Herr A. aus I. (I. steht für ein ausländisches Land) hatte meinen Umzug erledigt. Schwarz, versteht sich. Der Umzug als solcher hatte gut geklappt. Die vorherigen Absprachen hatten mich fast in den Wahnsinn und an den Rand meines interkulturellen Verständnisses getrieben. Nun brauche ich für ein Gerichtsverfahren von Herrn A. eine Bestätigung über die Umzugskosten. Aus irgendwelchen Gründen will das nicht klappen.

Seit vielen Wochen jage ich dieser Bestätigung nach, habe rund elf Telefonate mit Herrn A. geführt, der wiederholt bestätigt, dass er die Bestätigung sofort schicken wird, eigentlich schon geschickt hat, sie noch mal schicken wird, per Post, per E-Mail, sie schon wieder geschickt hat, in jedem Fall noch schicken wird. Zuerst kam der Brief zurück, weil er den Umschlag nicht ausreichend frankiert hätte. Dann hat er sie per Mail geschickt. Dann hat er sie nämlich doch nicht per Mail geschickt, weil er eigentlich gar nicht mit dem Computer umgehen könne, aber seine Frau würde es schicken.

Man muss keine gute Privatdetektivin sein, was ich natürlich trotzdem bin, um herauszufinden, dass Herr A. lügt. Ich hasse Ausreden und reagiere normalerweise höchst empfindlich darauf. Aber wenn man oft schon in der eigenen Kultur nicht weiß, woran man bei Menschen ist, dann kann ich es wenigstens irgendwie erspüren: Schämt sich derjenige und gibt seine Fehlbarkeiten nicht zu? Oder ist er ein knallharter Lügner? Schummelt und mauschelt er gern? Je nach Einschätzung kann ich entsprechend darauf reagieren: Bloßstellen. Entehren. Das Spiel mitspielen. Denjenigen schonen. Oder … Bei Herrn A. erwische ich mich als überraschend gelassen.

Ich weiß noch nicht, ob es eine plötzlich eingetretene Großzügigkeit oder eher Ratlosigkeit ist. Zum einen finde ich Herrn A. sympathisch und möchte ihn nicht bloßstellen. Dann bewege ich mich auf unsicherem Terrain. Ich habe immerhin so viel interkulturelle Kompetenz, dass ich weiß, dass manches in anderen Kulturen anders läuft und man viel wissen muss, um es zu verstehen. Wer weiß, wie hoch und an was das Ehrgefühl von Menschen aus I. aufgehängt ist, ob ich ihn nicht nur bloßstelle, sondern auch übelst an seiner Ehre kratze, wenn ich ihn als Lügner bezichtige und fordere, dass er sofort sagt, warum er mir diese Bestätigung nicht schicken kann oder will, damit ich weiß, woran ich bin.

Das wäre selbst in D. schon ein harter Angriff. In vielen anderen Ländern spricht man nicht so geradeheraus. Aber da ich nicht weiß, worum es hier geht und wie man um die Ecke spricht, bleibe ich zunächst rat- und sprachlos. Dann ist es so, dass in anderen Ländern Vorgänge per se länger brauchen und man vielmals lauthals bekräftigen muss, dass man dies oder das möchte. Die Dringlichkeit muss dem Gegenüber erst so richtig deutlich ins Gesicht springen, zum Beispiel in New York oder in Russland. Ich habe an sich gelernt, wenn man nach zwei, drei Versuchen mit einer Methode nicht weiterkommt, versuche es eben anders.

Was aber, wenn ich mit Herrn A. noch gar nicht am Ende der erstgewählten Methode – beharrliches, aber freundliches Erinnern – bin, sondern erst am Anfang. Dann braucht er noch weitere fünf Anrufe und Ermahnungen, bis er sich wirklich rührt, und wenn ich das Verfahren jetzt abbreche und den Kurs ändere, kommen wir vielleicht nie ans Ziel. Vielleicht mache ich auch Fehler in der Dramaturgie. Vielleicht muss ich richtig zornig werden oder einen hysterischen Anfall vortäuschen oder ihn bedrohen oder … Diese Auseinandersetzung könnte eine ganz interessante Studie und Schulung für mich sein, aber erstens habe ich es mit einem Menschen zu tun, der Respekt verdient, zweitens weiß ich zu wenig über I. und drittens brauche ich unbedingt diese Bestätigung.

Julia Siebert

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