Noch bis vor kurzem konnte man hierzulande ein bisschen Schadenfreude über die Finanzkrise bemerken. Der Tenor war etwa so: Das betrifft eh nur die Reichen, ich habe keine Aktien, bin also nicht direkt betroffen. Doch mittlerweile ändert sich in Kasachstan die Stimmung, wenn auch nicht abrupt.
Schließlich machen Informationen über größere Entlassungen die Runde, und es spricht sich herum, dass es selbst für jüngere Spezialisten im Moment immer schwerer wird, eine neue Arbeit zu finden.
Der Kreis der von der Finanzkrise Betroffenen erweitert sich schneller, als mancher denkt, und erfasst sogar die Finanzen der einfachen Leute. Gemeint ist damit vor allem das Pensionssystem Kasachstans, das im Moment mit vorher in diesem Maße nicht gekannten Problemen zu kämpfen hat. Zur Erinnerung: Im Unterschied zu Deutschland, das nach wie vor am traditionellen Umlageverfahren (Solidarprinzip) der Rentenversorgung festhält, hat Kasachstan die Altersvorsorge für die jüngeren Generationen auf kapitalgedeckte Verfahren umgestellt. Beide Systeme haben ihre jeweiligen Vor- und Nachteile.
Beim deutschen Verfahren zahlen die abhängig Beschäftigten in einen allgemeinen Rentenfonds ein, das Geld wird also nicht auf einem individuellen Konto angespart. So wie die Rentenbeiträge eingehen, werden sie praktisch sofort an die Rentner ausgezahlt, eine nennenswerte Reserve entsteht nicht. Dieses Verfahren baut darauf, dass es immer genügend arbeitende Beitragszahler gibt, die mit ihren Beiträgen den Rentenberechtigten eine brauchbare finanzielle Altersversorgung sichern können. Diese Annahme aber stimmt immer weniger – es gibt zunehmend weniger Beitragszahler und immer mehr Rentner. Nötig sind deshalb immer größere Zuschüsse aus dem Staatshaushalt. Dieses System muss also dringend reformiert werden.
Das kasachische System ist eigentlich fortschrittlicher, schließlich ist ein individueller Anreiz für die Altersvorsorge gegeben, da die Beiträge nicht anonym verschwinden, sondern auf einem persönlichen Konto erscheinen. Zudem bildet sich schrittweise eine weitere Quelle für die Finanzierung volkswirtschaftlicher Projekte heraus. Der Nachteil des Systems liegt jedoch auf der Hand: Der Wert des Rentenkontos, das mit einem Wertpapierdepot untersetzt ist, kann in Abhängigkeit von der Entwicklung der Marktkurse der Wertpapiere sehr stark schwanken. Bei niedrigen Marktpreisen und einer gleichbleibenden Rentenauszahlung kann sich der Wertpapierbestand sehr schnell verringern und im Extremfall sogar vollständig auflösen.
Das letztere Szenario ist zwar im Moment in Kasachstan nicht gegeben, der Wert der Rentenkonten hat sich aber in den letzten Monaten gleichwohl spürbar verringert. Der gesamte Bestand an Mitteln aller 16 kasachischen Pensionsfonds zusammen hat sich im Oktober um 38,3 Milliarden Tenge auf 1343,7 Milliarden Tenge verringert. Die Ertragsverluste aller Fonds betrugen im selben Monat 61,2 Milliarden Tenge. Der durch die Anlage der Rentenbeiträge in Wertpapieren bisher insgesamt erzielte Ertrag hat sich auf 276, 8 Milliarden Tenge verringert, der Verlust beträgt hier seit Jahresanfang 62,5 Milliarden Tenge.
Demnach ist die Finanzkrise auch beim kleinen Mann angekommen, denn mehr als sieben Millionen Beschäftigte zahlen regelmäßig mindestens 10 Prozent ihres Einkommens in die Pensionsfonds ein. Nun muss man im Moment aus dieser Situation keine Katastrophe machen, schließlich ist das Geld ja nicht veruntreut, und überall auf der Welt gibt es für die Abermillionen direkter und indirekter Kleinaktionäre das gleiche Problem. Jüngere Generationen können sowieso mit relativer Gelassenheit den Lauf der Dinge beobachten und davon ausgehen, dass sich langfristig die Kurse schon erholen werden. Für die Generationen von Leuten, die bereits in einigen Jahren Rente aus ihren Ersparnissen bei den Pensionsfonds beziehen wollen und müssen, kann die Lage durchaus dramatisch werden.
Nun ist auch hier der Staat mit einer Reihe von Maßnahmen eingesprungen. Zuerst will man die Kontrolle der Pensionsfonds verschärfen. Das ist meiner Meinung nach eine Modeaktion, um die Gemüter zu beruhigen. Kontrolle des Staates: Das klingt immer nach Sachkenntnis und Expertise. Das muss es aber überhaupt nicht sein. Schließlich hat man, wenn man heute schärfer kontrollieren muss, in der Vergangenheit eher lasch gearbeitet. Wichtiger ist, dass der Staat einiges garantiert und ausgleicht, beispielsweise eine Rentenmindestauszahlung und einen Inflationsausgleich, aber keine entgangenen Anlageerträge. Nicht gelöst wird damit allerdings, dass das heutige Rentensystem, auch bei Vernachlässigung der aktuellen Krisenauswirkungen, keine vernünftigen Renten sichern wird. Das durchschnittliche Guthaben eines nun schon fast 15 Jahre sparenden künftigen Rentners beträgt gerade mal 200.000 Tenge. Das reicht mit einiger Fantasie vielleicht für ein Jahr. Was aber wird dann?
Folglich haben beide kurz vorgestellten Systeme der Rentenversorgung ihre strategischen, also grundsätzlichen Mängel. Für die meisten Leute dürfte demnach eine optimale Kombination aus beiden Systemen sinnvoll sein. Das Schweizer Modell scheint mir da Vorbild sein zu können.
Bodo Lochmann
19/12/08