Mehrere Hunderttausend Kinder bringen jedes Jahr in Usbekistan und den Nachbarländern die Baumwollernte ein. In diesem Jahr startet die Internationale Arbeitsorganisation ILO eine Kampagne gegen Kinderarbeit in Zentralasien, die vor allem die politische Sensibilität für das Thema erhöhen soll

Jetzt im Juni blüht die Baumwolle, und die Felder im Süden Kasachstans, in Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Kirgisistan sind in gelbes, weißes oder rosafarbenes Pastell getaucht. Doch in etwa drei Monaten wird auch in diesem Jahr wieder die Ernte des „weißen Goldes“ auf Hochtouren laufen. Und wie in jedem Jahr wird ein Großteil der Ernte in Zentralasien von Kindern eingebracht werden, viele von ihnen nicht älter als sieben Jahre.

Genaue Zahlen darüber, wie viele Kinder in Zentralasien an der Baumwollernte beteiligt sind, gibt es nicht. Doch ein aktueller Bericht der International Crisisgroup, einer Nichtregierungsorganisation, geht von einigen hunderttausend Kindern aus, die jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen der aufgeplatzten Samenkapseln von den Baumwollsträuchern pflücken. In Usbekistan, größter Baumwollproduzent in Zentralasien und fünftgrößter weltweit, ist Kindern unter 15 Jahren zwar per Gesetz verboten zu arbeiten. Dennoch werden jedes Jahr zwischen September und November ganze Schulen geschlossen, um die Kinder für den Ernteeinsatz freizustellen – den „freiwilligen Einsatz“, wie es laut Crisisgroup von offizieller Seite heißt. „Unsere Kinder werden nicht gezwungen. Einige helfen sicher bei der Baumwollernte mit, aber das ist so wie überall auf der Welt,“ wird ein Offizieller aus dem Fergana-Tal, einem der Hauptanbaugebiete für Baumwolle, zitiert. „Auf die Kinder zu verzichten, würde eine ökonomische Katastrophe bedeuten“, meint ein Wirtschaftsexperte aus Taschkent bei einem Interview mit Mitarbeitern der Crisisgroup.

Allein Usbekistan verdient pro Jahr mehr als eine Milliarde US-Dollar am Export der Baumwolle. Etwa 45 Prozent des Gesamtexportumsatzes des Landes werden durch Baumwolle, traditionell wichtigstes Exportgut des Landes, gedeckt. Die Kinder erhalten pro Tag oft gerade einen Dollar, wobei das Geld häufig für Unterbringung und Verpflegung gleich wieder aufgebraucht wird. Kinder sind so die billigsten Arbeitskräfte, um die Baumwolle einzuholen, denn noch immer werden über 90 Prozent per Hand geerntet.

Um diese Situation zu ändern, hat die Internationale Arbeitsorganisation ILO in diesem Jahr ein Projekt gegen Kinderarbeit in Zentralasien gestartet. Lars Johansen, der für das „Internationale Programm zur Beseitigung von Kinderarbeit“ der ILO arbeitet, ist seit Anfang des Jahres in Almaty, um dieses neue, für drei Jahre ausgelegte regionale Projekt zu koordinieren. „Wir sind noch dabei, uns selbst zu konstituieren“, so Johansen.

Nach einem Gutachten der ILO und nach Verhandlungen mit den betroffenen Regierungen waren im vergangenen Jahr, bei der jährlich im Juni stattfindenden Konferenz der ILO in Genf, die Mitgliedsstaaten übereingekommen, eine Initiative der ILO gegen die Kinderarbeit in vier der zentralasiatischen Länder zu unterstützen. „In den Ländern hier wird, wie in den meistem Entwicklungsländern, in denen Landwirtschaft eine der wichtigsten Einkommensquellen ist, Kinderarbeit meist nicht als Problem empfunden. Dass Kinder arbeiten und ihren Familien helfen, gilt als normal und gehört zur Erziehung“, umreißt Johansen die Situation in Zentralasien. Dennoch haben Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan die ILO-Konvention „Über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit“ ratifiziert. Usbekistan und Turkmenistan, ebenfalls Mitglieder der ILO, lehnen die Konvention bisher ab.

Usbekistan beteiligt sich aber trotzdem an dem aktuellen ILO-Projekt gegen Kinderarbeit. Derzeit entwickeln Johansen und seine Kollegen mit den Regierungen und den Arbeitsministerien der vier Länder eine Strategie, wie das Problem zu bewältigen sein könnte. „Eine Phase, in der viel Fingerspitzengefühl erforderlich ist, um das nötige Vertrauen aufzubauen“, so Johansen. „Doch ohne die Regierungen mit im Boot zu haben, ist unsere Arbeit wertlos.“ Gemeinsam mit den Regierungen und Ministerien dieser Länder, mit Unternehmen, Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften wollen die ILO-Mitarbeiter zukünftige Maßnahmen zur Vermeidung von Kinderarbeit ausarbeiten. In erster Linie sind dazu Workshops geplant, in denen die beteiligten Institutionen, Organisationen oder Unternehmen an einen gemeinsamen Tisch geholt werden sollen. Von konkreten Maßnahmen sei man jedoch noch weit entfernt, so Johanson.

Zweck der ILO-Kampagne wird es jedenfalls nicht sein, Kinder von den Feldern zu holen, sie stattdessen in der Schule abzuliefern und Freizeitangebote für sie zu schaffen. Die Kampagne setzt auf der politischen Ebene an. Ziel sei es, das Problembewusstsein uind die Sensibilität für das Thema Kinderarbeit zu erhöhen und institutionelle Strukturen für deren Bekämpfung aufzubauen. „Wenn wir in drei Jahren an dem Punkt sind, dass der Kampf gegen Kinderarbeit ein politisches Thema in Zentralasien ist, dann haben wir unser Ziel erreicht“, so Johansen.

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