachstan sprechen kein Englisch und wenn, nur sehr begrenzt, was für mich gleichzeitig bedeutete, dass ich mich nur mit meinem mehr schlecht als rechtem Russisch unterhalten konnte.

Welche Eindrücke nehmen Sie mit zurück nach Deutschland?

Meine Erwartungen an die Famulatur haben sich voll erfüllt. Auch wenn der Einsatz von Gesundheitstechnik nicht vergleichbar mit Deutschland ist, konnte ich von den Ärzten hier eine Menge im Hinblick auf den Umgang mit Patienten lernen und sehen, dass es manchmal gar nicht so viel Technik braucht, um die richtigen Diagnosen zu stellen.

Das Interview führte Ulf Seegers

16/11/07

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