Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich Veränderungen nicht allzu gern mag? Also, nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich bin bereit und gewillt, mich Herausforderungen zu stellen, Altes zu überdenken, Neues zu lernen. Ich bin für den Fortschritt und gegen Stillstand.

Jedoch braucht der Mensch auch Stabilität und Verlässlichkeit, einen festen Boden, auf dem man steht, um mit den neuen Entwicklungen zu kämpfen. Über die Unwägbarkeiten der Globalisierung lässt es sich am besten mit alten Freunden in der Stammkneipe sinnieren. Und neue Sprachen lassen sich besser lernen, wenn man textsicher in der eigenen wandelt. Sowieso bietet die Muttersprache den größtmöglichen Raum für Vertrautheit. Das sagt schon der Begriff Mutter. Und das ist ja das Schöne, dass man in seiner Heimat mit möglichst wenig Worten möglichst viel zum Ausdruck bringen kann. Und wenn niemand in der Nähe ist und einem keiner zuhören will, kann man im Notfall immer noch Selbstgespräche führen. Es sei denn, es verschlägt einem die Sprache. So weit ist es noch nicht. Aber dass ich mich sicher in meiner Muttersprache bewege, davon kann gar keine Rede mehr sein. Woran liegt das?
An mir jedenfalls nicht. Ich habe all meine Lektionen gelernt, bin tapfer durch die Anfänge des Sprechens gekrabbelt, habe immer meine Hausaufgaben gewissenhaft erledigt und mir die Grammatik beinhart erarbeitet. Ich habe gelesen, gelesen und gelesen. Und musste mich meine ganze Kindheit und Jugend hindurch korrigieren lassen. Damit stand der Grundpfeiler, alles weitere wäre keine Pflicht mehr, sondern Kür. Doch gibt es einen großen Unterschied zwischen richtig sprechen und richtig verstanden werden, wie wir alle wissen. Gut, das verstehe ich ja – auf der theoretischen Ebene. Aber muss das praktisch gesehen ausgerechnet dort passieren, wo ich die Sicherheit und Bequemlichkeit der Routine brauche, um mich in Ruhe mit den globalen Entwicklungen auseinander setzen zu können – im Alltag? Also schnell, schnell in den Baumarkt, Farbe kaufen, die Wände streichen, um dann wieder zu sinnieren. Pustekuchen! Der Besuch im Baumarkt dauert nicht 30 Minuten, sondern 90. Weil ich mich nicht mehr zwischen blau, rot und grün entscheiden kann, sondern mauve, champagnerfarben oder crème. Das mit den Farben hatte ich aber anders gelernt. Da ich mich in der aktuellen Begriffswelt der Farbpaletten nicht mehr auskenne, versuche ich es mit eigenen Ausdrucksmitteln. Wenn es taubenblau gibt, rechne ich schnell aus, muss es doch auch eichhörnchenrot geben. Nee, damit komme ich nicht weiter. Jetzt tasten wir, der Fachverkäufer und ich, uns mühselig aneinander heran, bis klar ist, was ich will und was es gibt. Herrje, wir sind doch hier nicht auf dem Kriegsfeld, sondern im Baumarkt. Noch schlimmer wird es, wenn es um die Gesundheit, pardon, Wellness, geht. Dass Aloe Vera keine Modedesignerin ist, habe ich inzwischen mitbekommen. Den Unterschied zwischen Aloe Vera und Ayurveda kenne ich immer noch nicht. Ich bestelle hartnäckig Aspirin und dass es das in verschiedenen Varianten gibt, kann ich grad noch so bewältigen. Damit ich nicht auf der Strecke bleibe, muss ich die Strategie ändern. Nicht mehr so viele Gedanken in die Globalisierung stecken, sondern mehr in die moderne Alltagswelt investieren. Denn die Globalisierung braucht mich nicht, ich hingegen komme ohne den Alltag nicht aus. Drum mache ich jetzt einen Schnellkurs, stelle Herrn Goethe zurück ins verstaubte Regal und ab zum nächsten Kiosk, Zeitschriften kaufen. Schade eigentlich. Schade um die schöne Sprache!

Julia Siebert

10/11/06

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