Vor 30 Jahren erschien der Film „Die Nadel“. Der legendäre Wiktor Zoi mimt darin den Drogenjunkie Moro und setzte damit der Stadt Almaty, in der der Film spielt, ein Denkmal, welches bis heute schockiert. Im Frühsommer dieses Jahres setzte nun auch Almaty in der Tulebajew-Allee Zoi ein Denkmal – an genau der Stelle, an der er 1988 den Filmtod starb.

„Die Nadel“ ist einer der „Schwarzen Filme“ des Ostens, welche die in vielen gesellschaftlichen Bereichen unglaublich harte und erbarmungslose Transformationszeit der Perestroika und der letzten Jahre der Sowjetunion bis hin zu deren Zusammenbruch und den wilden 90er Jahren thematisieren. Drogenjunkies, Prostituierte, Alkoholiker, brutale Ganovenbosse, von Kriegen in Afghanistan und Tschetschenien gezeichnete Charaktere und gescheiterte Persönlichkeiten in seelenlosen, grauen Plattenbausiedlungen namenloser Industriestädte sind die Antihelden des sogenannten Tschernucha. Es sind meist ultrabrutale Gesellschaftsdramen, in denen es kein Happy End, keine Gewinner geben kann, sondern nur Verlierer und Ungerechtigkeit auf allen Seiten.

Ich bin ein großer Fan dieses Genres, weshalb ich auch vor kurzem mal wieder im Kino war. Der kasachische Film „Bisnesmeny“ (Businessmen) erregt momentan eine gewisse Aufmerksamkeit hierzulande. Er handelt von drei jungen Männern, die im wilden Kasachstan der frühen 90er zu schnellem Geld kommen wollen. Klingt spannend, schließlich werden die wirtschaftlichen Krisenjahre dieses Jahrzehnts noch immer offiziell in der Geschichtsschreibung Kasachstans ausgeklammert.

Doch obwohl der Film des Regisseurs Akan Satajew ein nationaler Publikumserfolg ist, blieb er weit hinter meinen Erwartungen zurück. Die Geschichte ist kurzweilig, kratzt aber thematisch allenfalls an der Oberfläche und wird wohl nicht zur öffentlichen Auseinandersetzung mit der Thematik führen – anders als viele andere der Schwarzen Filme.

Zu deren Helden war das Schicksal oft schon ebenso unbarmherzig wie die 1990er Jahre zur postsowjetischen Gesellschaft. So wurde Sergei Bodrow der Jüngere, der den Petersburger Kleinkriminellen Danila in den „Bruder“-Filmen oder den jungen Kadetten Iwan in tschetschenischer Gefangenschaft während des Ersten Tschetschenienkrieges im Film „Der kaukasische Gefangene“ spielte, 2002 von einer Schneelawine im Kaukasus verschüttet.

Auch der Meister des „Tschernucha“, der Regisseur Alexei Balabanow, erlag 2013 im Alter von 54 Jahren einem Herzinfarkt. Er hinterließ schmerzlich bedrückende Filme wie „Ladung 200“, was für das militärische Codewort für die in Afghanistan gefallene Soldaten steht. Durch solche tragischen Verluste fühle ich mich als Genre-Fan ob der himmelschreienden Ungerechtigkeit beinahe so wütend und machtlos wie Nikolai in dem international erfolgreichen Film „Leviathan“ des Regisseurs Andrei Swjaginzew aus dem Jahr 2014, der den Kampf gegen die durch und durch korrupte russische Bürokratie tragisch verliert.

Im Vergleich zu diesen atmosphärischen Meisterwerken kann „Bisnesmeny“ mit seiner blitzblanken Instagram-Optik, den vielen, hübschen, perfekt zurechtgemachten Figuren und der seicht dahinplätschernden Story nicht mithalten. Die Schockmomente, die das Genre ausmachen, bleiben aus. Die Gescheiterten, Gebrochenen, Antihelden, die diesen Zeitabschnitt so besonders schockierend und nahbar machen, kommen nicht vor.

Die 1990er Jahre in Kasachstan verkommen zu einem leichtfüßigen, pastellfarbenen Abenteuer unter Halbstarken. Heutzutage versprühen lediglich die unzähligen, schwarzgetönten Mercedes-Geländewagen auf den Straßen Almatys noch einen gewissen, anrüchigen Hauch an Banditentum der wilden 90er: Kleinkriminalität als Freizeitklischee und Lifestyle ohne Bezug zur Vergangenheit.

Auch der legendäre Wiktor Zoi verlor schon 1990 in einem Autounfall in Lettland viel zu früh und tragisch sein Leben. Er prägte mit seiner Rockband „Kino“ den Sound der Perestroika. Seine Songs „Peremen“ und „Gruppa Krowi“ wurden zu Hymnen des Lebensgefühls, welches nicht nur zu den blutigen Studentenprotesten in Alma-Ata im Dezember 1986 führte. Den Zusammenbruch der Sowjetunion, für welchen seine Musik wie keine andere stand, erlebte er nicht mehr. Durch seine Kunst wurde Zoi unsterblich. Die „Bisnesmeny“ werden allerdings schon bald vergessen sein.

Philipp Dippl

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