So der Titel eines Gedichts von Rosa Pflug, das sie 1970 in der „Freundschaft“ veröffentlichte. Es ist zutiefst sinnenhaft und lyrisch und behandelt das ewige Thema Liebe. Das Gedicht ist mir schon von früher bekannt. Aber nachdem ich den „Poesie-Sammelband“ aus Almaty erhielt und seit Tagen darin lese, nahm diese Sentenz eine völlig andere Schattierung an: Ich kehre nie zurück – plötzlich empfand ich diesen kleinen Satz als weises Fazit eines vergangenen Lebens, und sein Inhalt wirkte so erschütternd und magisch, dass er mir seit Tagen nicht aus dem Kopf geht.
17 bekannte russlanddeutsche Autoren sind in diesem Band vertreten, Koryphäen unserer bescheidenen russlanddeutschen Literatur, deren Werke der Vergangenheit entrissen wurden, um dem gegenwärtigen Leser einen glasklaren Blick in ihre Gefühle zu gewähren. Man liest und fühlt die Vergangenheit, sie zieht an dir vorbei, streift und berührt dich mit ihren schwarz-weißen Bildern.
Die Redaktion der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ und das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland waren vermutlich von demselben Gefühl überwältigt, als der bekannte Schriftsteller, Literaturkritiker und Übersetzer Herold Belger mit der Idee, diesen Band herauszugeben, zu ihnen kam. Es ist nicht erstaunlich, dass gerade er, der sich inmitten des russlanddeutschen literarischen Geschehens befand, diesen Sammelband ins Leben gerufen hat.
Jetzt liegt uns ein Werk vor, das den Versuch macht, die von uns gegangenen Autoren aus der Vergessenheit hervorzuholen und noch einmal in das Blickfeld interessierter Leser zu rücken.
Es sind keine radikal neuen Texte, eher gepflegte Traditionspoesie Mitte des vorigen Jahrhunderts mit wehmütigem Klang und einer gebührenden Prise Patriotismus.
Doch sie sind modern in anderer Hinsicht: in den Gedichten leiden die Seelen der Schreibenden: „Sie schnitten mir die Seele wund und hämmerten mein Herz in Stücke“(Viktor Heinz), sie bluten von den schlimmen Erlebnissen in der Arbeitsarmee: „Im Sumpf lag unser Lager, von biederen Mücken umschwärmt, und nie hat der kurze Sommer die fröstelnden Seelen erwärmt“ (Viktor Klein, Warum?); sie schlagen sich mit Zweifel und Enttäuschungen rum: „Wann erklingen die Glocken der glücklichen Stunde der Wiedergeburt der eigenen Heimat der Russlanddeutschen, die verschickt sind bis heute?“ (Hermann Arnhold, „Wir ringen die Hände“); sie währten sich gegen den zu Nichts führenden Massenpatriotismus: „Ich wollte fliehen auf pfeilgeraden Schienen mit einem Schnellzug, fort aus diesem Land, nach meiner lieben fernen Ukraine mit ihrem vielbesung`nen Dneprstrand“ (Woldemar Herd, „Neulandserinnerung“).
Dr. Renate Schimkoreit, Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland, schreibt im Grußwort zum Band: „Bereits die Lebensläufe der Schriftsteller, deren Werk im vorliegenden Band auszugsweise wiedergegeben wird, bilden auf beeindruckende Weise die wechselvolle und vielfältige Geschichte der ethnischen Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion und in den heutigen Nachfolgestaaten.
Umso bewundernswerter ist es, dass sie die Kraft hatten, ihre schriftstellerische Arbeit in beeindruckender Qualität in der Nachkriegszeit wieder aufzunehmen“.
Stimmt. In den Linien der alternativen Bahn zwischen Grausamkeit, Ungerechtigkeit und Hoffnung haben sie nicht aufgegeben zu schreiben. Nora Pfeffer schrieb neben philosophischen, zutiefst weisen Versen auch Märchen und fantastische Geschichten in Gedichtsform für die Kleinen – in einer wunderschönen deutschen Sprache.
Als ich sie mit einem Kamerateam Ende der 90-er in ihrer bescheidenen Wohnung in Köln besuchte, war sie voll neuer Ideen und Schaffenslust. Mit leiser, gefühlsvoller Stimme rezitierte sie ihre Gedichte, welche die sehnlichsten Saiten ihrer Seele offenbarten: „Noch bin ich nicht soweit, mein Kismet hinzunehmen, mein Aufbegehren kann ich immer noch nicht zähmen, und das Nirwana ist noch nicht mein letztes Streben…“.
Wie sie die 10 Jahre Straflager in Dudinka und die anschließende Verbannung nach Nordkasachstan überlebte – darüber sprach sie nicht.
Viktor Klein erzählte uns, seinen Studenten, auch nie über die Taiga, wo er unter härtesten Bedingungen im Holzschlag arbeiten musste. Aber „seine Muse blickte mit offenen Augen ins Leben“. Von ihm erbte eine zahlreiche Kohorte russlanddeutscher Schriftsteller und Dichter seinen Schaffensdrang und die grenzenlose Liebe zu unserer Muttersprache.
In ihren Werken behandelten die Autoren Themen, die sie bewegten, Themen, mit denen sie sich pflichtbewusst auseinandersetzten. Auch mit dem Thema Auswanderung nach Deutschland, das vielen Russlanddeutschen so manch eine schlaflose Nacht bescherte. Nelly Wacker konnte es auch nicht umgehen: „Harte Zweifel meine Seele quälen: Bleiben? Gehen? Ich muss wählen…“, die Sehnsucht nach dem Ort, wo sie geboren und aufgewachsen war, konnten sie auch nicht unterdrücken: „Und das ist schlimm, denn harte Sehnsucht zieht mich hin zu meiner Krim, zu meiner Krim.“
Ich blättere im Sammelband, lese darin und stelle fest, dass er von Anfang an eine besondere Dynamik verrät. In jedem Gedicht kristallisieren sich persönliche Gedanken der Dichter heraus. Sie werden immer spürbarer, mischen sich mit meinen eigenen Gedanken und, rufen Bilder und Erinnerungen hervor, die sich tief in meinem Gedächtnis verborgen haben. Viele von ihnen kannte ich persönlich, mit vielen von ihnen diskutierten wir so manche dringliche Fragen. Die Gespräche verliefen teils ausführlich, teils fragmentarisch. Und sie kehren auch nie wieder zurück, so ist er eben, der Lauf der menschlichen Geschichte.
„Wenn ein Manuskript zu einem Buch geworden ist, hatte es also einen Engel. Dieser Gedichtband, welchen Sie nun in den Händen halten, hatte einen Engel – und nicht nur einen“, schreibt Elena Seifert, Doktor der philologischen Wissenschaften, im Vorwort zum Sammelband. Zusammen mit Herold Belger wählte sie die Autoren und Texte für den Sammelband, schrieb eine ausführliche Abhandlung über die Geschichte und Gegenwart der russlanddeutschen Literatur und führte eine sachlich kompetente Analyse durch, welche die wunde Seele unserer Literatur bezeugt. Sie legt in ihrer Einführung dar, welch einen großen Wert die Auswahl der Autoren des Sammelbändchens hat, spricht über die tiefgreifende Bedeutung der Werke, über die historische Entwicklung der Literatur.
Wenn man so über unsere Literatur und Autoren nachdenkt, kommt man auf das Gedicht von Robert Weber „Röntgenologe“: Wieviel Herzen habe ich durchleuchtet – kein einziges war heil“, das literarische Herz unseres Volkes beruht auf Wahrheit und kristallisiert die persönliche Gedanken der Dichter, von denen kein einziger von den schlimmen Ereignissen seiner Zeit verschont blieb.
Viele Namen habe ich jedoch vermisst: Woldemar Spaar mit seiner wunderbaren Lyrik, Andreas Kramer mit seinen schönen Vierzeilern, Herbert Henke mit seinen sentimentalen Naturbildern sowie einige andere Autoren, deren Werke auch allmählich in Vergesseinheit gerieten… Ich tröste mich aber mit dem Gedanken, bald einen zweiten Sammelband dieser Art zu erleben.
Und – ja, ich stimme Frau Dr. Seifert zu: Dieser Gedichtband hatte einen Engel – und nicht nur einen! Es waren Olesja Klimenko, Veronika Likhobabina, Eugen Hildebrand, Dominik Vorhölter, Anna Meisenhälter – jeder von ihnen trug sein Scherflein dazu bei und tat, was in seiner Macht stand, um den Leser mit diesem Band zu beglücken.
Jetzt liegt er vor mir, in einem blütenweißen Umschlag, den nichts, außer einer goldenen Feder mit Tintenfass schmückt – ausgewogen und fachlich konzipiert, bebildert – teils faszinierend, teils schauderhaft. Eine Würdigung der Erinnerung an die Autoren, die unsere russlanddeutsche Literatur ausmachten. An unsere hommes de lettres.