Unter Russlands Vorsitz soll sich die Gruppe der acht großen Industrienationen (G8) in diesem Jahr der Weltenergieversorgung und der Stabilität Zentralasiens widmen. Der Kreml vertritt damit vor dem Gremium der Nationen, die rund die Hälfte des Handels und der Industrieproduktion weltweit repräsentieren, auch die Interessen Kasachstans.
Vor vier Jahren fällten die Staatschefs der G8-Länder (Deutschland, England, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Russland, USA) auf dem Jahrestreffen der acht großen Industrienationen (G8) nach eigenem Bekunden „eine historische Entscheidung”: Russland darf 2006 erstmals den rotierenden Vorsitz des informellen Wirtschaftsklubs bekleiden. Die Entscheidung reflektiere Russlands beachtenswerten wirtschaftlichen und demokratischen Wandel der letzten Jahre – besonders unter der Führung von Präsident Putin, so die Begründung in der offiziellen G8-Erklärung. Das neue Jahr bringt dem Kreml damit eine bedeutungsvolle Anerkennung und Machtposition zugleich. In diesem Jahr wird der große Gipfel der G8-Regierungschefs vom 15. bis 17. Juli in Sankt Petersburg stattfinden. Zuvor treffen sich schon die G8-Finanzminister in Moskau und Petersburg. Die Federführung Russlands wird nicht nur eine neue Tagungskulisse, sondern ebenso neuartige Tagesordnungspunkte bringen. Vor allem Fragen der Weltenergiepolitik und die Region Zentralasien möchte der Kreml auf die G8-Agenda setzen.
Weltenergiepolitik mit dem Kreml in der G8
Lange galt der seit den 1970er Jahren tagende informelle Wirtschaftsklub G7 als das Forum der großen, reichen und demokratischen Volkswirtschaften. Deswegen war die vollberechtigte Teilnahme Russlands an der vormaligen G7 umstritten. Erst seit 1997 erkennt man Russland als eine dem Wirtschaftsklub würdige demokratische Marktwirtschaft an. Da sich das Gremium der Stabilität der Weltwirtschaft verschrieben hat, durfte Russland nicht mehr fehlen – obwohl das Pro-Kopf-Einkommen in Russland drastisch unter dem Niveau der anderen sieben Industriestaaten liegt und viele Russen ein Dasein unter der offiziellen Armutsgrenze fristen. Wichtiger ist, dass der Kreml einer der wichtigsten internationalen Energieversorger ist und die Rivalität auf den internationalen Energiemärkten zunimmt. Russland ist der größte Gasexporteur und der zweitgrößte Erdöllieferant der Welt. Die westlichen Industrienationen, China und Indien brauchen immer mehr Energie zur Befeuerung ihrer Volkswirtschaften. Unter dem russischen G8-Vorsitz soll über eine Weltenergiepolitik der Zukunft respektive über eine sichere Versorgung der Weltwirtschaft mit Energie diskutiert werden. „Dies zu Bedingungen, die für die Hersteller- und Verbraucherstaaten akzeptabel sind. Ich habe unser Potenzial bei allen Energieträgern – bei Erdöl, Erdgas und Kernenergie – im Auge”, so Wladimir Putin. Über alle von Putin genannten Energieträger verfügt Kasachstan ebenso. Zwar in absoluten Zahlen in nicht gleichen globalen Dimensionen wie Russland, doch in relativem Maßstab zur Genüge.
Schon Ende November 2005 trafen sich die Energieminister der Exportländer Russland, Kasachstan, Aserbaidschan und Turkmenistan mit den Verbraucherstaaten China, Indien, Japan und Südkorea in Neu-Delhi. Die Energiesicherheit der Großen Acht scheint ohne die Berücksichtigung der Position der größten asiatischen Exporteure und Verbraucher unmöglich.
Russland möchte neben seiner Weltenergiepolitik auch ganz neue Themen in das G8-Gremium einbringen. Vor allem Probleme der marktwirtschaftlichen Transformation, denn „Moskau fällt es leichter, Probleme der Länder mit einer Übergangswirtschaft zu verstehen”, so Putin.
Die G8 soll ein Auge auf Zentralasien werfen
Russland beteiligte sich schon an dem auf dem G8-Gipfel letzten Jahres im schottischen Gleneagles beschlossenen Schuldenerlass des Internationalen Währungsfonds für die ärmsten Staaten der Welt – vorrangig in Afrika, aber auch Tadschikistan war darunter. Russland möchte während seiner Präsidentschaft nun die sozialen Probleme, die wirtschaftliche Rückständigkeit und die politische Instabilität vieler Nachfolgestaaten der Sowjetunion und Zentralasiens thematisieren. Russland will, dass die G8 die Zusammenarbeit mit den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion ausbaut. Hilfsanstrengungen für die ärmsten Staaten wie Moldawien, Kirgisien oder Usbekistan könnten damit 2006 zu einem Thema der G8 werden.
Nicht nur historisch sind Russland und Kasachstan strategische Partner. Ihre Interessen in Bezug auf die G8 sind sehr ähnlich gelagert. Auch Kasachstan will seine Rohstoffe auf den Weltenergiemärkten versilbern, seinen wirtschaftlichen Aufstieg fortsetzen, und sorgt sich schon aus Eigeninteresse heraus um die Stabilität seiner „rückständigeren” Nachbarn. Kasachstan sitzt dieses Jahr quasi mit am Tisch der großen Industrienationen, wenn Moskau seine eigenen Anliegen vertritt.
Von Gunter Deuber
13/01/06